München/Köln/Overberg (Südafrika). Ein vor mehr als sechs Jahren als „Open Innovation“-Projekt ins Leben gerufene Gemeinschaftsvorhaben nationaler Forschungseinrichtungen und der Rüstungsindustrie feierte am 5. Juli Premiere. An diesem Mittwoch flog über dem südafrikanischen Testgelände Overberg der unbemannte, strahlgetriebene Technologie-Demonstrator mit Projektnamen „Sagitta“ rund sieben Minuten völlig autonom auf einem vorprogrammierten Kurs. Die „Nurflügel“-Konstruktion, der jegliche Leitwerke fehlen, zeigte dabei herausragende Flugeigenschaften. Mit dem Overberg-Flug wurde jetzt die erste Erprobungsphase, die auch umfangreiche Testreihen am Boden umfasste, erfolgreich abgeschlossen. Dies meldeten am 18. Juli in jeweils separaten Pressemitteilungen das Unternehmen Airbus Defence and Space sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Airbus ist Urheber des rein industriefinanzierten Vorhabens „Open Innovation/SAGITTA“ (sagitta: aus dem Lateinischen für „Pfeil“; Sternbild des Nordhimmels). Die Rüstungssparte des Konzerns arbeitet seit 2011 – zu Beginn noch unter dem Namen EADS beziehungsweise Cassidian – gemeinsam mit dem DLR und universitären Forschungseinrichtungen an dem Projekt und vergibt dabei die verschiedenen Aufträge.
Beteiligt sind im Einzelnen das DLR-Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik (Braunschweig), das DLR-Institut für Flugsystemtechnik (Braunschweig), das DLR-Institut für Systemdynamik und Regelungstechnik (Weßling-Oberpfaffenhofen) sowie Institute der Technischen Universitäten in München und Chemnitz, der Technischen Hochschule Ingolstadt und der Universität der Bundeswehr München.
Das Drohnenmodell, das vom DLR als „Technologieerprobungsträger“ und bei Airbus als „Forschungsträger“ bezeichnet wird, ist im Maßstab 1:4 entworfen und misst drei Mal drei Meter. Der Demonstrator ist als rochenförmiger „Nurflügler“ ausgelegt und wird von zwei 300N-Turbinen angetrieben. Sein maximales Startgewicht beträgt 150 Kilogramm. Die Sagitta-Zelle ist vollständig aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff (CFK) hergestellt. Mit Ausnahme der Bremsen handelt es sich um ein „elektrisches Fluggerät“, das anstelle von Hydraulik-Komponenten über elektromechanische Stellantriebe gesteuert wird.
Sagitta ist kein seriennahes Produkt. Das System dient lediglich dazu, wesentliche Erkenntnisse über neue Technologien für unbemannte Flugsysteme zu sammeln und – so Airbus in seinem Pressetext – „Produkte der nächsten Generation zur Anwendungsreife“ zu bringen.
Wie der Auftraggeber Airbus weiter erläutert, war im Rahmen des Projekts zunächst eine Machbarkeitsstudie mit einer „Nurflügel“-Konfiguration durchgeführt worden. Entwurfskriterien hierbei waren ein hoher Grad an Autonomie, eine variable Missionsgestaltung und geringe Wahrnehmbarkeit (Stichworte „Tarnkappentechnik“ und „Stealth-Eigenschaften“) gewesen. Hierzu hatte das gemischte Forschungsteam Lösungsansätze aus der akademischen und industriellen Forschung genutzt, diese weiterentwickelt und schließlich in die industriellen Anwendungslösungen mit einbezogen.
Airbus hatte während dieser Phase den permanenten Austausch zwischen Experten, Doktoranden und Entwicklern begleitet. Zudem hatte der Konzern die notwendigen industriellen Einrichtungen, die zur Integration der Technologien im Demonstrator notwendig waren, im militärischen Luftfahrtzentrum des Unternehmens in Manching zur Verfügung gestellt.
Grazia Vittadini, Leiterin „Engineering“ bei Airbus Defence and Space, sagte nach dem Test in Overberg: „Mit dem Erstflug von Sagitta haben wir bewiesen, wie erfolgreich die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaftspartnern im Bereich der Grundlagenforschung sein kann.“ Und: „Gerade bei der Drohnenentwicklung setzen wir verstärkt auf derartige innovative Konzepte, um schnell und effizient Produkte für einen wachsenden Markt entwickeln zu können.“
Während Airbus Sagitta lediglich als „neuartiges Fluggerät“ zur Entwicklung künftiger serienreifer Drohnen – Unmanned Aerial Vehicle (UAV) – beschreibt und den Forschungscharakter betont, gibt es auch andere Produktetiketten.
So bezeichnet Wirtschaftsredakteur Gerhard Hegmann den Demonstrator in seinem Welt-Beitrag „Flug in Rückenlage“ vom 25. Juli als „Tarnkappendrohne der nächsten Generation“. Er meint: „Die jetzt erprobten Technologien könnten bei einer künftigen weitgehend autonom fliegenden Kampfdrohne eingesetzt werden.“ Das Wort „Kampfdrohne“ – im Branchenjargon UCAV (Unmanned Combat Aerial Vehicle) – vermeide der Konzern sorgsam, so Hegmann.
Noch deutlicher sagt Matthias Monroy, was er von dem „Nurflügler“ Sagitta hält. Der Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (Die Linke), der in Zeitungen, Zeitschriften und Onlinemedien des linken Spektrums publiziert, hält das in Overberg getestete Fluggerät für den Wegbereiter eines militärischen Systems. In Monroys Artikel „Deutsche Luftkampfdrohne startet zum Erstflug“, erschienen am 19. Juli im Onlinemagazin Telepolis des Heise Zeitschriften Verlages, lesen wir unter anderem: „Mit dem Projekt verfolgt Airbus die Entwicklung einer intelligenten Kampfdrohne. […] Die Universität der Bundeswehr in München hat für Sagitta eine ,Mensch-Maschine-Schnittstelle‘ zur Unterstützung der Piloten in der Bodenkontrollstation entwickelt. Es handelt sich dabei um ein Assistenzsystem zur Planung und Durchführung der Kampfeinsätze. Die Bundeswehr will damit das Missionsmanagement automatisieren und die militärischen Einsätze von Kampfdrohnen vereinfachen.“
Der in Tübingen ansässige Verein „Informationsstelle Militarisierung“ (IMI) befasst sich bereits seit Jahren mit der Thematik unbemannter Luftfahrzeuge. In seiner Analyse „Sagitta – auf dem Weg zum autonomen Krieg?“ vom 12. August 2013 behauptet IMI-Beiratsmitglied und Autor Thomas Mickan: „Sagitta […] ist ein Versuch der deutschen Rüstungsindustrie, unter der Führung von EADS [Anm.: jetzt Airbus] nationales Know-how für die künftigen, teils autonom aus der Luft geführten Kriege zu erlangen und so den politischen Bedürfnissen zu genügen, die unter anderem in ETAP [ETAP = European Technology Acquisition Programme der Europäischen Verteidigungsagentur] formuliert sind. Es muss daher angenommen werden, dass in den kommenden zwei Jahrzehnten die auch mithilfe des Sagitta-Demonstrators erforschten Grundlagen zu einem fertigen Waffensystem weiterentwickelt werden.“
An anderer Stelle der IMI-Analyse schreibt Mickan, der in der Friedens- und Antikriegsbewegung aktiv ist: „Sagitta erfüllt für [Airbus] im weltweiten Industriewettlauf um den wachsenden Drohnenmarkt zwei wichtige Brückenfunktionen. Zum einen bindet es Forschungsnachwuchs. Zweitens verhilft es dem Rüstungsunternehmen, den Anschluss an künftige Schlüsseltechnologien wie die Tarnkappeneigenschaft und die Interaktion von Mensch-Maschine mit der damit verbundenen zunehmenden Autonomie nicht zu verlieren.“
Was sagen der Rüstungskonzern Airbus und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt zu den Schlagzeilen der Tagespresse und Bewertungen der Drohnen-Kritiker?
Eine Nachfrage beim DLR machte deutlich, dass man sich hier mit dem Begriff „Kampfdrohne“ beim Projekt „Open Innovation/SAGITTA“ nach Möglichkeit nicht befassen will. Sollte es bei Sagitta auch militärische Aspekte geben, so sei dies ausschließlich Sache der Politik, hieß es in Köln. Für die an der Entwicklung des „Nurflüglers“ beteiligten DLR-Teams stehe naturgemäß die Grundlagenforschung im Mittelpunkt, betonte ein Sprecher.
Dieser verwies auch auf eine Aussage von DLR-Luftfahrtvorstand Professor Rolf Henke, der die Schwerpunktsetzung für das Zentrum ebenfalls deutlich mache. So habe Henke den erfolgreichen Premierenflug des Drehflüglers mit den Worten kommentiert: „Der Erstflug von Sagitta ist ein weiterer Meilenstein für die Kooperation von Forschung und Industrie. In den von Airbus geschaffenen Rahmenbedingungen konnten wir unser innovatives Potenzial entfalten und die komplexen Technologien des Demonstrators entwickeln und integrieren. Flugzeugbau ist immer Integration, daher freuen wir uns, wenn ein solches gemeinsames Projekt in mehrfacher Hinsicht abhebt.“
Auch bei Airbus kann man dem Begriff „Luftkampfdrohne“ nichts abgewinnen. Ein Vertreter der Sparte „Defence and Space“ versicherte gegenüber dem bundeswehr-journal, dass es sich bei dem nationalen Vorhaben „Open Innovation/SAGITTA“ auf keinen Fall um eine Kampfdrohnenentwicklung handele. „Vielmehr wurden und werden bei diesem Projekt von insgesamt zwölf beteiligten Forschungseinrichtungen verschiedene Designaspekte betrachtet, um gemeinsam zukunftsorientierte Technologien für unbemannte fliegende Systeme zu entwickeln“, so das Statement. Eine zentrale Designeigenschaft sei dabei die Tarnkappeneigenschaft.
Gerhard Hegmann lüftet in seinem bereits zitierten Welt-Beitrag das Geheimnis um die Stealth-Eigenschaften des deutschen Demonstrators: „Bei Sagitta wurden alle Öffnungen und Klappen, die leicht Radarstrahlen reflektieren, an der Unterseite des Modells angebracht – einschließlich der Öffnungen für den Lufteinlass der zwei Triebwerke. Die Oberseite ist hingegen vollkommen glatt. Die Idee ist nun, dass Sagitta auf dem Rücken fliegend sein Ziel ansteuert und damit möglichst lange von Radarstrahlen am Boden unentdeckt bleibt. Erst kurz vor dem Ziel dreht sich die Drohne dann wieder um. Schließlich müssten Bombenschächte oder Aufklärungstechnik nach unten zeigen.“
Zu unserer Bildfolge:
1. Sagitta-Rollout nach Ende der Integrationsarbeiten. Die Aufnahme entstand am 30. März 2015 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig.
(Foto: DLR/unter Lizenz CC-BY 3.0 – vollständiger Lizenztext:
https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/)
2. Erstflug des Technologie-Demonstrators am 5. Juli 2017 über dem südafrikanischen Testgelände Overberg.
(Foto: Andreas Zeitler/Airbus Defence and Space)
3. Das DLR ist mit drei Instituten an Sagitta beteiligt und hat unter anderem die Leichtbaustruktur, ein neuartiges Fahrwerk und die virtuelle Flugerprobung beigetragen.
(Foto: DLR/unter Lizenz CC-BY 3.0 – vollständiger Lizenztext:
https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/)