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Pjöngjang (Nordkorea)/Washington/Brüssel/Berlin. Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un hat sich am gestrigen Montag (14. August) von seiner Militärführung Pläne für einen Raketenabschuss in Richtung der westpazifischen Insel Guam vorlegen lassen. Am Schluss seines Besuches im Kommando der Raketenstreitkräfte schien er jedoch um Deeskalation bemüht. Einer Meldung der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA zufolge soll er beschlossen haben, zunächst doch noch „für kurze Zeit das Verhalten der Yankees“ beobachten zu wollen. Der amerikanische Verteidigungsminister James N. Mattis sagte gestern vor Journalisten: „Sollte ein nordkoreanischer Flugkörper US-Boden treffen – etwa Guam – dann gebe es kein Halten mehr (it’s ,Game on‘).“ Guam zählt zu den sogenannten Außengebieten der USA. Präsident Donald Trump hatte erst vor einigen Tagen auf die aggressive Haltung Nordkoreas, besonders auf die neuerlichen Raketentests, mit einer erschreckenden Warnung reagiert. Sein Land werde auf weitere Raketenversuche Pjöngjang „mit Feuer und Wut“ antworten, so Trump. Widersacher Kim Jong Un hatte daraufhin eine Raketenattacke nahe von Guam angedroht. Falls dieses Szenario eintreten würde, müsste dann nicht die NATO den USA gegen Nordkorea beistehen?

Geostrategisch ist die mit 549 Quadratkilometern größte Insel des Marianen-Archipels für die Vereinigten Staaten von herausragender Bedeutung. Hier liegt die Andersen Air Force Base, die den USA als Logistikdrehscheibe und Basis für Truppenverlegungen in den Südwestpazifik oder Indischen Ozean dient. Von hier aus starten auch die strategischen Bomber der Amerikaner zu ihren Flügen über die koreanische Halbinsel. Im Südwesten Guams unterhält die U.S. Navy die Apra Harbour Naval Base.

Guam ist allerdings kein Teil der USA. Die Insel besitzt den Status eines nicht-inkorporierten Territoriums der USA (Anm.: inkorporieren = angliedern, in einen anderen Staat eingliedern). Die Einwohner sind zwar von Geburt an US-Bürger, ein Stimmrecht bei Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten haben sie aber trotz ihres Passes nicht. Es wird damit gerechnet, dass es über kurz oder lang auf Guam zu einem Referendum über den politischen Status des Gebietes kommen wird. Dabei soll es drei Wahlmöglichkeiten geben: vollständige Unabhängigkeit, Wahrung des gegenwärtigen Zustandes jedoch mit mehr Befugnissen, Aufnahme in die Vereinigten Staaten als neuer Bundesstaat.

Ausrufung des Bündnisfalles wäre eine rein politische Entscheidung

Im Falle eines nordkoreanischen Angriffs auf Guam wären die NATO-Partner der USA nicht verpflichtet, Washington militärisch beizustehen. Wie ein Sprecher des Bündnisses am Donnerstag vergangener Woche (10. August) erklärte, gehöre Guam nicht zu dem Gebiet, für das die Beistandspflicht im Nordatlantikvertrag von 1949 festgeschrieben worden sei. Es wäre demnach „eine rein politische Entscheidung“, ob die Alliierten bei einem Angriff gegen die etwa 2000 Kilometer östlich der Philippinen gelegene Pazifikinsel den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages ausrufen würden oder nicht.

In Artikel 5 haben „die Parteien vereinbart“, dass „ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird“. In Artikel 6 finden wir dann allerdings eine Gebietseinschränkung. Dort heißt es unter anderem: „Im Sinne des Artikels 5 gilt als bewaffneter Angriff auf eine oder mehrere der Parteien jeder bewaffnete Angriff auf das Gebiet eines dieser Staaten in Europa oder Nordamerika […] sowie auf das Gebiet der Türkei oder auf die der Gebietshoheit einer der Parteien unterliegenden Inseln im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses.“ Da die Insel Guam südlich des Wendekreises des Krebses – auch nördlicher Wendekreis genannt – liege, sei sie in dieser Definition nicht mit eingeschlossen, argumentierte der NATO-Sprecher.

Kurz nach Bekanntwerden der NATO-Einschätzung im Hinblick auf eine mögliche Beistandsverpflichtung hatte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich Kanzlerin Angela Merkel aufgefordert, sich im Nordkorea-Konflikt von Trump zu distanzieren. „Die Bundeskanzlerin muss mit europäischen NATO-Partnern jetzt dem US-Präsidenten unmissverständlich deutlich machen, dass wir weder die Tonlage noch mögliche militärische Handlungen unterstützen.“ Die jüngsten verbalen Drohungen zwischen Nordkorea und den USA seien besorgniserregend und beinhalteten ein „hohes Eskalationsrisiko“.

Bundeskanzlerin warnt ausdrücklich vor einer „Eskalation der Sprache“

Die Bundesregierung hatte in den vergangenen Tagen bei verschiedenen Gelegenheiten ihre Haltung zum Nordkorea-Konflikt deutlich gemacht. So hatte Kanzlerin Merkel am vergangenen Freitag (11. August) in Berlin vor einer „Eskalation der Sprache“ gewarnt. Dies sei die „falsche Antwort“ und trage nicht zu einer Lösung bei. Auch sehe sie keine militärische Lösung dieses Konfliktes, so Merkel.

Die richtige Antwort auf den Konflikt sei „beständige Arbeit“ an einer friedlichen Lösung, wie sie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geleistet werde. Wichtig sei dabei eine „sehr enge Kooperation der betroffenen Länder“, also vor allem der USA, Chinas, Japans und Südkoreas. Deutschland werde bei den bestehenden „Lösungsmöglichkeiten nichtmilitärischer Art intensiv mit dabei sein“, versicherte die Kanzlerin.

Nukleare Aufrüstung Pjöngjangs für gegenwärtige Krise verantwortlich

Regierungssprecher Steffen Seibert hatte zuvor in der Regierungspressekonferenz betont, dass eine militärische Verschärfung der Auseinandersetzung auf der koreanischen Halbinsel „unvorstellbare Risiken“ berge und auch eine „Eskalation der Sprache“ nicht zu Lösung des Problems beitragen könne. Seibert wörtlich: „Was wir brauchen, sind weiterhin einmütige, politische und diplomatische Bemühungen der Weltgemeinschaft – und der Ort dafür ist der VN-Sicherheitsrat.“

Allerdings verurteilte der Regierungssprecher am Freitag auch mit deutlichen Worten das Vorgehen Pjöngjangs. „Die nordkoreanische Regierung verstößt massiv gegen das Völkerrecht; ohne die nukleare Aufrüstung Nordkoreas wäre es zu dieser gegenwärtigen Situation nicht gekommen“, sagte Seibert. Es liege daher auch in der Verantwortung Nordkoreas, diese Situation nun wieder zu ändern.

Die stellvertretende Regierungssprecherin, Ulrike Demmer, hatte bereits am Mittwoch (9. August) in der Regierungspressekonferenz erklärt: „Die immer neuen nuklearen Drohungen und Drohgebärden der nordkoreanischen Führung sind eine ernsthafte Bedrohung des Friedens in der Region und weit darüber hinaus.“ Das Raketen- und Nuklearwaffenprogramm der nordkoreanischen Führung stelle „einen vielfachen Bruch des Völkerrechts“ dar. Die Internationale Gemeinschaft habe in der vergangenen Woche mit der Verhängung zusätzlicher Sanktionen die unvermeidlichen Konsequenzen aus dem Vorgehen Nordkoreas gezogen, erinnerte Demmer. Ziel der Bundesregierung sei die Vermeidung weiterer militärischer Eskalation und die Beilegung der Konflikte im nordpazifischen Raum auf friedlichem Wege.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Guam mit seinem Luftwaffenstützpunkt Andersen Air Force Base und der Naval Base ist für die USA geostrategisch von großer Bedeutung. Alleine auf der Air Base arbeiten rund 6900 Soldaten und Zivilbedienstete.
(Foto: amk)

2. Das Hintergrundfoto unserer Infografik zeigt einen US-Langstreckenbomber des Typs Rockwell B-1B Lancer beim Start zu einem Nachtübungsflug am 6. Juli 2017. An den Flügen nahmen auch Maschinen der japanischen Luftwaffe teil.
(Foto: Jacob Skovo/U.S. Air Force)

Kleines Beitragsbild: Überschallschnelle, strategische Langstreckenbomber B-1B Lancer auf der Andersen Air Force Base bei Sonnenaufgang. Die USA demonstrieren immer wieder vor Nordkorea ihre militärische Stärke. So flogen beispielsweise im Juli 2017 zwei Lancer bis an die militärische Demarkationslinie zwischen den verfeindeten Nachbarstaaten heran und simulierten einen Angriff auf nordkoreanische Ziele. Die Bomber wurden begleitet von südkoreanischen F-15 und amerikanischen F-16. Auf dem Rückweg nach Guam eskortierten Kampfjets des Typs F-2 der japanischen Luftwaffe die beiden amerikanischen B-1B.
(Foto: Richard Ebensberger/U.S. Air Force)


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