Hamburg/Karlsruhe. Die Generalbundesanwaltschaft plant eine deutlich schärfere Strafverfolgung von Frauen, die sich der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien oder im Irak angeschlossen hatten. Das sagte Generalbundesanwalt Peter Frank gegenüber der Recherchekooperation von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung. Bislang waren IS-Anhängerinnen aus Deutschland fast nie strafrechtlich belangt worden. Zwar hatte es Ermittlungsverfahren gegeben, doch mündeten diese nur in sehr wenigen Fällen in Gerichtsprozesse.
Die Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung konnte Frauen – anders als Männern – bislang schwer nachgewiesen werden. Nun könnten Frauen, die zum IS ausgereist sind, Strafverfahren drohen. Dazu Generalbundesanwalt Frank: „Wir sind der Meinung, dass sich auch bei diesen Frauen die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation bejahen lässt, weil diese Frauen die innere Struktur des sogenannten ,Islamischen Staates‘ und damit dieser Terrororganisation stärkten.“ Endgültig werde darüber der Bundesgerichtshof entscheiden.
Von dem neuen Vorgehen könnten auch diejenigen Frauen betroffen sein, die derzeit in irakischen Haftanstalten auf ihren Prozess warten. Nach Recherchen von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung befinden sich aktuell mindestens sieben deutsche Frauen mit neun Kindern in irakischer Haft. Ihnen wird dort die Mitgliedschaft beim IS und der illegale Grenzübertritt in den Irak vorgeworfen.
Unter den Frauen ist auch die inzwischen 17-jährige Linda W. aus Pulsnitz in Sachsen. Im Beisein ihrer Mutter und ihrer Schwester gab sie Reportern des Rechercheteams vor Kurzem ein Interview. Sie sprach über ihren Radikalisierungsprozess, die Reise in das selbst ernannte Kalifat und ihre Erlebnisse im „Islamischen Staat“. Sie gab sie sich reuevoll: „Ich weiß nicht, wie ich auf so eine dumme Idee kommen konnte, zum IS zu gehen. Ich habe mir mein Leben damit ruiniert.“
Das Erste sendete Teile des Interviews am gestrigen Donnerstag (14. Dezember) in einem Extrabeitrag „Der Fall Linda W. – Europas Dschihadisten in irakischer Haft“.
Linda war im Juli 2016 über Nacht aus Pulsnitz, eine Kleinstadt im sächsischen Landkreis Bautzen, verschwunden. Die Mutter hörte lange nichts, dann erhielt sie eine Nachricht: Sie sei am Leben, schrieb Linda W., die Mutter solle sie „nicht zuheulen“. Sie wisse, dass der Verfassungsschutz mitlese, texte das Mädchen weiter. Und dann: … „ein paar worte an euch dreckige hunde […] es werden noch viele viele anschläge bei euch folgen“.
Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen Linda W. und die anderen deutschen Frauen im Irak. Die Pulsnitzerin beteuerte im Interview, nie im Umgang mit Waffen geschult worden zu sein oder Kampferfahrung gesammelt zu haben. Sie wisse nicht, wie eine Waffe funktioniere, sagte Linda W. dem Reporterteam aus Deutschland, „ich war nur in Häusern, also ich hab nie mit Waffen so richtig was zu tun gehabt, gar nicht“.
Ihre Aussagen lassen sich nur schwer überprüfen. Sollte jedoch der Bundesgerichtshof dem Vorschlag des Generalbundesanwalts folgen, könnte allein die Tatsache, dass der Teenager sich dem IS angeschlossen hat, zu einer Anklage wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung führen.
Sequenz aus dem Tagesthemen-Beitrag „Der Fall Linda W. – Deutschlands Umgang mit IS-Unterstützern“, der am 14. Dezember 2017 vom Ersten vor der eigentlichen Gemeinschaftsdokumentation von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung („Der Fall Linda W. – Europas Dschihadisten in irakischer Haft“; von Britta von der Heide, Amir Musawy, Volkmar Kabisch und Georg Mascolo) ausgestrahlt worden ist. Das Bildschirmfoto zeigt die mittlerweile 17-jährige Linda W. aus dem sächsischen Pulsnitz beim Interview mit dem deutschen Reporterteam.
(Videostandbild: Tagesthemen/Das Erste)
Kleines Beitragsbild: Das Bildschirmfoto zeigt bewaffnete weibliche Mitglieder der Terrorbewegung „Islamischer Staat“. Die Sequenz stammt aus der Sky News-Dokumentation „What it’s like to be a Woman in Islamic State“, die erstmals im April 2015 gesendet worden ist.
(Videostandbild: Quelle Sky News Großbritannien)