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Paris/Berlin. Die Mitglieder der Bundesregierung und das französische Kabinett (Conseil des ministres) haben sich am gestrigen Donnerstag (13. Juli) in Paris zum 19. Deutsch-Französischen Ministerrat getroffen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am Nachmittag in einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Deutschland und Frankreich wollten mit ihrer gemeinsamen Arbeit die Europäische Union stärken. Man wisse, dass man die Geschicke Europas mehr in die Hand nehmen „und unseren Menschen sowohl Schutz als auch Sicherheit als auch Fortkommen und Entwicklung geben“ müsse. Vereinbart wurden in der französischen Hauptstadt etliche binationale Projekte und Initiativen in den Bereichen Bildung und Kultur, Wirtschaft und Soziales, Klimaschutz sowie Verteidigung und Sicherheit. Vor allem die Sicherheits- und Verteidigungspolitik rangierte bei diesem Spitzentreffen auf der Agenda weit vorne. So kamen Deutschland und Frankreich überein, künftig zentrale militärische Fähigkeiten – beispielsweise einen neuen Kampfjet oder Landsysteme der nächsten Generation – zusammen entwickeln zu wollen.

In einem Interview mit der Rheinischen Post, das in der Donnerstagausgabe der Zeitung veröffentlicht wurde, hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihre Erwartungen an das bevorstehende Ministerratstreffen skizziert. In Paris sollen – nicht weniger – die Regeln für eine gemeinsame europäische Verteidigung festgelegt werden.

„Deutschland und Frankreich gehen in der EU voran. Wir stecken heute den Rahmen für eine europäische Verteidigungsunion ab und schlagen die ersten Projekte vor“, so von der Leyen im Gespräch mit der Rheinischen Post. Bei der Finanzierung solle ein europäischer Verteidigungsfonds helfen. Es gehe „eher“ um eine Armee der Europäer, die „souverän bleiben, aber wesentlich stärker zusammenarbeiten“ sollten. Der erste Schritt dafür sei bereits getan. „Wir haben seit dem Frühjahr eine gemeinsame europäische Kommandozentrale. Jetzt geht es um die Bedingungen der Zusammenarbeit und ihre Finanzierung“, erläuterte die Verteidigungsministerin.

Erfolgt schon Ende 2017 die Gründung einer „europäischen Verteidigungsunion“?

Von der Leyen will in der Europäischen Union ein hohes Interesse für das neue Verteidigungsbündnis ausgemacht haben, „weil alle Europäer nach der US-Wahl und nach dem Brexit verstanden haben, dass Europa seine Probleme selbst lösen muss“. Sie sei „zuversichtlich, dass wir am Ende dieses Jahres die europäische Verteidigungsunion gegründet haben“, verriet von der Leyen.

Dass am Vormittag der gestrigen Konsultationen Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Macron die Sitzung des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates persönlich leiteten, lässt klare Rückschlüsse auf politische Gewichtungen zu. Es war das erste Mal seit Jahren, dass die Regierungschefs beider Länder in dieser Runde anwesend waren – diesmal saßen, neben Außen- und Verteidigungsminister, auch die Innen- und Entwicklungsminister mit am Tisch.

Mehr Sicherheit für die Menschen in Frankreich, Deutschland und Europa

Zentraler Gegenstand der Beratungen dieser großen Runde war – so dokumentiert es die später veröffentlichte Gemeinsame Erklärung zum Deutsch-Französischen Ministerrat – wie „wir den Menschen in Frankreich, Deutschland und Europa mehr Sicherheit bieten können“.

In dem Abschlussdokument heißt es weiter: „Deutschland und Frankreich setzen sich für eine vertiefte und verbesserte Zusammenarbeit bei der europäischen Sicherheit und Verteidigung ein. Wir haben uns auf gemeinsame Verpflichtungen geeinigt, die es ermöglichen werden, unseren Partnern eine Vereinbarung über einen neuen, ehrgeizigen und inklusiven politischen Rahmen (die ,Ständige Strukturierte Zusammenarbeit‘) vorzuschlagen.“ Und: „Frankreich und Deutschland haben ebenfalls gemeinsame Voraussetzungen dafür benannt, um den Europäischen Verteidigungsfonds zum Erfolg zu führen.“

Landsysteme der nächsten Generation und Nachfolger für Eurofighter und Rafale

Lassen Sie uns nun einen Blick werfen auf die doch umfangreiche Liste vereinbarter binationaler Militärprojekte.

So wollen Deutschland und Frankreich beim Bau gemeinsamer Nachfolger für die heutigen Kampfpanzer- und Artilleriesysteme zusammenarbeiten. Diese Koproduktion bei den „Landsystemen der nächsten Generation“ soll für andere Mitgliedsstaaten geöffnet werden, wenn die Planungen „hinreichend ausgereift“ sind. Nach dem Abschluss der bilateralen Konzeptstudienphase soll bis Mitte 2018 das Vorgehen für die nächste Phase ausgearbeitet werden.

Beide Länder beschlossen auch die Entwicklung eines gemeinsamen Kampfjets. Er soll langfristig den Eurofighter und das französische System Rafale ersetzen. Bis Mitte 2018 soll dazu ein deutsch-französischer Fahrplan erstellt werden.

In der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel erläuterte Präsident Macron die aus seiner Sicht entscheidenden Faktoren dieses geplanten Rüstungsvorhabens. Es gehe um eine grundsätzlich neue Generation von Flugzeugen als gemeinsames Projekt Europas, welches zugleich auch Innovation bedeute, so Macron. Heute habe man bei ähnlich großen Projekten auf europäischer Ebene zu viele Standards, zu viele Normen sowie teilweise eine intraeuropäische Konkurrenz. „Wir müssen die Dinge vereinfachen, um effizienter zu sein. Das Ziel einer neuen Flugzeuggeneration ist es, dass Frankreich und Deutschland hier gemeinsam Forschung und Entwicklung durchführen und ein Gemeinschaftsprodukt schaffen, das in beiden Armeen genutzt werden kann.“ Entsprechend der unterschiedlichen Einsatzdoktrinen und Einsatzgrundsätze könnten dann auch eine Koordinierung innerhalb der jeweiligen Einsätze und eine Koordinierung in Bezug auf die Exportpolitik stattfinden, erläuterte der Präsident die übergeordneten Ziele.

Eurodrohne, neuer Seefernaufklärer und Tiger-Modernisierung

Kanzlerin Merkel nahm danach in der Pressekonferenz den Ball auf und ergänzte: „Ich will darauf hinweisen, dass es eine Vielzahl von solchen gemeinsamen Projekten gibt. Eines beispielsweise ist die Eurodrohne, die wir stark nach vorne bringen wollen.“ Angesichts der veränderten Formen militärischer Einsätze gebe es weitere Gemeinsamkeiten auch im Bereich der Raumfahrt oder in der digitalen Welt mit ihrer Schlüsselfrage der Cyber-Sicherheit.

Über das binationale Projekt einer Eurodrohne heißt es im Pariser Schlusskommuniqué: „Frankreich und Deutschland betonten die Bedeutung des Grundsatzes, dass beide Länder gemeinsam – und zusammen mit Spanien und Italien – in diesem Programm bleiben. Frankreich und Deutschland sind übereingekommen, die aktuelle Konzeptstudie auf der Grundlage eines zweimotorigen Designs fortzuführen, um vereinbarte zentrale Aufträge und deutsche Zulassungsanforderungen zu erfüllen. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Vereinbarkeit von Einsatzleistung (einschließlich Verlegbarkeit und Wartungsaufwand) und Finanzierbarkeit über den gesamten Lebenszyklus hinweg gerichtet sein. Die Eurodrohne wird über ein europäisches Missionseinsatzsystem, mit allen erforderlichen militärischen Fähigkeiten verfügen. In diesem Rahmen wird Deutschland das Programm leiten. Wir streben einen Entwicklungsvertrag vor 2019 an.“

Deutschland und Frankreich wollen auch mit einer europäischen Lösung ihre alternden Seefernaufklärer ersetzen (die Bundeswehr hat in der Vergangenheit immer wieder für viele Millionen ihre P-3C Orion überholen müssen). Hier soll bis 2018 ein gemeinsamer Projektplan entwickelt werden.

Beide Regierungen vereinbarten ferner, einen Rahmen für die Zusammenarbeit bei der nächsten Generation des Tiger-Hubschraubers zu schaffen. Dieser Punkt beinhaltet außerdem ein gemeinsames Rüstungsprogramm für einen taktischen Luft/Boden-Flugkörper.

Raumfahrt, digitale Welt und Zusammenarbeit bei Forschung und Technik

Kommen wir zu den letzten drei Bereichen, für die die Partnerländer konkretes Vorgehen verabredet haben. Unter dem Punkt „Raumfahrt“ lesen wir im Schlussdokument: „Frankreich und Deutschland kommen überein, dem Europäischen Auswärtigen Dienst Satellitenbilder (Aufklärungssystem SARah für die Bundeswehr ab 2018 und französisches Aufklärungssystem Composante Spatiale Optique, CSO) zur Verfügung zu stellen – nach Möglichkeit in Partnerschaft mit anderen Mitgliedstaaten. [Paris und Berlin] kommen ferner überein, mit dem Ziel einer gemeinsamen koordinierten Weltraumlage im Bereich der militärischen Überwachung des Weltraums zusammenzuarbeiten.“

Im Bereich „Digitale Zusammenarbeit“ beabsichtigen beide Staaten künftig eine engere Zusammenarbeit der Cyber-Kommandos der deutschen und französischen Streitkräfte. Dazu soll es auch einen Austausch von Spezialisten im Offiziersrang geben. Darüber hinaus wurde unter anderem beschlossen: „Frankreich und Deutschland werden Analysen austauschen – insbesondere zu Systemen der Cyber-Sicherheit, die in von beiden Ländern gemeinsam entwickelte Waffensysteme integriert werden sollen – und die gemeinsame Entwicklung von Algorithmen für Software-Netzwerke beschleunigen.“

Unter dem Punkt „Innovation“ vereinbarten Paris und Berlin eine intensivere Zusammenarbeit bei Forschung und Technik. Wörtlich heißt es im Kommuniqué: „Insbesondere werden Frankreich und Deutschland mit dem Ziel einer größtmöglichen gemeinschaftlichen Finanzierung und der Vermeidung von Konkurrenz … an gemeinsamen Prioritäten arbeiten, die im Rahmen der neuen Europäischen Vorbereitenden Maßnahme und des künftigen Europäischen Verteidigungsforschungsprogramms finanziert werden sollen.“ Beide Länder werden eine gemeinsame Strategie ausarbeiten, um Forschung und Technik im Bereich der digitalen Dual-Use-Technologie zu bündeln und zu intensivieren und die Auswirkungen dieser Technologie auf den Verteidigungsbereich zu analysieren (die Vertragspartner verstehen diesen Bereich, der beispielsweise künstliche Intelligenz, Robotik oder Quantencomputing beinhaltet, als weit gefasst). Schließlich soll ein gemeinsamer „industrieller Fahrplan“ erstellt werden, in dem – unter Berücksichtigung bestehender Initiativen – „vorrangige Bereiche ermittelt, der Transfer von Wissen von der Forschung in die Industrie erleichtert und Finanzmechanismen identifiziert werden“.

Politisches Rückgrat für die europäische Sicherheitskooperation

Der 19. Deutsch-Französische Ministerrat legte zum Schluss fest, dass die Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen und Florence Parly im Oktober dieses Jahres erstmals die Fortschritte bei den vereinbarten gemeinsamen Maßnahmen überprüfen sollen.

In ihrem Gemeinschaftsbeitrag für die Onlineausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT hatten Claudia Major (Stiftung Wissenschaft und Politik) und Christian Mölling (Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik) im Vorfeld des Paris-Treffens geschrieben: „Für Deutschland gibt es in der EU nach dem Brexit-Votum keinen wichtigeren Partner als Frankreich. Das gilt weit über den Verteidigungsbereich hinaus. Nach der Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten gibt es nun die Chance, dass Deutschland und Frankreich als politisches Rückgrat die europäische Sicherheitskooperation in den nächsten Jahren tatsächlich voranbringen.“

Das sei notwendig, so Major und Mölling, weil kein europäisches Land allein in der Lage sei, aktuelle Sicherheitsprobleme im Alleingang zu lösen. Russland, die Terrorbewegung „Islamischer Staat“ oder fragile Staaten: All diese Probleme könnten die Europäer nur gemeinsam angehen. Allerdings brauche es Leadership von Staaten, die Ideen entwickelten und diese auch umsetzten, meinen die Autoren. „Es braucht Staaten, die die anderen Europäer mitreißen und als Vorbild handeln. Genau das müssen Frankreich und Deutschland jetzt im Verteidigungsbereich liefern.“ Das Pariser Spitzentreffen am 13. Juli 2017 dürfte Europa etliche Initialzündungen mit Langzeit- und Tiefenwirkung geliefert haben …


Hintergrund                           

Die Treffen des Deutsch-Französischen Ministerrates gibt es seit 1963. Zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages 2003 wurden die bis dato „Regierungskonsultationen“ genannten Treffen feierlich in „Ministerrat“ umbenannt (der am 22. Januar 1963 im Pariser Élysée-Palast von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle unterzeichnete „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ ging als „Élysée-Vertrag“ in die Geschichte ein und ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Beziehungen beider Länder).
Der Deutsch-Französische Ministerrat tagt halbjährlich. Die Treffen finden jeweils im Frühjahr und im Herbst abwechselnd in Frankreich und in Deutschland statt. Die Begegnungen sollen den Regierungen Frankreichs und Deutschlands die Möglichkeit bieten, ihre Zusammenarbeit auf höchster politischer Ebene zu koordinieren.


Unser Bildmaterial zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz am Nachmittag des Regierungstreffens in Paris.
(Videostandbilder: i24news)


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