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Brüssel/Berlin. Die NATO will deutlich mehr Militärpersonal für die Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission „Resolute Support“ in Afghanistan stellen. Nach Angaben von Jens Stoltenberg, Generalsekretär des Bündnisses, soll dort die Zahl der NATO-Soldaten im nächsten Jahr von derzeit rund 13.000 auf etwa 16.000 steigen. Er kündigte diese Truppenaufstockung in Brüssel bei seiner Pressekonferenz am gestrigen Dienstag (7. November) im Vorfeld der Tagung der NATO-Verteidigungsminister an. Die Minister beraten am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche (8. und 9. November) nicht nur über die Mission in Afghanistan, sondern unter anderem auch über eine neue Kommandostruktur und über Leitlinien für militärische Cyberangriffe.

Die geplante Aufstockung der Berater für die afghanischen Sicherheitskräfte ist eine Reaktion auf die wachsende Dominanz der Taliban und anderer Aufständischer in vielen Teilen des Landes. Auch die Ausbreitung der Terrorbewegung „Islamischer Staat“ (IS) am Hindukusch bereitete der NATO große Sorgen.

Generalsekretär Stoltenberg sagte bei seiner gestrigen Pressekonferenz: „Die Sicherheitslage in Afghanistan ist und bleibt instabil. Aber die nationalen Streitkräfte machen Fortschritte und hindern die Taliban daran, ihre strategischen Ziele zu erreichen. Die USA haben bereits beschlossen, mehr Truppen zu entsenden. Auch andere Bündnisnationen und Partnerländer wollen zusätzliche Verpflichtungen eingehen.“ Der Westen sei in Afghanistan nicht mehr an Kampfhandlungen beteiligt, so der NATO-Chef weiter. „Aber wir sind mit unseren Kräften dort, um die afghanischen Sicherheitskräfte in ihren Fähigkeiten im Kampf gegen die Aufständigen und den internationalen Terrorismus zu stärken.“ Die Aufstockung des NATO-Personals in Afghanistan mache es möglich, mehr einheimische Soldaten und Polizisten auszubilden. Auch dieser Beitrag ebne letztendlich den Weg für eine dauerhafte politische Lösung am Hindukusch.

Deutsche Beteiligung an zusätzlichem Militärpersonal eher unwahrscheinlich

Ob sich auch die Bundeswehr im kommenden Jahr mit mehr Personal an der „Resolute Support Mission“ (RSM) beteiligen wird, ist fraglich. Laut einem Bericht von Spiegel online vom 7. Oktober soll zwar das Verteidigungsministerium nicht ausschließen, eventuell mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan zu entsenden (wir berichteten). Entschieden ist jedoch – auch angesichts der weiterhin offenen Regierungsbildung – nichts.

Derzeit (Stand 30. Oktober) hat die Bundeswehr 943 Soldaten zu RSM abkommandiert, darunter 69 Frauen und 79 Reservisten. Die Mandatsobergrenze liegt momentan bei 980 Bundeswehrangehörigen.

Militärischer Rückzug der USA aus Afghanistan vorerst „keine Option“

Pläne für ein stärkeres Engagement des Westens in Afghanistan gibt es bereits seit etlichen Monaten. Besonders die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump in der Nacht vom 22. August (deutscher Zeit), die Anstrengungen im Kampf gegen die Aufständischen und Terrorgruppierungen verstärken zu wollen, stellte grundsätzlich die Weichen für eine erneute Intensivierung des Afghanistaneinsatzes.

Bei seiner Rede in Fort Myer an die Nation hatte Trump erklärt, ein militärischer Rückzug im Kampf gegen die Taliban und andere Terrornetzwerke wie al-Qaida oder den IS sei „keine Option“. Konkrete Zahlen zu einer möglichen Truppenaufstockung in Afghanistan hatte er allerdings nicht genannt (zuvor hatte jedoch Fox News unter Berufung auf amerikanische Regierungskreise berichtet, die aktuelle US-Truppenstärke von 8400 Mann würde demnächst um weitere 4000 GIs erhöht).

Hat die Regierung in Kabul das Vertrauen der Menschen längst verspielt?

Die Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger, Verteidigungsexpertin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, kritisierte die aktuelle Entwicklung heftig. Sie halte nichts davon, mehr NATO-Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Dies sei eine Strategie, die bereits in der Vergangenheit erfolglos gewesen sei, sagte sie dem Südwestrundfunk (SWR) am heutigen Mittwoch.

Brugger äußerte sich im SWR2-Sendeformat „Tagesgespräch“ vor dem Hintergrund des Treffens der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel. Es folgen Auszüge aus dem Interview, das Moderatorin Marion Theis führte …

Marion Theis: Die NATO stockt ihre Truppen in Afghanistan um 3000 Mann auf. Können mehr NATO-Soldaten das Töten dort beenden?
Agnieszka Brugger: Ich habe die Rede von Donald Trump mit sehr großer Kritik verfolgt, weil ich den Eindruck habe, dass man beim Afghanistaneinsatz – der schon über 15 Jahre geht, der sehr unterschiedliche Phasen durchlaufen hat, der verschiedene militärische Einsätze beinhaltet hat – jetzt wieder in eine alte und gefährliche Logik zurückfällt, mit der man sagt: wir brauchen wieder mehr Soldaten, wir müssen wieder offensiver vorgehen – ja, wir versuchen sogar, die Taliban militärisch zu besiegen.
Das ist eine Strategie, mit der man schon einmal gescheitert ist, mit der man wahrscheinlich sogar auch zu mehr Gewalt beigetragen hat. Themen wie ,ziviler Wiederaufbau‘ oder ,Regionallösung mit Pakistan und Indien‘ sind ja alle wieder [von der Tagesordnung] verschwunden. Deshalb macht mir das große Sorgen, was da gerade bei der NATO diskutiert wird.

Aber ist es denn nicht lobenswert, dass die restliche Welt die Afghanen nicht einfach sich selbst überlässt?
Brugger: Aus meiner Sicht haben wir eine besondere Verantwortung in Afghanistan – auch eben durch die Militäreinsätze der letzten Jahre, und man darf die Menschen in Afghanistan nicht alleine lassen. Es braucht verlässliche Zusagen zum Wiederaufbau. Es ist aber auch klar, dass diese Mission, die ja vor allem die Ausbildung der Sicherheitskräfte zum Ziel hat, nur Erfolg haben kann, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen.
Also, ich kann es eigentlich immer noch nicht fassen, wie nach der letzten Wahl in Afghanistan die Regierung das große Vertrauen verspielt hat. Wie sie die hohe Hoffnung, die die Menschen in sie gesetzt haben, enttäuscht hat, und weiter gemacht hat mit einer Klientelpolitik, mit Korruptionspolitik, die dazu beiträgt, dass die Lage in Afghanistan leider immer düsterer wird.

Frau Brugger, Sie sagen, der politische Rahmen muss stimmen. Aber wie können wir denn von außen darauf einwirken: Ist das nicht unmöglich?
Brugger: Also, das ist eine Frage, die habe ich in den letzten Jahren immer wieder an die Bundesregierung, an die NATO gestellt. Wenn man sagt, man will keine Abzugsperspektive, kein festes Datum mehr, sondern man möchte jetzt ,condition-based‘ – also diesen Einsatz anhand von bestimmten Kriterien gestalten –, dann muss man schon irgendwie auch eine Antwort haben. Etwa: welche Kriterien das denn sind, oder woran man Erfolg und Misserfolg dieses Einsatzes misst. Da ist immer großes Schweigen. Ich glaube nicht, dass das die richtige Aufstellung ist.
Und es muss neue, politische Anstrengungen geben, die eben auch die regionale Komponente – die Rolle von Pakistan und Indien – mit in den Blick nehmen. Das kommt mir zu kurz. Ich hoffe, dass die anderen NATO-Staaten auch noch mal klarmachen, dass sie diesen Kurs von Donald Trump eigentlich sehr kritisch sehen.

(Anm.: Die frühere US-Regierung unter Barack Obama hatte das amerikanische Engagement in Afghanistan als zeitlich befristet definiert und offen eine Truppenreduzierung und späteren Truppenabzug favorisiert = die „time-based“-Strategie. Nach dem Trump’schen Ansatz ziehen sich die USA vorerst nicht aus Afghanistan zurück, nennen auch keinerlei Abzugstermin, sondern knüpfen Truppenreduzierungen und Abzug an Bedingungen = „condition-based“-Strategie.)


Die beiden Aufnahmen zeigen:
1. Tagung der NATO-Verteidigungsminister am 8. und 9. November 2017 in Brüssel – die Aufnahme zeigt US-Verteidigungsminister James Mattis (links) im Gespräch mit Jens Stoltenberg, Generalsekretär der Allianz.
(Foto: NATO)

2. Blick auf die Ministerrunde.
(Foto: NATO)

3. Die Abgeordnete Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) am 17. Dezember 2015 im Bundestag während der Debatte um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.
(Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag)

Kleines Beitragsbild: NATO-Generalsekretär Stoltenberg am 7. November 2017 bei seiner Brüsseler Pressekonferenz. Hier äußerte er sich auch zum Thema „Truppenstärke in Afghanistan“.
(Foto: NATO)


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