Berlin. Das Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin veranstaltet am Dienstag und Mittwoch kommender Woche (6. und 7. Dezember) das „5. Berliner Psychotraumakolloquium“. Grundgedanke dieser Veranstaltung ist es, zivile und militärische Fachdisziplinen der psychosozialen Versorgung weiter miteinander zu vernetzen. In dieses Netzwerk der Hilfe eingebunden sind auch das Bundesministerium der Verteidigung und die nachgeordneten zuständigen Kommandobehörden. Das zweitägige Kolloquium findet in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin-Wedding statt.
Im Mittelpunkt der diesjährigen „Berliner Psychotraumakolloquiums“ steht die Frage nach dem „Innenleben“ der Soldatenfamilie. Dazu erklärt Dr. Gerd Willmund, Leiter der Forschungssektion des Zentrums für Psychiatrie und Psychotraumatologie der Bundeswehr: „Für die Genesung unserer physisch und psychisch Verwundeten ist es unumgänglich, die Bedingungen und Belastungen in den Familien wahrzunehmen und auch dort Hilfestellung zu geben. Vereinbarkeit von Familie und Beruf bringt als Forderung mit sich, Gewissheit zu haben, dass im Ernstfall auch der Familie Hilfe zuteil wird.“
Man freue sich ganz besonders, so der Oberstarzt, beim Kolloquium den Themenkomplex „Military Family“ auch mit internationalen Experten erörtern zu können. So haben – neben deutschen Wissenschaftlern – Forscher aus Großbritannien, Kanada und den USA ihre Teilnahme zugesagt. Willmund, der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist, erklärt weiter: „Wir wollen erfahren, wie sich Traumatisierung von Militärangehörigen auf die Familien transgenerational auswirkt und wie insbesondere die Kinder unserer Soldaten und Soldatinnen Traumatisierung und psychische Krankheit eines Elternteiles und die veränderten Rahmenbedingungen in den Familien wahrnehmen und darauf reagieren.“
Die Tagungsteilnehmer wollen sich außerdem mit Versorgungs- und Rehabilitationskonzepten befassen sowie über den Komplex „Traumafolgen mit Auswirkungen auf Behandlung und Rehabilitation“ diskutieren. Ein weiterer Schwerpunkt behandelt danach aktuelle Erkenntnisse zu möglichen Biomarkern von Posttraumatischen Belastungsstörungen im Hinblick auf eine Früherkennung.
Das Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie/Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin gibt es seit Mai 2010. Die Einrichtung vereint heute die beiden Bereiche psychosoziale Forschung und psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung.
Neben der Behandlung von allgemeinpsychiatrischen Erkrankungen (wie Depressionen, Sucht- und Angststörungen) liegt der Behandlungsschwerpunkt des Zentrums in der Therapie von belastungsreaktiven Störungen wie Anpassungsstörungen und Posttraumatische Belastungsstörungen. Die Medizin versteht unter dem Begriff „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) die Entstehung einer verzögerten Reaktion auf ein belastendes einmaliges oder wiederkehrendes negatives Erlebnis.
Einen besonderen Fokus richtet das Psychotraumazentrum auf die Therapie einsatzbedingter psychischer Störungen von Bundeswehrangehörigen sowie Angehörigen anderer deutscher Sicherheitsbehörden.
Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang abschließend noch einen Blick auf die letzten PTBS-Zahlen der Bundeswehr werfen. Die Zahlen vom 22. Februar dieses Jahres, veröffentlicht vom Presse- und Informationsstab des Verteidigungsministeriums, befassen sich mit der Situation im Jahr 2015 (neueste Zahlen für das Jahr 2016 erwarten wir zu Jahresbeginn).
Die Gesamtzahl der im Jahr 2015 neu diagnostizierten einsatzbedingten psychischen Störungen (344) blieb im Vergleich zum Vorjahr (368) nahezu konstant. Bei den Neuerkrankungen stieg die Zahl der PTBS-Fälle (235) um 31 Fälle. Dies bedeutete einen Anstieg um 15 Prozent.
Neben einer Posttraumatischen Belastungsstörung können noch andere psychische Störungen auftreten. Insgesamt wurden hier 153 Einsatzsoldaten (61 weniger als im Vorjahr) mit anderen psychischen Erkrankungen registriert, davon 109 mit Neuerkrankungen (55 weniger als im Vorjahr).
Im Jahr 2015 wurden für alle Einsatzgebiete unserer Streitkräfte 541 Bundeswehrangehörige wegen einer PTBS vorstellig (110 mehr als im Vorjahr), 235 wurden – wie bereits erwähnt – als „Neuerkrankung“ registriert.
Weiterhin kam es 2015 wegen einer PTBS in allen Bundeswehr-Einsatzgebieten zu 1750 Behandlungskontakten und damit zu 53 Kontakten mehr als 2014 (1697). Der Begriff „Behandlungskontakte“ meint die Summe aus Neuerkrankungen und Patienten-Wiedervorstellungen.
Bei den anderen einsatzbedingten psychischen Erkrankungen wurden im gleichen Zeitraum für alle Einsatzgebiete der Bundeswehr 153 erkrankte Soldaten und Soldatinnen registriert (61 weniger als im Vorjahr), davon – wie bereits genannt – 109 Neuerkrankungen. Hier kam es 2015 zu 289 Behandlungskontakten, 138 weniger als 2014 (427).
Den Anstieg neu diagnostizierter einsatzbedingter PTBS-Fälle 2015 im Vergleich zum Vorjahr führt die Bundeswehr „auf verbesserte Sensibilisierung und Entstigmatisierungsmaßnahmen“ zurück. Nun gelte es auch die Betroffenen zu erreichen, die bislang als „Dunkelziffer“ noch nicht in Erscheinung getreten seien, so das Ministerium. Beauftragt worden seien dazu Programme, die das Fachpersonal des Sanitätsdienstes „vor allem für Angst- und affektive Störungen sensibilisieren und für betroffene Soldatinnen und Soldaten die Hürden senken soll, Hilfe aufzusuchen“.
Das Ministerium erinnert auch daran, dass Betroffene inzwischen von etwa 160 sogenannten „Lotsen für Einsatzgeschädigte“ unterstützt werden. Auch habe die Veröffentlichung des Kompendiums „Umgang mit psychischen Einsatzschädigungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörung in der Bundeswehr“ im Mai 2014 zu einer erhöhten Transparenz geführt.
Die Experten gehen davon aus, dass „voraussichtlich“ auch weiterhin mit Neuerkrankungen zu rechnen sei, da eine PTBS noch Jahre nach einem belastenden Ereignis auftreten könne.
Zu unserem Bildmaterial:
1. Park des Bundeswehrkrankenhauses Berlin mit seinem im Mai 2010 eröffneten „Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie/Psychotraumazentrum“.
(Foto: Frank Eggen/Bundeswehr)
2. Die Infografik zeigt die Gesamtzahl der PTBS-Behandlungskontakte seit 1996 bis 31. Dezember 2015. Bei dem stetigen Anstieg der Zahlen darf nicht vergessen werden, dass immer mehr Betroffene aus der Anonymität heraustreten und sich helfen lassen. Es wird in naher Zukunft auch mit einem Anstieg der PTBS-Neuerkrankungen zu rechnen sein, weil eine derartige Störung auch noch Jahre nach dem belastenden Ereignis auftreten kann. Das Hintergrundbild wurde am 11. Juni 2016 beim „Tag der Bundeswehr“ in der Koblenzer Falckenstein-Kaserne gemacht.
(Foto: mediakompakt, Infografik © mediakompakt 12.16)
Kleines Beitragsbild: Das Symbolbild „Patientengespräch“ entstand, wie unser Bild Nr.1, im Juli 2011 auf dem Gelände des Psychotraumazentrums am Bundeswehrkrankenhaus Berlin.
(Foto: Frank Eggen/Bundeswehr)