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New York. „Schutz für die Beschützer“ – so lautete der Titel eines 2009 erschienenen Beitrages von Monika Heupel, der sich ausführlich mit der Sicherheit des militärischen und zivilen Personals der Vereinten Nationen (VN) im Feld befasste. Die Autorin, heute Juniorprofessorin für Politikwissenschaft an der Universität Bamberg, legte dar, dass es seit Ende des Ost-West-Konflikts um die Sicherheit der VN-Angehörigen nicht gut bestellt ist. So seien in den Jahren 1990 bis 2009 mehr als doppelt so viele Angehörige von Friedensmissionen der VN getötet worden – nämlich 1756 Männer und Frauen – als in den 40 Jahren davor. Mit dem Thema „Sicherheit der Einsätze der Vereinten Nationen“ setzt sich nun auch ein 24 Seiten umfassender Lagebericht der Organisation auseinander.

Die erfreuliche Nachricht vorweg: Trotz eines immer undurchschaubarer und schwieriger werdenden sicherheitspolitischen Umfeldes und trotz einer noch nie da gewesenen Zahl direkter Angriffe gegen die Vereinten Nationen, ist die Zahl der Opfer unter den VN-Zivilpersonen rückläufig.

Dies bestätigte auch Generalsekretär António Guterres, der der Generalversammlung am 19. Oktober seinen aktuellen Bericht „Safety and security of humanitarian personnel and protection of United Nations personell“ („Sicherheit und Schutz von Humanitären Hilfskräften und Personal der Vereinten Nationen“) vorstellte. Er gab allerdings auch zu bedenken, dass die Sicherheitslage in vielen Teilen der Welt durch Bürgerkriege, gewaltbereitem Extremismus und terroristische Anschläge gefährlich sei und bleibe. Solange politische, wirtschaftliche und soziale Fehlentwicklungen in einem Land oder in einer Region zu einer unsicheren Gesamtlage führten, solange könne auch nicht von einem stabilen Sicherheitsumfeld gesprochen werden, erklärte der frühere Premierminister Portugals.

Generalsekretär rechnet weltweit mit noch mehr Krisen und Konflikten

Guterres gab bei der Präsentation des Sicherheitsreports zu bedenken: „Auch wenn bereits Millionen Menschen aus bitterer Armut befreit wurden, weil wir ihre untragbaren sozioökonomischen Lebensbedingungen – Nährboden für gesellschaftliche Instabilität – verbessern konnten, so bin ich doch pessimistisch. Ich fürchte, dass die Zahl der weltweiten Konflikte sogar noch wachsen wird und die Auseinandersetzungen insgesamt länger dauern werden. Und dies alles mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung.“

Noch einmal kurz zurück zu Monika Heupel: In ihrem Beitrag „Schutz für die Beschützer“ weist sie darauf hin, dass sich die Art und Weise der Gewaltanwendung gegen Personal der Vereinten Nationen inzwischen verändert hat. Traditionell sei die Sicherheit des VN-Personals vor allem durch Kriminelle bedroht worden, die sich hätten bereichern wollen, ohne der Organisation jedoch direkt zu schaden. Mittlerweile aber werde Gewalt gegen die Frauen und Männer der Organisation immer öfter auch strategisch eingesetzt. Angehörige der Blauhelmkontingente und Mitarbeiter der Vereinten Nationen vor Ort würden gezielt bedroht, angegriffen, erpresst, entführt und getötet, um die Friedensinstitution der Nationen als Ganzes zu treffen. Auch sollen durch diese Gewaltakte oftmals einzelne Missionen oder Programme torpediert werden.

„Ernsthafte Besorgnis über die Zunahme von Angriffen und Gewaltanwendung“

Die Vereinten Nationen haben in der Vergangenheit immer wieder auf den Schutz derjenigen Männer und Frauen gedrängt, die in Konfliktgebieten das Leid der Betroffenen lindern und Frieden herbeiführen wollen.

So lesen wir beispielsweise in einer Erklärung vom 12. März 1997: „Der Sicherheitsrat […] bekundet seine ernsthafte Besorgnis über die jüngste Zunahme von Angriffen und Gewaltanwendung – wie etwa Mord, physische und psychologische Drohungen, Geiselnahme, Beschuss von Fahrzeugen und Luftfahrzeugen, Minenlegen, Plünderung von Eigentum und sonstige feindselige Handlungen – gegen Personal der Vereinten Nationen und sonstiges beigeordnetes Personal bei Einsätzen der Vereinten Nationen sowie gegen Personal internationaler humanitärer Organisationen. Der Rat ist außerdem ernsthaft besorgt über Angriffe auf Räumlichkeiten […]. Der Rat ist darüber besorgt, dass diese Angriffe und die Gewaltanwendung in einigen Fällen von bestimmten Gruppen mit dem ausdrücklichen Ziel begangen wurden, Verhandlungsprozesse und internationale Friedenssicherungstätigkeiten zu stören und den Zugang für humanitäre Organisationen zu behindern.“

Innerhalb eines Jahres Rückgang um rund 440 sicherheitsrelevante Vorfälle

Wie nun stellt sich die aktuelle Sicherheitslage für die Helfer dar? Der Bericht, der bereits die ersten sechs Monate dieses Jahres mit berücksichtigt, gibt einen Überblick über das globale Sicherheitsumfeld des VN-Personals und beschreibt die gegenwärtigen Bedrohungslagen sowie die Risiken und Herausforderungen für Blauhelme und Zivilangestellte der Organisation. Dabei steht der Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 30. Juni 2017 im Mittelpunkt.

Im Jahr 2016 gab es 1381 sicherheitsrelevante Vorfälle mit Zivilpersonal der Vereinten Nationen, im Vorjahr 2015 waren es noch 1819 gewesen. An der Spitze der 2016 gemeldeten 1381 Delikte stehen Raubdelikte (375), gefolgt von Wohnungseinbrüchen (316) sowie Bedrohung und Einschüchterung von VN-Angehörigen (150).

Besorgniserregend sind die Zahlen für das erste Halbjahr 2017: Es gibt bereits 234 räuberische Attacken auf Personal der VN, 206 Wohnungseinbrüche und 132 Fälle von Einschüchterung. Die Gesamtzahl der bisher registrierten Vorfälle in den ersten Monaten dieses Jahres – insgesamt 905 – verheißt demnach für die Statistik nichts Gutes. Kehrt sich der Positivtrend bald wieder um?

Im aktuellen Berichtszeitraum starben 28 zivile Mitarbeiter der Organisation

Als Folge direkter Gewalteinwirkung verloren im vergangenen Jahr zehn Zivilmitarbeiter der Organisation ihr Leben (2015 waren es 23 gewesen), 70 Mitarbeiter wurden verletzt (2015: 99). Im ersten Halbjahr 2017 starben vier VN-Angehörige durch gezielte Gewaltakte, 29 wurden verletzt. Alles in allem ist auch der Trend der in Ausübung ihres Dienstes durch Gewalt ums Leben gekommenen Zivilpersonen der Vereinten Nationen rückläufig – 2011: 26, 2012: 19, 2013: 18, 2014: 15, 2015: 23.

Betrachtet man auch die Todesfälle, die durch sonstige sicherheitsrelevante Ereignisse zu beklagen sind (2015: 16, 2016: 11 und erstes Halbjahr 2017: 3), dann haben die Vereinten Nationen im Zeitraum 1. Januar 2016 bis 30. Juni 2017 insgesamt 28 zivile Mitarbeiter verloren. Die Nichtregierungsorganisationen, die eng mit den VN zusammenarbeiten, betrauern für denselben Zeitraum 51 Opfer von direkter Gewalt und sonstigen Sicherheitsvorfällen.

Einen starken Anstieg verzeichnet die Statistik der Weltorganisation bei den Angriffen und Übergriffen auf VN-Räumlichkeiten. Waren es 2014 „nur“ neun solcher Vorfälle gewesen, so erhöhte sich die Zahl 2015 bereits auf 35 und 2016 sogar auf 56. Für das erste Halbjahr 2017 wurden schon 22 Fälle gemeldet. Als gefährlichste Einsatzländer gelten nach wie vor Afghanistan, Haiti, der Jemen, Mali, der Südsudan und die westsudanesische Provinz Darfur sowie die Zentralafrikanische Republik.

Kriminelle verantwortlich für mehr als die Hälfte der VN-Todesfälle

Auch 2016 waren kriminell motivierte Angriffe auf Zivilbedienstete der Vereinten Nationen Hauptgrund für die tragischen Verluste an Menschenleben. Von den zehn im vergangenen Jahr getöteten Frauen und Männern der Organisation waren fünf Opfer von Kriminellen, drei Personen starben bei terroristischen Attacken, zwei im Laufe von kriegerischen Auseinandersetzungen.

Der Sicherheitsbericht macht deutlich, dass die kriminellen Fälle, bei denen VN-Angehörige die Opfer waren, seit dem Jahr 2014 ständig zurückgegangen sind. Man darf bei diesem positiven Trend aber nicht übersehen, dass in den letzten fünf Jahren durchschnittlich 57 Prozent der VN-Todesfälle auf Gewaltverbrechen zurückzuführen waren. Im Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni dieses Jahres meldeten bereits 554 Mitarbeiter der Organisation, von Kriminellen attackiert worden zu sein.

Auf relativ geringem Niveau bewegten sich in den vergangenen fünf Jahren die Zahlen ziviler VN-Opfer durch Terrorangriffe. Waren es im Jahr 2011 noch 13 Terroropfer, so sank die Zahl im Folgejahr 2012 auf 1 (2013: 2, 2014 und 2015 jeweils 6, 2016: 3). Im ersten Halbjahr 2017 wurden bislang bei den Vereinten Nationen noch keine Toten durch Terrorattacken verzeichnet. Allerdings warnt die Organisation, dass sich dies im Laufe der verbleibenden Wochen immer noch dramatisch ändern könnte. Oftmals genüge dafür nur ein einziger Vorfall, der dann eine fatale Sogwirkung entfalten könne (Anm.: siehe auch Bildhinweise am Ende unseres Beitrags).

Sexuelle Übergriffe auf weibliches Personal der Vereinten Nationen nehmen zu

Militärisches Personal der Vereinten Nationen, die „Blauhelme“, sehen sich übrigens mit ähnlichen Bedrohungsszenarien konfrontiert, wie das zivile Personal der Organisation. So hatten die Peacekeeper in den Jahren 2015 und 2016 jeweils 31 Tote in ihren Reihen zu beklagen. Die Zahl der insgesamt registrierten Sicherheitsvorfälle stieg von 97 im Jahr 2015 auf 186 im Jahr 2016. Die größten Bedrohungen für die Blauhelmsoldaten sind auch weiterhin: Gefechte, indirektes Feuer, Angriffe aus dem Hinterhalt, Sprengfallen, Landminen, Blindgänger, Selbstmordattentate und Entführungen.

Einen ganz besonderen Schutz verdienen nach Aussage von António Guterres die weiblichen Mitarbeiter der Organisation. Sie stellen etwa 40 Prozent des in aller Welt eingesetzten Personals. 2016 entfielen rund 37 Prozent aller gemeldeten sicherheitsrelevanten Vorfälle auf weibliche VN-Angehörige. Die Statistik verzeichnet zudem einen alarmierenden Anstieg sexueller Übergriffe auf Frauen. Dazu Guterres: „Der aktueller Bericht zeigt, dass örtlich rekrutiertes und weibliches Personal besonders gefährdet ist. Große Sorgen bereitet uns auch der stetige Anstieg der gemeldeten Übergriffe auf weibliche Mitarbeiterinnen der Vereinten Nationen.“ Der Generalsekretär wies bei der Präsentation des Reports darauf hin, dass die Vereinten Nationen eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber demjenigen Personal hätten, das am stärksten den Sicherheitsrisiken ausgesetzt sei. Eine besondere Verantwortung habe man auch gegenüber den lokalen Mitarbeitern. Besonders besorgniserregend sei zudem das Ausmaß der Gewalt, die sich gegen medizinisches Personal und medizinische Einrichtungen der Vereinten Nationen richte.

„Die Instabilität dieser Welt scheint nicht geringer geworden zu sein – im Gegenteil“, so Guterres abschließend. „Und trotzdem bittet die Internationale Gemeinschaft die Vereinten Nationen immer wieder, mit ihrem Personal auch an den gefährlichsten Orten der Welt präsent zu sein.“


Zu unserer Bilderfolge:
1. Angehörige der VN-Mission MINUSMA (Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali/United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali) ehren drei Blauhelmsoldaten aus dem Tschad, die am 26. Oktober 2017 bei einem Angriff auf ihren Konvoi ums Leben kamen. Der Vorfall ereignete sich in der Mali-Region Kidal und wurde von der Statistik der Vereinten Nationen im aktuellen Sicherheitsbericht noch nicht berücksichtigt.
(Foto: Harandane Dicko/MINUSMA/United Nations)

2. Das Hintergrundbild unserer ersten Infografik zeigt die Fahne der Vereinten Nationen auf Halbmast. Die Aufnahme wurde am 29. Oktober 2009 in Kabul gemacht, einen Tag nach dem Terrorangriff auf das Gästehaus der Organisation in der afghanischen Hauptstadt. Bei dem Überfall starben fünf VN-Mitarbeiter, zahlreiche andere Mitarbeiter wurden verletzt.
(Foto: Mark Garten/United Nations; Infografik © mediakompakt 11.17)

3. Unsere zweite Infografik ist aufgebaut auf einem Bild vom 19. August 2003 aus Bagdad. Die Aufnahme entstand unmittelbar nach dem verheerenden Bombenanschlag auf das Hauptquartier der Organisation in der irakischen Hauptstadt. Der Anschlag, ausgeführt mit einem Transportfahrzeug, forderte 22 Todesopfer. Unter den Toten war auch der VN-Sonderbeauftragte im Irak, Sergio Vieira de Mello. Der 55 Jahre alte Brasilianer galt als einer der begabtesten Diplomaten in der Weltorganisation. Zu dem Anschlag bekannte sich damals einer der meistgesuchten Terroristen der Welt, Abu Musab al-Zarqawi. Der Jordanier, der für unzählige Morde verantwortlich war, wurde am 7. Juni 2006 bei einem Luftangriff der US-Truppen im Irak getötet.
(Foto: Timothy Sopp/United Nations; Infografik © mediakompakt 11.17)

Unser Großbild auf der START-Seite zeigt einen Container der Blauhelme im MINUSMA-Camp in Kidal, Mali. Am 12. Februar 2016 wurde der VN-Stützpunkt mit Raketen und einer Autobombe attackiert. Sechs MINUSMA-Angehörige aus Guinea starben, zahlreiche weitere Menschen wurden verletzt.
(Foto: Marco Dormino/United Nations)

 


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