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Paris. Die beunruhigende Sicherheitslage in Europa – geschuldet dem schwelenden Konflikt mit Putins Russland und dem permanenten Kampf gegen den Terror aller Couleur – hat offenbar zu einem Kurswechsel bei den Verteidigungsausgaben der meisten Länder geführt. Zum ersten Mal seit sechs Jahren steigen die Budgets wieder an. Dies ergab eine Analyse des US-Unternehmens Information Handling Services (IHS), zu dem auch die in London ansässige Jane’s Information Group gehört. Fenella McGerty, führende Analystin bei IHS Jane’s für den Bereich der Militäretats, präsentierte die aktuelle Studie anlässlich der Pariser Rüstungsmesse Eurosatory (13. bis 17. Juni). Wie McGerty dort am vergangenen Donnerstag bei einer Pressekonferenz sagte, rechne man damit, dass die Regierungen im westlichen Europa zwischen 2016 und 2019 alles in allem etwa 50 Milliarden US-Dollar zusätzlich für die Verteidigung in der Region bereitstellen werden.

Verantwortlich für diese Entwicklung seien die sich verschlechternden sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen in Europa, so die Expertin von IHS Jane’s. „Die scharfe Trendwende bei den Verteidigungsausgaben hat mittlerweile bei mehreren EU-Mitgliedstaaten eingesetzt.“ Zehn west- und mitteleuropäische Regierungen hätten noch im vergangenen Jahr Kürzungen ihrer Militärbudgets beschlossen, in diesem Jahr rechne man höchstens mit fünf solcher haushaltspolitischen Entscheidungen.

McGerty wies bei der Eurosatory auch darauf hin, dass die Ausgaben für Verteidigung im NATO- und EU-Bereich seit 2009 jährlich um durchschnittlich 1,3 Prozent gekürzt worden seien. 2016 werde das erste Jahr sein, in dem man wieder Steigerungsraten verzeichnen könne. Allerdings sei nicht damit zu rechnen, dass die Ausgaben bald wieder das Niveau wie vor Beginn der weltweiten Finanzkrise erreichten. „Wir rechnen eher damit, dass man zu diesem früheren Ausgabenlevel so um das Jahr 2020 wird zurückkehren können,“ lautete McGerty’s Prognose.

Reaktionen auf russisches Vorgehen in der Ukraine und auf den globalen Terror

Als bestimmende Faktoren der aktuellen Entwicklung nannte die Analystin vor allem das Vorgehen Russlands in Teilen der Ukraine, die Terrorakte in Frankreich und Belgien sowie den Kampf der Internationalen Gemeinschaft gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS). McGerty erklärte: „Die Pariser Attentate vom 7. Januar und vom 13. November vergangenen Jahres haben nicht nur dazu geführt, dass Frankreich seinen Finanzierungsplan für die eigenen Streitkräfte überdacht und merklich nachgebessert hat. Die Anschläge und die Reaktionen der französischen Regierung auf diese Taten hatten – gleichsam Wellen – unmittelbare Auswirkungen auf die äußere und innere Sicherheitspolitik aller Länder in der Region und zwangen diese, ihre Sicherheitsmaßnahmen ebenfalls nachzujustieren.“

Dies werde beispielhaft an Deutschland erkennbar, dass inzwischen bereit sei, wieder mehr finanzielle Mittel für die Verteidigung aufzuwenden. Auch Großbritannien habe inzwischen entschieden, seinen Verteidigungsetat über das Jahr 2017 hinaus aufzustocken. Österreich mit einem Plus von 17 Prozent beim Verteidigungshaushalt sei das jüngste Beispiel in einer ganzen Reihe ähnlicher Entscheidungen in Europa. (Anm.: Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil kann sich zwar darüber freuen, dass der neue Finanzrahmen der Regierung rund 1,3 Milliarden Euro zusätzlich für das Bundesheer – verteilt auf die Jahre 2016 bis 2020 – vorsieht, jedoch werden die Streitkräfte davon „nur“ 896 Millionen Euro erhalten, der Rest entfällt auf bereits zuvor vereinbarte Investitionen oder etwa das Grenzmanagement.)

Milliarden Pfund für Geheimdienste, Cyberabwehr und Rüstungsprojekte

Wie IHS Jane’s aus Großbritannien zu berichten weiß, werden dort die Verteidigungsausgaben – wie unter anderem bereits im sicherheits- und verteidigungspolitischen Grundlagendokument „Strategic Defence and Security Review“ (SDSR) festgeschrieben – im Zeitraum 2015 bis 2019 real um 3,1 Prozent steigen. Darüber hinaus sollen die britischen Sicherheits- und Geheimdienste zusätzlich 1,3 Milliarden Pfund (ca. 1,68 Milliarden Euro) erhalten. In den Bereich der Cyberabwehr wollen die Briten ebenfalls 1,9 Milliarden Pfund (ca. 2,46 Milliarden Euro) extra investieren. Für die Ausrüstungsplanung zur Landesverteidigung sind weitere Geldmittel in Höhe von 12 Milliarden Pfund (ca. 15,51 Milliarden Euro) eingeplant, mit denen mehr als 170 Projekte realisiert werden sollen.

„Derzeit liegen die Verteidigungsausgaben Großbritanniens noch über der 2-Prozent-Marke vom Bruttoinlandsprodukt,“ erläuterte Fenella McGerty bei der Eurosatory-Pressekonferenz den Trend auf der Insel. Man werde hier jedoch demnächst einen Rückgang konstatieren müssen, da die Prognosen für das britische Wirtschaftswachstum alles andere als günstig seien. Entscheidend für die weitere Entwicklung des Verteidigungsbudgets hier sei natürlich auch der Ausgang des Referendums der Briten über einen Verbleib in der EU am 23. Juni.

Massive Erhöhung des Streitkräftebudgets nach den Anschlägen in Paris

Frankreich hat als Reaktion auf die Charlie Hebdo-Anschläge im Januar 2015 in Paris seinen Militäretat für die Jahre 2016 bis 2019 bereits um weitere 3,9 Milliarden Euro aufgestockt. IHS Jane’s rechnet damit, dass nach den November-Attentaten in der Hauptstadt die französische Regierung nun noch einmal rund 500 Millionen Euro für Sicherheit und Verteidigung draufpacken wird. Alleine die Verteidigungsausgaben für das Jahr 2016 haben etwa 2300 neue Jobs im Rüstungsbereich geschaffen; ursprünglich sollten einmal 7500 Plätze abgebaut werden.

„Trotz der genannten Budgeterhöhungen wird Frankreichs Anteil am Bruttoinlandsprodukt für die Verteidigung weiter von 2,2 Prozent im Jahr 2005 auf 1,94 Prozent in diesem Jahr sinken und somit leicht unter die im Jahr 2002 innerhalb der NATO verabschiedete Vorgabe von 2 Prozent geraten,“ sagte die IHS-Analystin.

Positive wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland erlaubt höheren Wehretat

Deutschlands Verteidigungsausgaben sind in den Jahren 2005 bis 2009 um knapp fünf Prozent von 1,1 auf 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes angestiegen. Dem Krisenjahr 2009, in dem die deutsche Konjunktur mit einem Minus von fünf Prozent so stark wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg eingebrochen war, folgten in den Jahren danach eher zögerliche Ausgaben für die Streitkräfte. Dazu McGerty bei der Eurosatory: „Trotz der international ungünstigen ökonomischen Rahmenbedingungen erholt sich Deutschlands Volkswirtschaft doch zusehends. Diese positive Entwicklung spiegelt sich nun auch in der stetigen Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben wider.“

Der derzeit in Berlin vorliegende 50. Finanzplan werde 2017 das Niveau der deutschen Verteidigungsausgaben wieder auf das des Jahres 2009 anheben und die Kürzungen der letzten fünf bis sechs Jahre rückgängig machen, erklärte die Expertin. Dabei würden die Finanzmittel für die Bundeswehr den mittlerweile erreichten Wert – etwa 1,12 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes – beibehalten können. „Auch wenn dies immer noch deutlich unter der NATO-Zielgröße von 2 Prozent liegt, so können wir für Deutschland dennoch attestieren, dass dies im Vergleich zu früheren Finanzplänen einen signifikanten Fortschritt darstellt. Die deutschen Verteidigungsausgaben waren einmal kurz davor gewesen, sich auf die 0,9-Prozent-Marke zuzubewegen.“

Osteuropäer orientieren sich an der NATO-Vorgabe der „zwei Prozent“

Große Steigerungsraten bei den Verteidigungsbudgets können aus dem Osten und Südosten Europas vermeldet werden. „Hier sind die Ausgaben für die Streitkräfte förmlich nach oben geschnellt“, berichtete McGerty den Medienvertretern. „Die Trendwende hatte unmittelbar nach der Annexion der Halbinsel Krim durch Russland begonnen. Mittlerweile haben sich die Verteidigungsausgaben zahlreicher Länder in diesem Teil unseres Kontinents wieder jenem Niveau angenähert, das man vor der globale Banken- und Finanzkrise 2007/2008 hatte.“

IHS Jane’s erwartet von den NATO-Mitgliedern an der Ostflanke des Bündnisses bis Ende dieses Jahrzehnts Verteidigungsausgaben in Höhe von insgesamt rund 30 Milliarden US-Dollar. Man schätzt, dass davon 53 Prozent des Gesamtvolumens alleine auf Polen und Griechenland entfallen werden (auch wenn die Verteidigungsausgaben Griechenlands im Jahr 2015 massiv beschnitten worden sind).

Die Länder Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Tschechien verfolgen IHS Jane’s zufolge alle das 2002 innerhalb der NATO vereinbarte und 2014 beim Bündnisgipfel in Wales bekräftigte Ziel, 2 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben anzustreben. (Anm.: In Wales hatten sich die Staats- und Regierungschefs jener NATO Mitgliedstaaten, welche noch nicht die 2-Prozent-Marke erreicht hatten, noch einmal ausdrücklich mit dem „Defence Investment Pledge“ zu einer Korrektur verpflichtet – der bis dato sichtbare Trend sinkender Verteidigungsausgaben soll gestoppt und umgekehrt und schließlich bis Mitte 2024 der 2-Prozent-Wegmarke angenähert werden.)


Symbolfoto zum Thema „Verteidigungsausgaben der Europäer“ – Analyse von IHS Jane’s, präsentiert anlässlich der Pariser Eurosatory 2016.
(Bild: amk)


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