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Berlin/München. Wenn das keine harte Kursänderung ist! Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will die Bundeswehr-Flüchtlingshilfe offenbar im Sommer einstellen. Unter anderem griffen am Wochenende die Nachrichtenagentur dpa und die BILD-Zeitung Kernaussagen der Ministerin auf, die sich im Verbandsmagazin des Deutschen Bundeswehr-Verbandes geäußert hatte. Aus einer Amtshilfe in akuter Not dürfe keine Regelaufgabe der Bundeswehr werden, wird von der Leyen zitiert. Widersprüchlich ist allerdings, dass man noch immer im Onlinebeitrag der Bundeswehr vom 22. Dezember zum Thema „Flüchtlingshilfe“ nachlesen kann, was die CDU-Politikerin dort erst vor Kurzem angekündigt hat. Die Bundeswehr richte sich darauf ein, „dauerhaft mit Personal und der großen Erfahrung in Führung und Organisation mit anzupacken“. Und weiter: „Die Flüchtlingshilfe wird zu einer wichtigen zusätzlichen Aufgabe für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.“

Die deutschen Streitkräfte unterstützen seit vielen Wochen Länder und Kommunen bei der Registrierung, Unterbringung, Versorgung und Verteilung von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Dazu wurde auch das Konzept „Helfende Hände“ für den Dauereinsatz weiterentwickelt. Nach Angaben der Bundeswehr sind momentan durchschnittlich 7100 Bundeswehrangehörige – zum Teil im Schichtbetrieb – in der Flüchtlingshilfe gebunden. In Spitzenzeiten waren dafür fast 9000 militärische Kräfte im Einsatz gewesen.

Die Unterstützungsleistungen gehören nicht zum originären Auftrag der Bundeswehr. Sie leistet diese Hilfe für Kommunen und Behörden der Länder im Sinne der Amtshilfe auf Grundlage des Artikels 35 Absatz 1 Grundgesetz (beziehungsweise der entsprechenden Paragrafen des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes).

„Amtshilfe im Inland ist nicht Kernauftrag unserer Streitkräfte“

Bereits Mitte Dezember hatte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, eine Neubewertung angemahnt. In einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt hatte der Sozialdemokrat das bisherige Engagement der Truppe zwar ausdrücklich gelobt, zugleich aber auch gefordert: „Das war gute, schnelle Hilfe in einer zivilen Notlage, es darf aber keine Daueraufgabe werden. Amtshilfe im Inland ist nicht der Kernauftrag unserer Streitkräfte. Dieser Kernauftrag – Landes- und Bündnisverteidigung und internationales Krisenmanagement – braucht gerade wieder erheblich mehr Personal als gedacht: Wir werden ab Januar 5000 Soldaten für Auslandseinsätze mandatiert haben, wir haben rund 5000 in einsatzgleichen Verpflichtungen bei der NATO, dazu 8000 in der Flüchtlingshilfe.“

Erst vor wenigen Tagen hat Bartels seinen Standpunkt vor der Presse bekräftigt: „Ich erwarte, dass im Laufe des Jahres 2016 der Großteil dieser Hilfe nicht mehr benötigt wird; zivile Behörden müssen diese Aufgabe übernehmen.“

Auch im Unionslager werden mittlerweile ähnliche Stimmen laut. So sagte jetzt der CSU-Bundestagsabgeordnete Florian Hahn, der Mitglied des Verteidigungsausschusses ist, dem Nachrichtenmagazin Spiegel: „Wir können nicht Tausende Soldaten zur Bewältigung der Flüchtlingskrise einsetzen, unsere Soldaten werden in einer steigenden Zahl von Auslandseinsätzen dringender gebraucht.“ Die Hilfsmaßnahme in Verwaltungseinrichtungen, so Hahn, müsse nun ein Ende haben.

Truppe ist im Kerngeschäft gefordert wie selten zuvor

Verteidigungsministerin von der Leyen scheint auf diese Linie eingeschwenkt zu sein. Aus ihrem Interview mit dem Magazin des Bundeswehr-Verbandes zitiert etwa die BILD: „Ich habe […] für mich die Linie gezogen, dass wir bis zum Sommer – wenn die Situation sich aufgrund der ergriffenen Maßnahmen verbessert hat – den Kommunen und Ländern durch unsere Amtshilfe ausreichend Raum verschaffen, um ohne Hektik nach und nach die Lücken aufzufüllen und eigene Strukturen aufzubauen.“ Die Bundeswehr sei dann ein Jahr in der Flüchtlingshilfe aktiv gewesen, so die Ministerin. Die Truppe sei „schließlich auch in ihrem Kerngeschäft gefordert wie selten zuvor“.

„Einsatz der Soldaten entlastet enorm und ist gegenwärtig kaum verzichtbar“

Inzwischen rief die Ankündigung von der Leyens, die Flüchtlingshilfe der Bundeswehr voraussichtlich im Sommer zu beenden, die ersten Kritiker auf den Plan.

So äußerte der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes Bayerischer Landkreistag und Deggendorfer Landrat, Christian Bernreiter, gegenüber den Medien deutlich seinen Unmut über die Äußerungen der Verteidigungsministerin. Statt vonseiten des Bundes Termine für einen Rückzug zu nennen, sei zuallererst die Rückkehr zum Normalbetrieb und damit die drastische Reduzierung der Zugangszahlen erforderlich, sagte der CSU-Politiker.

Markus Rinderspacher, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bayerischen Landtag, warnte in einer Presseerklärung: „Wenn die Unterstützungskräfte der Bundeswehr fehlen, entstehen weitere Personalmängel und Kapazitätslücken, die behoben werden müssen – die Belastungen für die ehrenamtlichen und lokalen Kräfte werden größer statt geringer.“ Sollte der Freistaat die Amtshilfe der Bundeswehr nicht mehr beanspruchen, müsse die Staatsregierung ein Konzept vorlegen, wie die vielfältigen Aufgaben künftig erledigt werden sollen.

Der Landespolitiker zeigte sich von der Ankündigung von der Leyens überrascht. Er erinnerte daran, dass die Ministerin noch am 17. November in Passau erklärt habe: „Die Bundeswehr bleibt. Uns ist klar, dass wir uns auf dauerhafte Hilfe hier einstellen müssen.“ Rinderspacher: „Die Flüchtlingshilfe gehört zwar nicht zu den originären Aufgaben der Bundeswehr. Aber warum hat die Ministerin die zeitlich nicht befristete Hilfszusage vor Ort gemacht, um sie kurz darauf zurückzunehmen? Der Einsatz der Soldaten entlastet enorm und ist gegenwärtig kaum verzichtbar.“

Die SPD insgesamt dürfte nach von der Leyens Kursänderung irritiert sein. Erst vor Kurzem hatte der Koalitionspartner in einem Positionspapier vorgeschlagen, vorzeitig in den Ruhestand versetzte Soldaten und zivile Beamte für die Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe zu gewinnen (wir berichteten).


Unsere beiden Aufnahmen entstanden am 13. August 2015 in der Grüntenkaserne in Sonthofen. An diesem Donnerstag besuchte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen das ehemalige Kasernengelände, um vor Ort einen Eindruck von der Unterbringung der Flüchtlinge und deren Lebenssituation zu erhalten.
(Fotos: Jörg Koch/Bundeswehr)


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