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Hannover/Bonn/Berlin. Der Reservistenverband hat seit 2010 insgesamt 32 ehemalige Soldaten wegen rechtsextremer Aktivitäten ausgeschlossen. Dies bestätigte eine Sprecherin der Organisation dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Zentralredaktion der Madsack-Mediengruppe und deren angeschlossene Blätter berichteten darüber am Dienstag vergangener Woche (24. Oktober). In Mecklenburg-Vorpommern ermittelt momentan die Generalstaatsanwaltschaft in fünf weiteren Fällen. Nach Angaben des Reservistenverbandes sollen sich außerdem noch zwei weitere Fälle – in Nordrhein-Westfalen und in Bayern – in der Prüfung befinden.

Der Verband will im Dezember, so erfuhr die Madsack-Zentralredaktion, abhängig von den Ergebnissen der Generalstaatsanwaltschaft darüber entscheiden, ob auch den fünf Mitgliedern aus Mecklenburg-Vorpommern außerordentlich gekündigt werden muss. Die ehemaligen Soldaten sollen in der sogenannten „Prepper“-Szene aktiv sein.

Was ist das? „Prepper“ bezweifeln das Funktionieren staatlicher Hilfe im Ernstfall und bereiten sich selbst auf mögliche Krisen und Katastrophen vor. Die deutsche „Prepper“-Szene ist keine einheitliche Bewegung, sie zieht allerdings Verschwörungstheoretiker und Waffennarren an. Der Thüringer Verfassungsschutz beispielsweise sieht Schnittmengen zwischen „Preppern“ und dem rechten Spektrum. Der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern warnte vor Kurzem vor Radikalisierungstendenzen im rechtsextremistischen Bereich. Dort gebe es Personen, die sich zunehmend von „Feinden umgeben“ fühlten und sich für den „Notstand“ rüsteten. Die Vorbereitung auf einen „Ernstfall“ erfolge dabei durch gezieltes Training bestimmter Überlebenstechniken oder das Anlegen von Vorräten.

Bis zum Ende der Prüfung durch die Justiz dürfen die Verdächtigen nicht mehr an Schießübungen ihrer Reservistengruppierung „Schießsport“ teilnehmen. Die beiden Verdächtigen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen seien von Mitgliedern angezeigt worden, hieß es in der RND-Meldung weiter.

Öffentliche Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium

Das Thema „Extremismus in den Streitkräften“ hatte auch eine zentrale Rolle bei der öffentlichen Anhörung der Präsidenten der Nachrichtendienste des Bundes am 5. Oktober in Berlin gespielt. Durchgeführt worden war die Anhörung vom Parlamentarischen Kontrollgremium.

Im Europasaal des Paul-Löbe-Hauses des Bundestages hatten sich an diesem Donnerstag rund drei Stunden lang Bruno Kahl (Präsident des Bundesnachrichtendienstes, BND), Hans-Georg Maaßen (Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, BfV) und Christof Gramm (Präsident des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, MAD) den Fragen der Gremiumsmitglieder gestellt.

Gramm zu der Situation in der Truppe: „Es ist nicht so, dass die Bundeswehr nach der Aussetzung der Wehrpflicht zum Hort des Rechtsextremismus geworden wäre. Im Gegenteil – die Fallzahlen sind in den Jahren nach 2011 allmählich deutlich gesunken.“

Der MAD-Chef machte bei der Anhörung noch einmal auf den Unterschied zwischen den Fallzahlen, die sein Amt bearbeite, und den tatsächlich erkannten Extremisten aufmerksam. Er sagte: „Man muss unsere Arbeitsweise verstehen. Aufgabe des MAD ist es dafür zu sorgen, dass Extremisten in der Bundeswehr keinen Fuß fassen. Dafür hat uns der Gesetzgeber ein Instrument an die Hand gegeben – wir können und dürfen im Einzelfall bereits dann tätig werden, wenn lediglich ein paar Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorliegen. Dies bedeutet, das wir ,niederschwellig‘ tätig werden. Viele Fälle lösen sich im Nachhinein dann eben auf.“

Fall Franco A. führte zu einer Fülle von Meldungen innerhalb der Truppe

Der Präsident des MAD erklärte anschließend auch eine auf den ersten Blick irritierende Entwicklung der vergangenen Monate: „Der Fall Franco A. hat die Fallzahlen nach oben getrieben und zu einem massiven Meldeaufkommen in der Bundeswehr geführt. Die Zahl der erkannten Extremisten ist demgegenüber bislang nicht sprunghaft angestiegen. Sondern hier bewegen wir uns in etwa auf dem Vorjahresniveau mit einem leichten Anstieg bei den Rechtsextremisten.“

Die Fallzahlen seien im Laufe der Jahre „im Mittel“, erklärte Gramm auf Nachfrage vor dem Gremium weiter. „Seit 2012 bewegen sich diese um die acht erkannten Extremisten. Das ist natürlich relativ wenig im Verhältnis zur Zahl, die wir bearbeiten.“ Er ergänzte, man habe in den vergangenen fünf Jahren „pro Jahr im Schnitt drei Islamisten in der Bundeswehr“ identifizieren können.

Vorzeitige Entlassung „wegen erwiesenem Rechtsextremismus“

Gramms Angaben zu den durchschnittlichen Extremismusfällen in der Truppe pro Jahr wurden nun am Montag vergangener Woche (23. Oktober) auch vom Verteidigungsministerium bestätigt. Ministeriumssprecher Jens Flosdorff sagte in der Bundespressekonferenz auf Nachfrage: „Zu Zeiten der Wehrpflicht hatten wir deutlich höhere Zahlen festgestellt, was den Rechtsextremismus angeht. Im Zeitraum von 2012 bis 2017 haben wir seit Aussetzen der Wehrpflicht im Schnitt etwa acht Extremismusfälle gemessen, davon vier Fälle von Rechtsextremismus pro Jahr.“

Aktuell gebe es 291 Verdachtsfälle, die in Bezug auf Rechtsextremismus untersucht würden, so Flosdorff. Er fügte hinzu: „Das ist nicht die Jahreszahl, sondern das ist das, was im Moment gerade geprüft wird. Wenn sich die Zahlen der Vergangenheit wiederholen, wird sich höchstwahrscheinlich eine relativ kleine Zahl von erwiesenen Extremismusfällen ergeben.“ Abschließend nannte der Leiter des Presse- und Informationsstabes des BMVg noch folgende Zahl: „In den Jahren 2012 bis 2016 wurden 18 Angehörige der Bundeswehr vorzeitig wegen erwiesenen Rechtsextremismus aus der Bundeswehr entlassen.“

Kleine Anfrage der Linken im September an die Bundesregierung

Zum Themenkomplex „Rechtsextreme Vorkommnisse und Verdachtsfälle in der Bundeswehr im Jahr 2017“ hatten bereits am 6. September Bundestagsabgeordnete der Linken Auskunft von der Bundesregierung verlangt. So wollten Jan van Aken, Christine Buchholz, Ulla Jelpke und die Fraktion beispielsweise wissen, wie viele rechtsextreme Verdachtsfälle der Militärische Abschirmdienst im Jahr 2017 neu aufgenommen hat, und auf welches Jahr die hierfür zugrunde liegenden Informationen zurückgehen.

Wie die Regierung mitteilte, wurden 2017 (bis zum Stichtag 8. September) 286 rechtsextremistische Verdachtsfälle neu in die Bearbeitung aufgenommen. Die Informationen, die zur Verdachtsfallaufnahme führten, habe der MAD in allen Fällen im Laufe dieses Jahres erhalten.

Zu den insgesamt in diesem Jahr bestätigten rechtsextremen Verdachtsfällen erklärte die Regierung: „Im Jahr 2017 wurden bislang drei Verdachtspersonen als rechtsextremistisch bestätigt. Von den bis zum 8. September abgeschlossenen 176 Verdachtsfällen haben sich 153 nicht bestätigt. Es werden insgesamt noch 391 Verdachtsfälle geprüft und bearbeitet.“

Bei den drei bestätigten Fällen handelt es sich zum einen um einen Zeitsoldaten im Mannschaftsdienstgrad, der NPD-Mitglied war beziehungsweise ist (der Mann wurde vorzeitig entlassen). Hinzu kommt ein wehrübender Reserveoffizieranwärter, der als Aktivist der „Identitären Bewegung“ identifiziert wurde (keine Beförderung, Beendigung der Wehrübung). Und schließlich haben wir den Fall des Berufssoldaten und Offiziers Franco A., den die Bundesregierung als „gewaltbereiten Rechtsextremisten“ bezeichnet und der seit Mai dieses Jahres in Untersuchungshaft sitzt (laufendes Verfahren des Generalbundesanwalts).

Grüne fordern Lagebild über Personen, Strategien und Netzwerke

Am 23. Oktober wurde durch einen Bericht der Mitteldeutschen Zeitung ebenfalls bekannt, dass der MAD seit dem Jahr 2008 etwa 200 Bundeswehrsoldaten als „rechtsextrem“ eingestuft hat. Die Zahl gehe, so die Zeitung, aus einer Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, hervor.

Die Politikerin, die diese Angaben umgerechnet hatte, sagte der Mitteldeutschen Zeitung: „Über 20 Rechtsextreme bei der Bundeswehr jährlich – das ist schon eine relevante und bedenkliche Größenordnung.“ Wenn der Präsident des MAD in der Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium am 5. Oktober „von etwa acht festgestellten Nazis pro Jahr“ spreche, zeige sich jedoch noch eine hohe analytische Unsicherheit bei dem Thema (Anm.: Gramm hatte in Berlin von „acht erkannten Extremisten“ gesprochen). „Diese analytische Unsicherheit ist sehr gefährlich gerade mit Blick auf die militärische Ausbildung, die Rechtsextreme in der Bundeswehr für ihre Bestrebungen nutzen können“, warnte Mihalic.

Sie forderte in ihrem Gespräch mit dem Blatt eine regelmäßige Information des Parlaments „über extremistische Bestrebungen in der Bundeswehr“, insbesondere über „Personen, Strategien, Netzwerke“. „Wir brauchen ein umfassendes Lagebild über extremistische Gefahren im Kontext Bundeswehr.“

Erstaunlich offener Widerstand gegen den „ideologischen Kehraus“

Einen bemerkenswerten Kommentar verfasste zu dem Thema die überregionale Zeitung neues deutschland (nd). In ihrem Meinungsbeitrag „Augen rechts!“ vom 23. Oktober kritisiert die nd, die als „sozialistische Tageszeitung“ und politisch der Partei Die Linke nahestehend charakterisiert wird, die Äußerungen Mihalics.

Wir lesen: „Jemand dividierte 200 durch Jahre und kam auf die Zahl 20. Aha, also hat MAD-Chef Christof Gramm jüngst gelogen, als er in einer Parlamentsanhörung acht Rechtsextremisten und drei Islamisten pro Jahr als enttarnt angegeben hat. Mit dem Durchschnitt ist das so eine Sache, zumal die Aussetzung der Wehrpflicht einiges verändert hat. Es gibt wahrlich keinen Grund, den MAD zu verteidigen, doch wenn dessen Chef bei der besagten Anhörung für einen kritischen Blick auf die Handlungsgrundlagen der Nachrichtendienste warb und betonte, man müsse verhindern, dass Rechtsextremisten in der Bundeswehr Fuß fassen könnten, dann sollte man ihn ermuntern, das möglichst gründlich zu tun.“

Und weiter schreibt der Autor: „Man sollte – in dieser Frage – auch die Ministerin, der der MAD seit einigen Monaten direkt unterstellt ist, unterstützen, wenn sie gegen Nazitraditionen vorgeht, die weiter durchs deutsche Militär wabern. Von der Leyen kann wahrlich Hilfe gebrauchen, denn nicht wenige durchaus hohe Offiziere stellen sich erstaunlich offen dem notwendigen ideologischen Kehraus entgegen. Sie werden an Kraft gewinnen, wenn die AfD demnächst parlamentarische Mitsprache in Bundeswehrangelegenheiten bekommt. Also: Augen rechts! Und nicht nur zählen. Das Parlament steht in der Pflicht, dem Rechtsstaat Wege zu bahnen. Gerade im Militär.“


Symbolbild: Bundeswehr in Formation, Ausschnitt. Das Motiv soll unser Thema unterstützen, keinesfalls aber suggerieren, dass die deutschen Streitkräfte „ein Hort des Rechtsextremismus“ sind.
(Foto: Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Wandgraffiti mit klarer Aussage – „Gegen Nazis! Gegen Rechts!“
(Bild: amk)


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