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Berlin. Die Anschläge in Paris am 13. November vergangenen Jahres mit 130 Todesopfern und 352 Verletzten haben auf schreckliche Weise gezeigt, mit welchen Dimensionen die Unfallchirurgie eines Landes heute im Terror-Fall rechnen muss. In der französischen Hauptstadt hatten die Ersthelfer und Mediziner mit einer sehr großen Anzahl an Schuss- und Explosionsverletzungen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten zu tun. Auch in Deutschland wollen sich Chirurgen angesichts einer latenten Anschlagsgefahr jetzt noch besser auf eine mögliche Versorgung von Terroropfern vorbereiten. Dazu hat die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) gemeinsam mit der Bundeswehr einen Fünf-Punkte-Plan entwickelt, der am gestrigen Dienstag (27. September) der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Zugleich fand heute im Unfallkrankenhaus in Berlin-Biesdorf eine Fachtagung statt. Zu dieser Notfallkonferenz mit dem Titel „Terroranschläge – eine neue traumatologische Herausforderung“ kamen rund 200 Teilnehmer aus dem Medizinbereich (Notfallmedizin und Chirurgie), dem Bereich der Bundeswehr und aus der Politik.

Die Konferenz in Berlin bildete den Auftakt der erweiterten Kooperation zwischen den deutschen Streitkräften und der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaft. Professor Dr. Florian Gebhard, Präsident der DGU, hatte im Vorfeld der Veranstaltung erklärt: „Mit der Initiative nehmen die Unfallchirurgen gemeinsam mit der Bundeswehr ihre nationale Verantwortung für die medizinische Versorgung der Bevölkerung auch bei Terroranschlägen wahr.“ Es gehe in Zukunft um einen „langfristigen, strukturierten Erfahrungs- und Wissensaustausch“ zwischen der DGU und der Bundeswehr.

Der gemeinsame Fünf-Punkte-Plan legt fest, dass Chirurgen künftig bundesweit und flächendeckend für eine medizinischen Versorgung im Terror-Fall geschult werden sollen, da besonders die Versorgung von Schuss- und Explosionsverletzungen spezielle Kenntnisse erfordert. DGU und Bundeswehr wollen so dafür sorgen, dass Terroropfer in Deutschland immer und überall „schnell und situationsgerecht auf hohem Niveau“ versorgt werden können.

Offiziere des Sanitätsdienstes der Bundeswehr beraten bereits seit einigen Jahren

Die DGU vertieft mit dem Fünf-Punkte-Plan und der Auftaktkonferenz dazu ihre bisherige zivil-militärische Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Die Truppe bringt bereits jetzt ihre medizinische und taktische Expertise zur Versorgung von Schuss- und Explosionsverletzungen und dem Einsatz auf gefährlichem Terrain in die Initiative „TraumaNetzwerk DGU®“ ein. Der Initiative gehören deutschlandweit mehr als 600 Kliniken an, die Schwerverletzte nach einheitlichen Standards versorgen. Die Kliniken sind in 52 zertifizierten sogenannten „TraumaNetzwerken“ organisiert.

2013 hatte die DGU auch die Arbeitsgemeinschaft „Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie“ (AG EKTC) gegründet, die heute von Sanitätsoffizieren der Bundeswehr geführt wird und interdisziplinär besetzt ist.

Professor Dr. Reinhard Hoffmann, Generalsekretär der Gesellschaft, sagte in Berlin bei einem der Konferenz vorgeschalteten Pressetermin: „Die qualitative Versorgung von schwerverletzten Unfallopfern ist eine Kernaufgabe der DGU. Als erste medizinische Fachgesellschaft in Deutschland wollen wir nun sicherstellen, dass das qualitativ hohe Wissensniveau auch zur medizinischen Versorgung von Terroropfern strukturiert gebündelt und somit flächendeckend nutzbar gemacht wird.“

Antworten auf klinische, taktische und strategische Herausforderungen

Die Bedeutung der zivil-militärischen Zusammenarbeit zwischen DGU und Bundeswehr verdeutlichte in Berlin auch noch einmal der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Dr. Michael Tempel. Er sagte: „Im Ernstfall sind sowohl das Militär als auch die zivile Medizin gleichermaßen auf die Nutzung des vollen Umfangs der vorliegenden Erfahrungen angewiesen. Nur unter Rückgriff auf die Expertise des anderen sind wir in der Lage, die Herausforderungen angesichts des Terrorismus zu bewältigen.“

Ein Schwerpunkt der Konferenz „Terroranschläge – eine neue traumatologische Herausforderung“ galt der Analyse. So befasste sich ein Beitrag mit den Erfahrungen jener Helfer und Mediziner, die die Opfer der Pariser Anschlägen vom 13. November 2015 versorgt hatten. Ein anderer Vortrag skizzierte die aktuelle Sicherheitslage in Deutschland und in Europa. Es folgte daraus die zentrale Frage: Welche Kenntnisse sind nötig, um den medizinischen Herausforderungen vor dem Hintergrund der weltweit zunehmenden terroristischen Bedrohung klinisch, taktisch und strategisch begegnen zu können?

Auf dem Konferenzprogramm standen anschließend weitere Themen wie „Spezifische Gefahrenlagen“, „ABC-Gefahren“, „Verletzungsmuster durch Terror“ oder „Klinisches Management des Terrors“. Bei der Notfallkonferenz traten übrigens zivile Unfallfallchirurgen und Sanitätsoffiziere der Bundeswehr erstmals „in direkter Partnerschaft“ in der Öffentlichkeit gemeinsam auf.

Präklinische und klinische Abläufe unter Extrembedingungen trainieren

Neben dem engen Erfahrungs- und Wissensaustausch beinhaltet der gemeinsame „Fünf-Punkte-Plan der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und der Bundeswehr zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung in besonderen Katastrophen und bei möglichen Terroranschlägen“ eine ganze Reihe geplanter Maßnahmen.

So will die DGU künftig über die Netzwerkstruktur ihrer Initiative „TraumaNetzwerk DGU®“ dringend nötige Erkenntnisse über die medizinische Versorgung von Terroropfern in allen Traumazentren etablieren. An zehn „Informationstagen“ sollen in verschiedenen Städten zunächst die Vertreter der regionalen „TraumaNetzwerke“ über die Ergebnisse der Berliner Notfallkonferenz informiert werden. Die DGU will ferner einen Leitfaden erarbeiten, der sich unter anderem mit der Modifikation von Katastrophenplänen für die Region und der Zusammenarbeit mit Behörden, Sicherheitskräften und Rettungsorganisationen befasst.

Darüber hinaus unterstützt die DGU die „TraumaNetzwerke“ bei der Planung und Durchführung von Notfallübungen. In dem gemeinsamen Papier der Gesellschaft und der Bundeswehr heißt es dazu: „Da während einer Notfallübung der Regelbetrieb einer Klinik stillgelegt und Operationssäle geschlossen werden müssen, entstehen je nach Klinikgröße Kosten von rund 100.000 Euro pro Übung – ein Grund, weshalb Notfallübungen in Deutschland bisher nicht zur Routine gehören. Die DGU ist jedoch der festen Überzeugung, dass präklinische und klinische Abläufe unter Extrembedingungen für den Ernstfall flächendeckend trainiert werden müssen. Sie fordert daher, dass solche Übungen nicht nur zu Recht von der Öffentlichkeit eingefordert werden können, sondern auch entsprechend von den zuständigen Stellen zu finanzieren sind. Deshalb bietet die DGU den ,TraumaNetzwerken‘ ihre Unterstützung bei der politischen Überzeugungsarbeit für die dringend notwendige Finanzierung von Notfallübungen durch die jeweils zuständigen Behörden oder Klinikträger an.“

Spezialkurse, Datenbanken und wissenschaftliche Kooperation

Ein weiterer Punkt auf der Agenda sind spezielle Ausbildungsformate für Chirurgen zur Behandlung von Terroropfern mit Schuss- und Explosionsverletzungen. Dazu will die DGU ab Januar 2017 für den Bereich der Katastrophen-Chirurgie Kurse anbieten. Zivil-militärische Teams sollen dabei Grundlagenkenntnisse für den Ernstfall nach Terroranschlägen vermitteln.

Geplant ist auch, das „TraumaRegister DGU®“ zur Erfassung von Schwerverletzten um ein Schuss- und Explosionsregister zu erweitern. Das DGU-Register ist mit mehr als 30.000 Fällen pro Jahr eines der weltweit größten klinischen Schwerverletztenregister überhaupt. Es ist Grundlage für wissenschaftliche Analysen und die Qualitätssicherung in deutschen Kliniken. Das bisher von Sanitätsoffizieren gepflegte Register für Schuss- und Explosionsverletzungen soll dem „TraumaRegister DGU®“ angefügt werden. Somit können im Rahmen der zivilen Versorgung auch Schuss- und Explosionsverletzungen deutschlandweit einheitlich dokumentiert und wissenschaftlich ausgewertet werden.

Der fünfte und letzte Planpunkt sieht vor, neben der Begründung einer strategischen Partnerschaft mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr jetzt auch eine wissenschaftliche Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie einzugehen. Beide Gesellschaften wollen dies vertraglich regeln.


Zu unseren Symbolbildern:
1. Rettungsfahrzeuge warten am 20. Februar 2011 auf dem Stuttgarter Flughafen im Hangar der Lufthansa auf verwundete Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan. Die Soldaten wurden an diesem Tag in das Bundeswehrkrankenhaus Ulm verlegt.
(Foto: Harald Dettenborn/Bundeswehr)

2. Hamm im Mai 2011: Blick in das Rettungszentrum bei der multinationalen Sanitätsübung „Blue Travel“. Das Zentrum, das in seiner Leistungsfähigkeit einem Krankenhaus entspricht, wurde bei der Übung von Medizinern und Sanitätspersonal verschiedener Nationen betrieben. Das Training einer fachlich engen Zusammenarbeit ist wichtig für eine spätere gemeinsame sanitätsdienstliche Versorgung der Soldaten im Auslandseinsatz.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

3. T-Shirt „Rettungsdienst der Bundeswehr“ – gesehen am 11. Juni 2016 in der Koblenzer Falckenstein-Kaserne beim „Tag der Bundeswehr“.
(Foto: Christian Dewitz)


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