Berlin. Bundesweite Mobilität und die Bereitschaft, sich auch an heimatferne Standorte versetzen oder kommandieren zu lassen, sind ein wesentliches Merkmal des Soldatseins. Diese Besonderheit macht für manche Männer und Frauen den Militärberuf gerade erst interessant. Andere sehen in Versetzungen mit Ortswechsel eine große Erschwernis, insbesondere wenn sie eine eigene Familie haben oder Angehörige betreuen müssen. Welche Entbehrungen Bundeswehrangehörige auf sich nehmen, um nach Dienstschluss auch in weit entfernte Heimatorte zu kommen, zeigt nun auch eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Daten des Berliner DIW belegen, dass Angehörige der Berufsgruppe „Soldat/Soldatin“ im Durchschnitt rund 121 Kilometer Fahrt zwischen Arbeits- und Wohnort auf sich nehmen. Dies ist mit Abstand die größte Pendlerstrecke aller erfassten Branchen. Viel fahren müssen auch Schauspieler und Entertainer, Handwerker im Hochbau oder Journalisten.
Die Daten stammen aus dem sogenannten „Sozio-oekonomischen Panel“ (SOEP), einer der größten und am längsten laufenden Langzeitstudien weltweit. Das SOEP ist Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Ländern gefördert. Angesiedelt ist es am DIW in Berlin.
Studien auf der Grundlage von SOEP-Daten untersuchen den Wandel der deutschen Gesellschaft und gehen beispielsweise der Frage nach, wie gesellschaftliche Ressourcen verteilt sind. Für das SOEP befragen jedes Jahr rund 600 Interviewer von TNS Infratest Sozialforschung mehrere Tausend Menschen. Derzeit sind es etwa 30.000 Befragte in knapp 15.000 Haushalten. Mehr als 500 Forscher im In- und Ausland nutzen die Erhebungen für ihre Studien. Bis heute sind gut 6000 Veröffentlichungen auf Basis der SOEP-Daten erschienen.
Mit den Problemen der Pendlerarmee Bundeswehr befasst sich immer wieder auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. So verweist der am 24. Januar 2017 vorgestellte aktuelle Jahresbericht darauf: „Die Auswertung der im Jahr 2016 veröffentlichten Ergebnisse der vom Verteidigungsministerium in Auftrag gegebenen Befragung zur beruflichen Mobilität in der Bundeswehr, bei der erstmals auch die Partnerinnen und Partner der Bundeswehrangehörigen einbezogen wurden, bestätigt den Eindruck der Bundeswehr als Pendlerarmee.“
Dieser Mobilitätsstudie zufolge sind fast zwei Drittel der Angehörigen der Bundeswehr beruflich mobil – als Fern-, Wochenend- und Tagespendler. Im Vergleich dazu trifft das nur auf ein Fünftel aller erwerbstätigen Deutschen insgesamt zu.
Als Ursachen für die geforderte Mobilität in den Streitkräften werden vorrangig Lehrgänge, eine Wunschverwendung, Dienstpostenverlagerung, Karrieremöglichkeiten sowie Berufstätigkeit beider Partner genannt. Als Gründe, die gegen berufliche Mobilität sprechen, geben die Befragten hauptsächlich familiäre Belange und das Aufrechterhalten bestehender sozialer Kontakte an. Berufliche Mobilität wird von den Betroffenen als „belastend“ oder sogar „sehr belastend“ erlebt (60 bis 90 Prozent je nach Mobilitätsform). Wehrbeauftragter Hans-Peter Bartels schreibt in seinem Bericht: „Diese Erkenntnisse [der Studie] decken sich mit unseren Beobachtungen.“
Mit rund 60 Prozent stellen Wochenendpendler, die aus familiären oder sonstigen Gründen nicht umgezogen sind und daher am Standort eine Unterkunft benötigen, immer noch die größte Pendlergruppe innerhalb der Truppe dar. Mehr als die Hälfte von ihnen sind nicht trennungsgeldberechtigte Pendler. Diese können bisher zu großen Teilen nicht in den Kasernen untergebracht werden.
Im „Jahresbericht 2016“ heißt es dazu: „Nach einer Befragung der Standortältesten handelt es sich aktuell um rund 20.500 [Bundeswehrangehörige], die gern einen Platz in der Kaserne hätten. Diese leiden besonders unter der sich an mehreren Standorten verschärfenden Knappheit auf dem freien Wohnungsmarkt. So beklagten einzelne Pendler, mit Mehrkosten von rund 500 Euro monatlich alleine gelassen zu werden.“
Nach Auskunft des Wehrbeauftragten bestand im Berichtszeitraum an rund 230 Standorten Unterbringungsbedarf. Ausgegangen wird dabei von einem Gesamtbedarf zwischen 20.000 und 30.000 Unterkünften für Pendler.
Kurz zurück zu den Daten aus dem SOEP. Sie machen deutlich, dass es eine ganze Reihe Berufe gibt, bei denen weite Anfahrtswege zwischen Wohnort und Arbeitsplatz in Kauf genommen werden – gezwungenermaßen oder freiwillig. Allerdings sind die Wegstrecken dieser Berufsgruppen verglichen mit jenen der Soldaten um etwa die Hälfte kürzer. Der Soldatenberuf ist und bleibt Spitzenreiter im Pendler-Ranking mit durchschnittlich 121 Kilometern.
Durchschnittlich 60 Kilometer beträgt die Kilometerdistanz zwischen Wohnort und beruflichem Wirkungsfeld bei Angehörigen des Sektors „Darstellende Kunst und Unterhaltung“, also bei Schauspielern, Entertainern und sonstigen Kunstschaffenden auf kleiner und großer Bühne. Man (oder Frau) tourt durch die Lande.
Zwischen mehr als 46 und knapp 40 Kilometer fahren Hochschullehrer, Redakteure oder IT-Anwendungsberater, um von ihrer Wohnung beziehungsweise ihrem Haus zum beruflichen Einsatzort zu kommen. Mehr Details dazu zeigt Ihnen unsere Infografik …
Zu unserer Bildgalerie:
1. Unter dem Namen „Leben in Deutschland“ befragt das Institut TNS Infratest Sozialforschung alljährlich mehrere Tausend Menschen. Die so ermittelten SOEP-Daten geben unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit und Lebenszufriedenheit der Menschen in der Bundesrepublik.
(Foto: TNS Infratest Sozialforschung)
2. Der Hintergrund unserer Infografik zeigt Soldaten in einem Berliner Bahnhof. Besonders am Wochenende pendeln viele Bundeswehrangehörige zwischen Standort und Heimatort. Letzten Erhebungen zufolge gibt es in der Truppe derzeit fast 21.000 „Wochenendpendler“.
(Foto: Martin Stollberg/Bundeswehr; Infografik © mediakompakt 05.17)
Kleines Beitragsbild: Soldaten warten in Berlin auf ihren Zug für die Familienheimfahrt.
(Foto: Martin Stollberg/Bundeswehr)