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Berlin/Brüssel. Für den Besuch von Bundestagsabgeordneten bei unseren Soldaten auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Konya gibt es jetzt nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios einen neuen Anlauf. Voraussichtlich am 8. September soll eine Gruppe aus dem Verteidigungsausschuss auf Einladung der NATO in die Türkei reisen und dort die Bundeswehrangehörigen, die zu den in Konya stationierten AWACS-Besatzungen gehören, treffen. Ein entsprechendes Schreiben der stellvertretenden NATO-Generalsekretärin Rose Gottemoeller sei am Montag dieser Woche (7. August) nach Berlin geschickt worden, so die Korrespondenten der ARD.

Blicken wir zum besseren Verständnis dieser guten Nachricht noch einmal kurz auf die Ereignisse der letzten Wochen. Am 7. Juli hatte der Verteidigungsausschuss des Bundestages in einer Pressemitteilung angekündigt, am 17. Juli mit einer siebenköpfigen Delegation unter Leitung seines Vorsitzenden, des SPD-Politikers Wolfgang Hellmich, zum NATO-Stützpunkt Konya in der Türkei reisen zu wollen. Die Abgeordneten aller Fraktionen wollten sich bei diesem Besuch – so die offizielle Lesart – „über den aktuellen Stand des AWACS-Programms informieren und sich in Gesprächen mit den deutschen NATO-Soldaten einen Überblick über die Einsatzbedingungen verschaffen“.

Gut eine Woche später, am Abend des 13. Juli, erhielt das Auswärtige Amt eine Verbalnote der türkischen Regierung, in der diese mit Hinweis auf die momentan stark belasteten Beziehungen zwischen beiden Ländern um eine Verschiebung der Konya-Reise bat. Dieses Vorgehen Ankaras, das einem Besuchsverbot gleichkam, konnte eigentlich nicht wirklich überraschen. Denn zuletzt hatte die Bundesregierung dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan einen Auftritt vor Anhängern in Deutschland am Rande des Hamburger G20-Gipfels untersagt. Es war danach nur noch eine Frage der Zeit, wann die Retourkutsche in Berlin eintreffen würde.

Laut Spiegel online legte das Auswärtige Amt nach Erhalt der diplomatischen Post aus der Türkei Protest bei der NATO in Brüssel ein. Bis man in der Zentrale des Bündnisses endlich angemessen reagierte, verging wertvolle Zeit …

Dauerstreit mit Erdogan führte bereits zum Bundeswehrabzug aus Inçirlik

In Konya sind zwischen 20 und 30 Bundeswehrsoldaten stationiert, die sich am Einsatz von AWACS-Flugzeugen der NATO im Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) beteiligen. Der Bundestag stimmt Ende des Jahres über eine Verlängerung der Beteiligung deutscher Kräfte im Kampf gegen den IS ab (das aktuelle Mandat endet am 31. Dezember).

Der Dauerstreit zwischen Ankara und Berlin wegen der Besuchserlaubnis für den türkischen Luftwaffenstützpunkt Inçirlik (siehe auch hier) hat inzwischen dazu geführt, dass Deutschland sein bislang auf dieser Air Base stationiertes Bundeswehrkontingent samt Tankflugzeug und Tornado-Aufklärungsflugzeugen abgezogen hat. Im Juni hat die Verlegung nach Jordanien begonnen.

Nach der erneuten Besuchsverweigerung der Türken – nun für den NATO-Stützpunkt Konya – schloss Ausschussvorsitzender Hellmich weitreichende Folgen auch für das Bündnis nicht aus. Gegenüber der Tageszeitung Die Welt sagte er: „Unter diesen Bedingungen sehe ich keine Möglichkeit, die im Herbst anstehende Mandatsverlängerung für diesen Einsatz im Bundestag zu beschließen.“ Ähnlich äußerte sich der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold in der Welt. „Wir können nur dort Soldaten stationieren, wo wir sie auch besuchen können“, kommentierte der Sozialdemokrat die türkische Entscheidung.

SPD und Opposition pochen auf uneingeschränktes Besuchsrecht

Insgesamt führte die Blockade der Ausschussreise nach Konya bei den Bundestagsparteien zu unterschiedlichen Reaktionen. Während SPD und Opposition einmal mehr den Verbleib deutscher Soldaten in der Türkei von einem uneingeschränkten Besuchsrecht abhängig machten, warnte die Union vor einem Abzug aus Konya.

Sevim Dagdelen, Sprecherin der Fraktion Die Linke für internationale Beziehungen, forderte „klare Kante statt Kuschelkurs“ und erklärte: „Kein Besuch, kein Konya!“ Die Ausladung der Bundestagsabgeordneten sei ein massiver Vertrauensbruch unter NATO-Partnern. Es sei völlig inakzeptabel, dass der Bundeswehreinsatz in Konya trotz der Besuchsverbote für Abgeordnete aufrechterhalten werde, so Dagdelen.

Agnieszka Brugger, Verteidigungsexpertin von Bündnis 90/Die Grünen, empörte sich nach Bekanntwerden der Absage der Besuchsreise: „Eine solche Provokation von Erdogan darf sich weder die Bundesregierung noch die ganze NATO einfach so bieten lassen.“

Fraktionschef Thomas Oppermann gab für die Sozialdemokraten folgendes Statement ab: „Das Besuchsrecht ist ein Standard, der nicht aufgeweicht werden darf. Es ist nicht nur ein Recht der Abgeordneten, sich ein Bild vom Einsatz der Soldatinnen und Soldaten zu machen, sondern auch unsere Pflicht. Dafür steht der Grundsatz unserer ,Parlamentsarmee‘. Ohne Besuchsrecht können die deutschen Soldaten nicht in Konya bleiben.“

CDU und CSU mahnen mit Blick auf Bündnisverpflichtungen zur Zurückhaltung

Anders dagegen die Sprecher der Unionsfraktion für Auswärtiges und für Verteidigung, Jürgen Hardt und Henning Otte. Beide wiesen zwar ebenfalls darauf hin, dass die NATO nicht nur ein Verteidigungsbündnis, sondern auch eine Wertegemeinschaft sei und die Türkei deshalb den Wertekanon der NATO – zu dem auch das gegenseitige Truppenbesuchsrecht gehöre – ausnahmslos teilen müsse. Aber: „Die Forderungen nach einem Abzug des deutschen Kontingents in Konya halten wir für kurzsichtig und gefährlich, sie spielen Präsident Erdogans Eskalationstaktik genau in die Hände.“

Die beiden Unionspolitiker verwiesen darauf, dass der integrierte NATO-AWACS-Einsatz von Konya – anders als der Bundeswehreinsatz in Inçirlik – „kein rein deutsches Engagement“ sei. „Es wäre ein fatales Signal, wenn das trotzige Verhalten von Präsident Erdogan gegenüber Deutschland auch noch zu einer echten Schwächung und möglichen Spaltung der NATO führen würde“, warnten sie. Hardt und Otte in ihrer gemeinsamen Erklärung: „Die deutsche Beteiligung am NATO-AWACS-Einsatz ist sichtbare Bündnistreue. Der deutsche Beitrag zu dieser besonderen Fähigkeit ist essenziell.“ Deutschland leistet so einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des IS, bei der es gerade jüngst entscheidende Fortschritte gegeben habe.

Amerikanische Diplomatin Gottemoeller wird Reise nach Konya begleiten

Nun also doch noch Konya-Besuch. Dazu noch einmal das Hauptstadtstudio der ARD: „Die NATO hatte sich zuletzt intensiv um Vermittlung zwischen der Türkei und Deutschland bemüht. Die geplante Reise soll nun nicht unter Federführung des Bundestages, sondern unter der der Parlamentarischen Versammlung der NATO stattfinden und von Rose Gottemoeller begleitet werden. An der Zusammensetzung der Delegation würde sich sonst wenig ändern, weil die Obleute der Fraktionen auch Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung sind.“

Diese Lösung, die wohl in erster Linie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu verdanken ist, stößt bei der Opposition auf Kritik. Der Obmann der Linkspartei im Verteidigungsausschuss, Alexander Neu, kritisiert: „Es ist ein erneutes Einknicken vor Erdogan.“ Der Bundestag gebe damit quasi seine eigenen Beteiligungsrechte auf.

Die Grünenpolitikerin Agnieszka Brugger gibt zu bedenken: „Das gewählte Hilfskonstrukt über die NATO taugt nicht zur Dauerlösung. Das Besuchsrecht muss von nun an uneingeschränkt gelten. Ein Ende dieses unwürdigen Spiels der türkischen Regierung wird es nur mit einer klaren Haltung der Bundesregierung geben.“

Auch für die SPD muss die für den Augenblick gefundene Lösung eine Ausnahme bleiben. Das Mandat für den AWACS-Einsatz könne nur verlängert werden, wenn sichergestellt sei, dass der Bundestag die Soldaten aus eigener Initiative besuchen könne, heißt es aus Kreisen der sozialdemokratischen Fraktion.

Früherer Verteidigungsminister kritisierte heftig NATO-Generalsekretär

Dass die NATO letztendlich im Streit um Besuche deutscher Parlamentarier bei unseren Bundeswehrsoldaten in der Türkei zu einer einvernehmlichen Lösung gelangt ist (zumindest im Fall Konya), mag auch dem Druck geschuldet sein, der in den letzten Tagen und Wochen aus Deutschland aufgebaut worden ist. Denn die zunächst zurückhaltende Haltung der Bündnisführung in Brüssel irritierte weite Teile des politischen Berlins und wohl auch der Öffentlichkeit.

CDU-Außenexperte Volker Rühe, von 1992 bis 1998 Bundesminister der Verteidigung, hatte sich beispielsweise am 19. Juli in einem Interview mit dem Deutschlandfunk beklagt: „Man muss einfach von NATO-Generalsekretär [Stoltenberg] erwarten, dass er nicht so tut, als ob das ein überflüssiger Streit bilateral zwischen Deutschland und der Türkei ist, sondern er muss klar machen, hier geht es um ein NATO-Instrument der gemeinsamen Luftüberwachung. Und das ist ein NATO-Anliegen, dass auch Abgeordnete aus den Ländern, die dort Soldaten an Bord haben, [den Verband] besuchen können. Das muss er mit aller Entschlossenheit gegenüber der Türkei vortragen, und das habe ich bisher von ihm nicht erlebt.“ Er würde sich, so Rühe vor gut drei Wochen, vom Chef des mächtigen NATO-Bündnisses „schon etwa mehr Härte und Durchschlagskraft versprechen“.

Noch deutlicher auf den Punkt gebracht hat es Andreas Meyer-Feist, Hörfunkkorrespondent im ARD-Studio Brüssel. In seinem kürzlich im Onlineangebot des NDR erschienenen Kommentar „Die NATO will keinen Bündnis-Streit um Konya“ kritisiert er: „Längst hätte das Bündnis aktiv werden müssen. Nicht erst im Fall Konya. Sondern schon im Streit um die Militärbasis in Inçirlik. Dass das NATO-Land Deutschland wegen einer Auseinandersetzung mit dem NATO-Partner Türkei seine Soldaten in ein Nicht-NATO-Land umziehen lässt, blamierte das gemeinsame Bündnis schon bis auf die Knochen. Eine Wiederholung in Konya hätte sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nicht leisten können.“

Aus dem Streit um Inçirlik habe sich die NATO mit der faulen Ausrede, dass dieser Einsatz nicht unter NATO-Führung stattfinden würde, herausgehalten. Wer so argumentiere, ducke sich weg, meint Meyer-Feist über diese „schlimme Vogel-Strauß-Politik“, die sich ein aufmerksames Militärbündnis einfach nicht leisten könne. Denn, so der Autor: „Es geht nicht um einzelne Einsätze, es geht ums Prinzip. Um das Miteinander im Bündnis. Um geopolitische Herausforderungen, die für alle NATO-Mitglieder wichtig sind. Im Fall Konya hat die NATO noch einmal gerade so die Kurve gekriegt.“ Wohl wahr …


Unser Bild zeigt eine AWACS-Maschine der NATO beim Start im türkischen Konya. Die Aufnahme entstand am 10. Juni 2013 bei der Übung „Anatolian Eagle“. Am Boden zu sehen ist eine Northrop F-5 der türkischen Kunstflugstaffel „Türk Yildizlari“ („Türkische Sterne“).
(Foto: R. Michael Longoria/NATO)

Kleines Beitragsbild: AWACS-Maschinen der NATO am 13. Mai 2014 auf der Air Base Konya in der Türkei.
(Foto: NATO/unter Lizenz CC-BY 2.0 – vollständiger Lizenztext:
https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode)


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