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Kabul (Afghanistan)/Mainz. Es ist gut drei Jahre her, dass die Sicherheitskräfte Afghanistans die volle Verantwortung für ihr Land übernahmen. Der damalige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, extra zur Übergabezeremonie in die Hauptstadt Kabul gereist, sprach von einem „Meilenstein“. Es klang zuversichtlich, als der Däne an jenem 18. Juni 2013 darauf verwies: „Vor zehn Jahren gab es keine nationalen afghanischen Sicherheitskräfte. Vor fünf Jahren waren sie ein Bruchteil von dem, was sie heute sind. Jetzt gibt es 350.000 afghanische Soldaten und Polizisten.“ Dass Quantität nicht der alleinige Garant für militärischen Erfolg sein kann, belegt die aktuelle Sicherheitslage am Hindukusch. Sie ist äußerst fragil. Dies zeigt auch auf beklemmende Weise die mehrfach ausgezeichnete Dokumentation „Allein gegen die Taliban – afghanische Soldaten an der Front“, die ZDFinfo am morgigen Freitag (19. August) ab 12:45 Uhr ausstrahlt. Die Doku von Saeed Taji Farouky und Michael McEvoy ist eingebettet in einen ZDF-Thementag, der sich mit Islamismus und „Heiligem Krieg“ befasst.

Der vom US-Senat eingesetzte Kontrolleur für den Wiederaufbau Afghanistans, John Sopko, zitiert in seinem neuesten Halbjahresbericht vom 30. Juli unter der Rubrik „Sicherheit“ eine Bestandsaufnahme der U.S. Forces-Afghanistan (USFOR-A). Demnach waren zum Stichtag 28. Mai 2016 lediglich 65,5 Prozent Afghanistans unter staatlicher Kontrolle oder lagen im Einflussbereich des Staates. Ende Januar 2016 waren es noch 70,5 Prozent gewesen.

Verluste bei den afghanischen Sicherheitskräften weiter angestiegen

Wie der Bericht Sopkos, Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR), unter Berufung auf USFOR-A weiter darlegt, waren Ende Mai von den 407 Bezirken der 34 afghanischen Provinzen 268 in Regierungshand. 36 Bezirke (8,8 Prozent) von 15 Provinzen befanden sich zu dem Zeitpunkt unter Kontrolle oder Einfluss der Aufständischen, 104 Bezirke (25,6 Prozent) galten als „gefährdet“.

Im vergangenen Jahr starben in Gefechten mit den Regierungsgegnern etwa 7000 afghanische Soldaten und Polizisten, rund 14.000 Sicherheitskräfte sollen verletzt worden sein. Laut dem Dezember-Bericht des US-Verteidigungsministeriums an den Kongress zur Lage in Afghanistan haben die afghanischen Sicherheitskräfte im Zeitraum 1. Januar bis 15. November 2015 rund 27 Prozent höhere Verluste als im Vergleichszeitraum 2014 erlitten.

Vor diesem Hintergrund ermöglicht die Dokumentation „Allein gegen die Taliban“ der Filmemacher Farouky and McEvoy unverstellte Einblicke in den Alltag der Afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army, ANA). Als „Tell Spring not to come this Year“ wurde das 87 Minuten dauernde Werk erstmals 2015 in Großbritannien gezeigt. Im selben Jahr erhielt die Doku auf der Berlinale den Filmpreis der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

Unregelmäßiger Sold, mangelhafte Ausrüstung und blutige Gefechte

Mit Ende des ISAF-Einsatzes (ISAF = International Security Assistance Force/Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe) und dem Abzug der NATO-Verbände aus Afghanistan übernahm die ANA auch die Kontrolle in der Südprovinz Helmand, die als äußerst gefährlich gilt. Attacken durch Talibankämpfer sind hier an der Tagesordnung. Sicherheit oder gar Frieden scheinen unerreichbar.

In dieser Umbruchperiode haben die Regisseure über ein Jahr hinweg eine Kompanie der ANA im Fronteinsatz in Helmand begleitet. Die Soldaten bekommen nur unregelmäßig Sold, es mangelt an Nachschub und die Ausrüstung ist schlecht. Mit dem zurückgelassenen ISAF-Material lässt sich kein Krieg gewinnen.

Die Cinemascope-Bilder von Saeed Taji Farouky geben dem Alltag der Soldaten eine epische Dimension, private Momente und blutige Gefechte wirken wie Metaphern für das Schicksal des zerrissenen Landes. In reflexiven Interviews aus dem Off äußern die Protagonisten ihre Zweifel und offenbaren Hoffnungen und Träume. Gezeigt wird die Absurdität des Konflikts aus der Perspektive der afghanischen Soldaten. Gezeigt wird auch ein Land, dessen Staatsmacht einem Feind ausgeliefert ist, den auch NATO-Truppen in all den Jahren nicht haben besiegen können. Daran hat sich bis jetzt kaum etwas geändert …

Abstände zwischen den Terroranschlägen in Europa werden geringer

Die Dokumentation „Allein gegen die Taliban“ bildet am morgigen Freitag den Höhepunkt eines ZDF-Filmtages, der sich mit dem Themenpaket „Islamismus und Heiliger Krieg“ befasst.

Ab 09:15 Uhr (bis 10 Uhr) erklärt „Der gespaltene Islam“, wieso in Syrien, im Iran und in Saudi-Arabien Schiiten und Sunniten einander bekämpfen. Die Schiiten – geführt vom Iran – und die Sunniten – unter dem Schutz von Saudi-Arabien und Katar – sind rivalisierende Zweige des Islams, die um ihre religiöse und politische Vormachtstellung in der arabischen Welt ringen.

Anschließend berichtet „Terror im Namen Allahs“ (von 10 bis 10:45 Uhr) vom Aufstieg der Dschihadistenorganisation „Islamischer Staat“, kurz IS. Der Film zeichnet nach, wie die Extremisten innerhalb eines Jahres an Stärke gewannen, wie sie sich finanzieren und wie sie agieren. Die Menschen im Irak und in Syrien flohen beim Vorrücken des IS massenhaft. Für die, die bleiben mussten und müssen, bedeutet die Herrschaft der unheiligen Bewegung nur blanker Horror.

Auch in der westlichen Welt ist der Terror längst angekommen, wie „Dschihad in Europa“ ab 10:45 Uhr (bis 11:15 Uhr) nachzeichnet. Paris, Brüssel, Nizza – die Abstände zwischen den Terroranschlägen in Europa werden kürzer. Und Deutschland ist mittlerweile ebenfalls zum Ziel der Fanatiker geworden. Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King’s College erläutert in der Dokumentation die „neue Strategie“ des IS: „Es ist klar, dass der IS Anfang 2015 – dies wissen wir von Berichten verschiedener zurückgekehrter Auslandskämpfer – damit begonnen hat, in Syrien europäische Auslandskämpfer zu Kommandos zusammenzustellen, die dann den Auftrag hatten, nach Europa zurückzukehren, um dort solche Anschläge zu verüben.“ Deutschland ist heute – das zeigen der Angriff in einer Regionalbahn bei Würzburg oder der Sprengstoffanschlag in Ansbach – genauso bedroht wie Belgien, Frankreich und andere europäische Staaten.

Reise nach Pakistan in das Herz des internationalen Terrorismus

Eine außerordentlich effektive terroristische Propaganda flutet seit einigen Jahren das Netz. Die französische Dokumentation „Dschihad 2.0 – islamistische Propaganda im Netz“ zeigt von 11:15 bis 12 Uhr, wie der IS die Neuen Medien für seine Zwecke missbraucht. Dabei stehen die „Werbung“ für den bewaffneten Dschihad im Vordergrund und der Versuch der Religionsfaschisten, Jugendliche auf die Schlachtfelder im Nahen Osten zu locken.

Eine Forschungsreise führt danach (12 bis 12:45 Uhr) in das Herz des internationalen Terrorismus in Pakistan. „Fundamentalismus – einmal Dschihad und zurück“ begibt sich auf die Suche nach neuen Lösungen, um den radikalen Islamismus zu „entschärfen“. Die vom Radikalismus aufgeworfenen Fragen sind vielfältig. Sie erfordern eine politische, soziale, kulturelle, aber auch psychologische Herangehensweise. Die britische Dokumentation versucht, das Profil von Personen nachzuzeichnen, die einer Gehirnwäsche unterzogen wurden und bereit sind, im Namen Allahs zu töten.

Nach dem Herzstück des Thementages „Allein gegen die Taliban“ (12:45 bis 13:30 Uhr) zeichnet der Film „Islamist im Staatsauftrag“ ab 13:30 Uhr (bis 14:15 Uhr) die schillernde Karriere von Irfan Peci nach. Der Deutsch-Bosnier war einer der wichtigsten islamistischen Propagandisten im deutschsprachigen Raum und wurde danach zu einem der wichtigsten V-Männer des Verfassungsschutzes.


Randnotiz                                  

Filmdokumentation „Allein gegen die Taliban – afghanische Soldaten an der Front“ (Originaltitel: „Tell Spring not to come this Year“); Großbritannien 2015. Von Saeed Taji Farouky und Michael McEvoy. ZDFinfo am Freitag, 19. August 2016; 12:45 bis 13:30 Uhr. Wiederholung in ZDFinfo am Samstag, 20. August 2016; 8:30 bis 9:15 Uhr.

Davor und danach zeigt der Thementag in ZDFinfo die folgenden Produktionen (einige Filme haben wir bereits in den zurückliegenden Wochen und Monaten vorgestellt):
9:15 bis 10 Uhr: „Der gespaltene Islam – Sunniten und Schiiten im Glaubenskrieg“; Frankreich 2013.
10 bis 10:45 Uhr: „Terror im Namen Allahs – der unheimliche Aufstieg des IS“; Syrien/Irak 2014.
10:45 bis 11:15 Uhr: „Dschihad in Europa – warum die Terrorgefahr wächst“; Deutschland 2016.
11:15 bis 12 Uhr: „Dschihad 2.0 – islamistische Propaganda im Netz“; Frankreich 2015.
12 bis 12:45 Uhr: „Fundamentalismus – einmal Dschihad und zurück“; Großbritannien 2015.
13:30 bis 14:15 Uhr: „Islamist im Staatsauftrag“; Deutschland 2015.
Alle Angaben ohne Gewähr.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Soldaten der Afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army, ANA) am 6. Februar 2010 im Camp Tombstone in der Südprovinz Helmand. Die Truppe wartet auf eine Inspektion.
(Foto: Efren Lopez/U.S. Air Force)

2. Szene aus der Dokumentation „Allein gegen die Taliban“: Sunnatullah, Soldat der ANA. Er und seine Kameraden sind Tag für Tag extrem gefährlichen Situationen ausgesetzt.
(Foto: Saeed Taji Farouky/ZFD)

3. Truppenparade am 19. August 2013 im Camp Shorabak, Helmand-Provinz. Rechts ein Offizier der ANA.
(Foto: Tammy K. Hineline/U.S. Marine Corps)

Kleines Beitragsbild: Soldat der ANA während einer Militäroperation gegen Aufständische in Sarobi, dem östlichsten Bezirk der Provinz Kabul. Die Aufnahme wurde am 9. September 2013 gemacht.
(Foto: James K. McCann/U.S. Army)


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