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Mazar-e Sharif (Afghanistan)/Berlin/Potsdam. Das deutsche Generalkonsulat in der nordafghanischen Stadt Mazar-e Sharif ist am gestrigen Donnerstag (10. November) von schwer bewaffneten radikalislamischen Taliban angegriffen worden. Dabei wurde auch eine Autobombe gezündet. Mindestens sechs Menschen starben, etwa 120 wurden verletzt. Deutsche kamen nach Informationen des Auswärtigen Amtes nicht zu Schaden. Der Überfall ereignete sich am Donnerstagabend um 19:35 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (MEZ)/23:05 afghanischer Ortszeit. Die Taliban bekannten sich zu der Tat. In einer Internet-Stellungnahme bezeichneten sie den Angriff als „Märtyrerattacke“ und „Rache“ für ein US-Bombardement in der Kunduz-Provinz am 3. November, bei dem mehr als 30 Zivilisten ums Leben gekommen waren.

Ein Selbstmordattentäter hatte am gestrigen Abend zunächst einen mit Sprengstoff beladenen Kohlelaster in die Schutzmauer des deutschen Generalkonsulats nahe des Eingangsbereichs gerammt. Dabei starb auch der Attentäter. Anschließend kam es im Bereich des Konsulats zu einem anhaltenden Schusswechsel mit einer unbekannten Anzahl Angreifer.

Wie der Presse- und Informationsstab des Verteidigungsministeriums in Berlin und das Einsatzführungskommando in Potsdam am heutigen Freitag weiter mitteilten, seien unmittelbar danach „deutsche Soldaten der Force Protection (Schutzkräfte) und internationale Soldaten der Quick Reaction Force (schnelle Reaktionskräfte) des Hauptquartiers ,Resolute Support Train Advise Assist Command North‘ (TAAC-North) alarmiert“ und zum Anschlagsort entsandt worden. Die Kräfte seien dort gegen 21:05 Uhr (MEZ) eingetroffen.

In der Vertretung „Zimmer für Zimmer“ nach den Terroristen abgesucht

Zuvor hatten bereits afghanische Sicherheitskräfte gemeinsam mit Sicherheitspersonal des Generalkonsulats den Kampf gegen die eingedrungenen Taliban aufgenommen. Der Polizeichef der Provinz Balkh, General Sayed Kamal Sadat, berichtete später gegenüber Pressevertretern, dass die Soldaten und Polizisten „die Gegend um das Generalkonsulat abgeriegelt“ hätten. Danach seien „Zimmer für Zimmer“ durchkämmt worden, ohne allerdings „weitere Angreifer“ entdecken zu können.

In Berlin war bereits zu diesem Zeitpunkt auf Weisung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier der Krisenstab im Auswärtigen Amt zusammengekommen.

Mindestens sechs tote und rund 120 verletzte Zivilisten zu beklagen

Die Sicherheitskräfte fanden nach ihrem Eintreffen auf dem Konsulatsgelände ein „teilweise massiv zerstörtes Gebäude“ vor. Die Angehörigen des Generalkonsulats waren alle unversehrt geblieben. Wie das Potsdamer Einsatzführungskommando weiter mitteilte, habe man gegen 23:20 Uhr (MEZ) alle 20 Angehörigen der Vertretung aus dem Konsulatsbereich evakuieren und in das etwa zehn Kilometer entfernte Camp Marmal bringen können.

Die Sicherung des diplomatischen Geländes in Mazar-e Sharif übernahmen unmittelbar nach ihrer Ankunft am Anschlagsort Angehörige der Quick Reaction Force sowie weitere Schutzkräfte des TAAC-North.

Nach Angaben des Leiters des „Abu Ali Sina“-Regionalkrankenhauses Mazar-e Sharif, Noor Mohammad Faiz, stieg die Zahl der Toten dieses Terrorüberfalls bis zum Freitagvormittag auf mindestens sechs an. Etwa 120 Menschen wurden durch die massive Explosion verletzt.

Vergeltung für einen Luftschlag des US-Militärs in der Provinz Kunduz

Mit dem Angriff wollten die Taliban angeblich den Tod von Zivilisten in der Provinz Kunduz rächen – so hieß es nach dem Konsulatsanschlag in Verlautbarungen der Radikalislamisten. Am 3. November war das US-Militär afghanischen Truppen und Beratern, die in einem Gebiet namens „Bohd Qhandahari“ unter heftigen Beschuss der Aufständischen geraten waren, mit einem Luftangriff zur Hilfe gekommen. Dabei starben mehr als 30 Zivilisten, 19 weitere wurden verletzt. Der Angriff wurde später international heftig kritisiert.

Sabiullah Mudschahid, Sprecher der Taliban, äußerte sich nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur (dpa) wie folgt: „Wieso sollten wir die Deutschen nicht angreifen? Deutschland war direkt beteiligt an dem Luftschlag in der Kunduz-Provinz, der Zivilisten das Leben gekostet hat. Dieser Luftangriff basierte auf nachrichtendienstlichen Informationen, die deutsche Soldaten den US-Truppen gegeben haben. Jeder weiß, dass sie noch ein Lager in Nordafghanistan haben. Deutsche Soldaten sind noch immer dort.“ Die Taliban hatten zudem eine Stellungnahme veröffentlicht, wonach der Angriff auf das Konsulat „Rache“ für den Luftangriff bei Bohd Qhandahari war. Deutschland werde in dem Statement als „Invasorenland“ bezeichnet, berichtete die Agentur.

Der Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan, Brigadegeneral Charles H. Cleveland, hatte dpa vergangene Woche nach dem Angriff in der Provinz Kunduz per E-Mail bestätigt, dass die Vereinigten Staaten einen Luftangriff zum Schutz einer unter Beschuss geratenen afghanisch-amerikanischen Bodenoffensive ausgeführt hätten. Nach Auskunft der Bundesregierung war die Bundeswehr am fraglichen Luftangriff nicht beteiligt.

Gesamtes Team des deutschen Generalkonsulats in Mazar-e Sharif gerettet

In der Nacht vom Donnerstag auf den heutigen Freitag, gegen 1:40 Uhr (MEZ), meldete schließlich das Auswärtige Amt in Berlin: „Der bewaffnete Angriff auf das deutsche Generalkonsulat in Mazar-e Sharif ist beendet. Die schwer bewaffneten Angreifer sind vom Sicherheitspersonal des Generalkonsulats, von afghanischen Sicherheitskräften und Sondereinsatzkräften von ‚Resolute Support‘ aus Camp Marmal zurückgeschlagen worden. […] Alle deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Generalkonsulats sind sicher und unverletzt.“ Zu den „Resolute-Support“-Sondereinsatzkräften zählte belgisches, deutsches, georgisches und lettisches Personal.

Außenminister Steinmeier trat am heutigen Vormittag in Berlin vor die Presse und gab eine Erklärung ab. Er sagte unter anderem: „Ich bin erleichtert, dass alle Angehörigen des Generalkonsulats – Deutsche und Afghanen – in Sicherheit und unverletzt geblieben sind. Aber wer die Bilder von den Zerstörungen gesehen hat, die der Sprengstoffanschlag ausgelöst hat, den kann die traurige Nachricht kaum überraschen, dass bei dem Angriff auch Menschen ums Leben gekommen sind und auch sehr viele verletzt wurden. Mein tief empfundenes Mitgefühl ist bei den Angehörigen der Opfer – sechs sind bisher bestätigt. Unsere Gedanken gelten den vielen Toten und Verletzten. Den Verletzten wünsche ich baldige Genesung.“

Steinmeier lobte danach die afghanischen Sicherheitskräfte und Einsatzkräfte von „Resolute Support“. Sie seien schnell zu Hilfe geeilt und hätten den Angriff „mit großem Mut, hoher Professionalität und dem Einsatz des eigenen Lebens“ erfolgreich zurückgeschlagen. Weiter sagte der Minister: „Mein ausdrücklicher Dank gilt auch den Einsatzkräften der Bundeswehr und der Bundespolizei, die gestern eine ganz entscheidende Rolle dafür gespielt haben, dass kein einziger Angehöriger des Generalkonsulats zu Schaden gekommen ist.“

Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dankte heute vor Vertretern der Hauptstadtpresse den afghanischen Sicherheitskräften, der Bundeswehr und Bundespolizei sowie den internationalen Partnern vor Ort für ihre Unterstützung.

Afghanistan und Deutschland weiterhin entschlossen gegen den Terror

Der afghanische Staatspräsident Ashraf Ghani verurteilte scharf die Attacke auf die diplomatische Einrichtung in Mazar-e Sharif. In seiner Erklärung bezeichnete er die Tat als einen „Akt der Feinde Afghanistans, die weder Fortschritt noch Frieden im Land wünschen“. Komplexe Angriffe wie dieser könnten nicht ohne die entsprechende Unterstützung Dritter bewerkstelligt werden, gab der Präsident zu bedenken.

Wörtlich heißt es in dem Präsidentenstatement weiter: „Unsere Feinde setzen sich über international geltendes Recht hinweg, verstoßen gegen Menschenrechtskonventionen und treten mit ihren Attacken gegen öffentliche und nun auch diplomatische Bereiche die Humanität mit Füßen. Sie sollen und müssen wissen, dass ihr Angriff [auf das deutsche Generalkonsulat] keinesfalls die Entschlossenheit Afghanistans und Deutschlands mindern wird, den Terrorismus zu bekämpfen.“ Man werde die Drahtzieher und terroristischen Gruppierungen, die hinter diesem Attentat steckten, jagen.

Gezieltes Feuer auf drei Motorradfahrer, die zuvor alle Warnschüsse ignorierten

Wie erst im Laufe des heutigen Vormittags durch das Einsatzführungskommando bekannt wurde, gab es in Mazar-e Sharif noch einen weiteren blutigen Zwischenfall.

So sollen sich in der Nacht gegen 2:40 Uhr (MEZ) drei Motorradfahrer den zur Sicherung und Absperrung des Anschlagsortes um das Generalkonsulat eingesetzten deutschen Soldaten der Force Protection genähert haben. Aus der Mitteilung des Kommandos: „Diese [die Motorradfahrer] reagierten nicht auf Warnschüsse, die unter anderem mit Signalpistole abgegeben wurden. Daraufhin eröffneten die Soldaten das gezielte Feuer. Dabei wurden zwei Motorradfahrer tödlich verwundet. Der dritte wurde durch den vor Ort befindlichen Beweglichen Arzttrupp – BAT – erstversorgt. Zivile afghanische Rettungskräfte wurden alarmiert und brachten [den Verwundeten] in ein Krankenhaus. Die genauen Umstände werden weiter untersucht.“

Das Gelände des Generalkonsulats wird nach wie vor durch die Quick Reaction Force sowie Schutzkräften des TAAC-North gesichert.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Das deutsche Generalkonsulat in Mazar-e Sharif liegt in der Nähe der Blauen Moschee. Der Bau aus dem 15. Jahrhundert ist das Wahrzeichen der Stadt und gilt bei den Afghanen als Begräbnisstätte Ali ibn Abu Talibs, Schwiegersohn des Religionsstifters Mohammed. Das Konsulat war im Juni 2013 vom damaligen FDP-Außenminister Guido Westerwelle eröffnet worden. Aus Sorge vor Anschlägen ist der Komplex schon immer streng gesichert worden. Unsere Bildmontage zeigt die mächtige Schutzmauer für das diplomatische Areal sowie eine Innenansicht der Vertretung.
(Kleines Foto: Deutsches Generalkonsulat Mazar-e Sharif. Großes Foto: Zenwort/Wikipedia/unter Lizenz CC BY-SA 3.0; vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)

2. Die Aufnahme des früheren BBC-Korrespondenten Tahir Qadiry vom 11. November 2016 zeigt die Stelle an der Konsulatsaußenmauer, an der der mit Sprengstoff beladene Kleinlaster der Taliban zur Explosion gebracht wurde. Wir bedanken uns herzlich für die Erlaubnis, dieses Bild nutzen zu dürfen.
(Foto: Tahir Qadiry)


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