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Berlin/Königswinter. Mit 19.761 Soldatinnen ist im Juli dieses Jahres erstmals die „11-Prozent-Marke“ beim Frauenanteil in der Bundeswehr überschritten worden. Wie das Verteidigungsministerium in seiner monatlichen Stärkeübersicht zum Stichtag 31. Juli 2016 meldete, umfassten die deutschen Streitkräfte in diesem Moment insgesamt 176.841 aktive Kräfte. Der Frauenanteil betrug demnach 11,17 Prozent. Am 13. Oktober berichtete die Rheinische Post, dass der Frauenanteil zum Stichtag 31. August „bei den neu eingeplanten Kräften danach sogar 15 Prozent“ betragen habe und somit das Mindestziel, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für die Zusammensetzung „der künftigen Bundeswehr“ vorgegeben hat, erreicht worden sei.

Unter den neu eingestellten Offizieranwärtern sei bereits mehr als jeder Fünfte inzwischen eine Frau, schreibt die in Düsseldorf erscheinende Zeitung weiter. Dieses liege „an der guten Qualität“ der Bewerberinnen, zitiert das Blatt aus Bundeswehrkreisen. Es wirke sich inzwischen wohl auch positiv auf die Bewerberlage aus, dass Frauen in immer mehr militärischen Einsatzbereichen die Erfahrungen machten: „es geht“ – und davon auch in ihrem Umfeld berichteten.

Im Jahr 2001 dienten erst rund 6700 Soldatinnen in der Bundeswehr. Seitdem ist ihre Zahl kontinuierlich angestiegen. Aktuell umfasst die Truppe 176.162 Aktive, davon 19.627 Frauen (Stand: 30. September). Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil in den Streitkräften deutlich stärker zu erhöhen als bislang geplant. Die politisch angestrebte Frauenquote für alle Laufbahnen, Besoldungs- und Statusgruppen außerhalb des Sanitätsdienstes liegt seit dem Jahr 2005 bei 15 Prozent. Im Sanitätsdienst sind 50 Prozent die Vorgabe.

Medienberichten zufolge hält die Ministerin mittelfristig einen Frauenanteil in allen Bereichen außerhalb des Sanitätsdienstes in Höhe von 20 Prozent durchaus für realistisch.

Vom Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“

Im Herbst vergangenen Jahres, am 27. November 2015, hatte sich die Bundestagsfraktion der Grünen in Berlin bei ihrer Fachtagung „Kamerad (w)“ intensiv mit dem Thema der Frauen in der Bundeswehr auseinandergesetzt. Der Soziologe Hendrik Quest von der Universität Tübingen erinnerte an die schwierigen Anfänge: „Für die traditionell rein männlich geprägte Bundeswehr war die Öffnung aller Laufbahnen für Frauen 2001 eine große Herausforderung. Plötzlich wurde die Vorherrschaft der Männer hinterfragt. Und die männlichen Soldaten reagierten darauf, indem sie in Studien und Befragungen immer wieder betonten, dass der Soldatenberuf besondere körperliche Stärke erfordere – über die die Frauen natürlich nicht verfügten.“ Dieses Verhalten entspreche ziemlich genau dem Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“, das die australische Soziologin Raewyn Connell 1995 erforscht habe, erläuterte Quest im November vergangenen Jahres bei der Grünen-Veranstaltung. Sobald die Vorherrschaft der Männer in Gefahr gerate, werde „Männlichkeit“ so konstruiert, dass Frauen ausgeschlossen würden. „Dass viele männliche Soldaten dem Ideal von körperlicher Fitness auch nicht entsprechen, stellt dieses Konstrukt dabei nicht infrage“, so Quest.

Der Tübinger Wissenschaftler vertrat insgesamt die Auffassung, dass die Bundeswehr erst dann kein Paradefall mehr für „hegemoniale Männlichkeit“ sein werde, wenn auch Frauen in den Streitkräften keine Ausnahme mehr darstellten. Quest: „Es darf einfach keine Rolle spielen, ob jemand männlich oder weiblich ist. Relevant ist allein die Frage: Erfüllt der- oder diejenige Bundeswehrangehörige die Aufgabe?“

Frauen in der Bundeswehr – „keine anderen und keine besseren Männer“

Eine ähnliche Meinung vertritt auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker. Am 8. Oktober äußerte er sich bei den 12. Petersberger Gesprächen des Deutschen Bundeswehr-Verbandes in Königswinter bei Bonn zu den „Auswirkungen der sicherheitspolitischen Entwicklung auf die Streitkräfte“.

Auch in der Bundeswehr müssten sich die veränderten Lebenswirklichkeiten, Rollen und Familienbilder sowie kulturelle, religiöse, biographische und soziale Vielfalt abbilden und etablieren, forderte Wieker. Denn nur so sei es möglich, dass Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft, Prägung und Motivation „in entscheidenden, gleichermaßen schwierigen Momenten als Gemeinschaft oder eben als Kameradschaft denken und handeln“.

Über die mittlerweile mehr als 19.000 Frauen in den Streitkräften sagte der Generalinspekteur bei der Tagung des Bundeswehr-Verbandes: „Frauen müssen aber in erster Linie Frauen bleiben. Keine anderen und keine besseren Männer. Wenn Sie mal aufmerksam durch die Streitkräfte schauen, erkennen Sie immer wieder diese nicht gewollten Assimilierungstendenzen – die machen mir schon eine gewisse Sorge. Eigentlich ist diese wenig spektakuläre Feststellung etwas, wovon Streitkräfte in ihrer Gesamtheit profitieren werden. Ich meine ausdrücklich: die Komplementarität beide Geschlechter. Maskuline Hegemonie und gläserne Decken, die den Aufstieg in Führungspositionen verhindern, mindestens aber erschweren, müssen daher auch Ausdruck einer vergangenen Ideologie sein.“

Bekleidungsmanagement beschafft Maßgeschneidertes für Soldatinnen

Dem Thema „Frauen in der Bundeswehr“ fügte sich in den vergangenen Tagen eine weitere Facette hinzu. Am 16. Oktober erklärte uns Gerhard Hegmann in der Welt, „Warum die Bundeswehr jetzt Umstandsmode und Pumps bestellt“. Nach Recherchen der Tageszeitung wird die Bundeswehr demnächst erstmals „Tausende schwarze Damenhandtaschen sowie schwarze Sport-BHs und Dienstschuh-Damen-Pumps“ beschaffen. Geplant sei sogar eigene Umstandsbekleidung für schwangere Soldatinnen, schreibt Hegmann. Wie das Koblenzer Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) mitgeteilt habe, sei auch eine „Überarbeitung der Dienst- und Ausgehbekleidung – beispielsweise neue zeitgemäße Schnitte und Materialien für Dienstjacken, -hosen und -röcke“ beabsichtigt. All diese Maßnahmen dienten der „Attraktivitätssteigerung“ der Truppe, so das BAIINBw.

Der Welt-Beitrag von Wirtschaftsredakteur Gerhard Hegmann war übrigens eine Steilvorlage für etliche Medienkollegen, die so gerne alte Klischees bedienen. Da finden sich nun so geistreiche Überschriften wie „Bundeswehr rüstet für Frauen auf“ oder „Schick im Schützengraben“. Beim SWR3 reichte die Kreativität für „Verteidigungsministerin von der Leyen war fleißig shoppen“ (logischerweise heißt es später denn auch „Und von der Leyen denkt beim Shoppen natürlich auch an schwangere Soldatinnen“). Und ze.tt, ein Onlineangebot der Wochenzeitung DIE ZEIT, weiß: „Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen möchte den Bund attraktiver machen und bietet dafür ein paar neue Outfits an“.

Bei ze.tt finden wir allerdings aber auch das Statement einer jungen Stabsunteroffizierin, die anonym bleiben will. Zu Damenhandtaschen, Pumps und Sport-BH sagte sie dem Autor des Beitrages: „Ich erachte das nicht als notwendig und weiß nicht, wie das die Attraktivität der Bundeswehr steigern soll. Frauen sollten nicht zur Bundeswehr gehen, um gut auszusehen“. Womit wir wieder bei dem Tübinger Soziologen Quest und unserem Generalinspekteur wären …


Zu unserem Bildmaterial:
1. Das Symbolbild zum Thema „Frauen in der Bundeswehr“ entstand am 24. August 2015 im Hauptbahnhof Berlin.
(Foto: Tom Twardy/Bundeswehr)

2. Die Infografik zeigt den Anteil der Frauen in den deutschen Streitkräften in den Monaten Januar bis September 2016. Die Zahlen stammen vom Bundesministerium der Verteidigung. Das Hintergrundbild wurde am 18. Februar 2012 im Camp Marmal im nordafghanischen Mazar-e Sharif bei einem Appell gemacht.
(Foto: Alexander Linden/Bundeswehr)

3. Tagung „Kamerad (w)“ der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen am 27. November 2015 in Berlin. Die Gruppenaufnahme zeigt von links: Oberst i.G. Reinhold Janke (Zentrum Innere Führung), die Bundestagsabgeordnete Doris Wagner (Bündnis 90/Die Grünen), Hendrik Quest (Universität Tübingen), Dorothea Siegle (JS-Magazin), Hauptmann Petra Böhm (Deutscher Bundeswehr-Verband), Dag Schölper (Bundesforum Männer) und Henning von Bargen (Gunda-Werner-Institut).
(Foto: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen)


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