menu +

Nachrichten



Kiel/Aachen/Münster. Jenny Böken war Sanitätsoffiziersanwärterin. Während einer Ausbildungsfahrt auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ ging die damals 18-jährige Kadettin während ihrer Wache vor Norderney über Bord. Dies ereignete sich in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2008 unter bis heute immer noch nicht völlig geklärten Umständen. Trotz einer umfangreichen Suchaktion konnte die Soldatin elf Tage später nur noch tot nordwestlich von Helgoland aus der Nordsee geborgen werden. Die Kieler Staatsanwaltschaft sprach von einem „tragischen Unglück“. Jenny Bökens Eltern konnten sich mit diesem Untersuchungsergebnis nie abfinden. Ihren Antrag auf Wiederaufnahme des Falles lehnte die Staatsanwaltschaft 2011 jedoch ab. Im Oktober 2014 scheiterten Marlis und Uwe Böken mit einer Entschädigungsklage vor dem Verwaltungsgericht Aachen. Jetzt soll der Fall vor dem Oberverwaltungsgericht Münster neu verhandelt werden. Medieninformationen zufolge ist dafür der 14. September vorgesehen.

Die Eltern von Jenny Böken beschuldigen die Staatsanwaltschaft Kiel, die damaligen Ermittlungen ungenügend betrieben zu haben. Sie glauben Hinweisen, wonach ihre Tochter in jener Nacht Dienst unter besonderer Lebensgefahr leistete. Bei ihrer Nachtwache habe schwere See bei 15 Grad Wassertemperatur geherrscht, die Tochter sei ohne Schwimmweste und ungesichert auf ihrem Posten „Ausguck“ gewesen, so die Eltern.

Außerdem beklagen sie, dass Jenny unter „extremer Schlaflosigkeit“ gelitten habe und gar nicht diensttauglich gewesen sei. Zahlreiche Aussagen aus dem Unglücksjahr und eine Beurteilung der Marineschule Mürwik würden dies belegen.

Erstmals in einem öffentlichen Verfahren auch Zeugen geladen

Der Gerichtstermin vor dem Oberverwaltungsgericht Münster, der 14. September 2016, wurde von Rainer Dietz, dem Aachener Rechtsanwalt der Familie Böken, in dieser Woche auf Anfrage verschiedener Medien hin bestätigt.

Gegenüber der Verlagsgruppe Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag (shz) beispielsweise erklärte er: „Den Eltern geht es bei dem Prozess […] darum, endlich zu erfahren, was mit ihrer Tochter in der Septembernacht vor acht Jahren geschah.“ Aus diesem Grund sollen erstmals in einem öffentlichen Verfahren zentrale Zeugen zur körperlichen Gesamtverfassung der Seekadettin aussagen, außerdem sollen Zeugen die damals herrschenden äußeren Bedingungen auf See beschreiben. Dies sei so bei früheren Untersuchungen unterblieben. „Ich erhoffe mir bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Fragen neue Erkenntnisse“, sagte Dietz seinen shz-Gesprächspartnern.

Mutter Marlis Böken äußerte sich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur ähnlich: „Es ist uns einfach wichtig, wenn wir die Möglichkeit haben, durch verschiedene Aussagen doch irgendwann einmal herauszubekommen, was sich in dieser Nacht wirklich ereignet hat.“

Auf der „Gorch Fock“ in rund 50 Jahren „nur eine geringe Anzahl tödlicher Unfälle“

Die Eltern von Jenny Böken hatten bereits im Dezember 2013 die Bundesrepublik Deutschland auf 40.000 Euro Entschädigung verklagt. Dabei hatten sie sich auf eine Vorschrift des Soldatenversorgungsgesetzes berufen. Den Eltern eines Soldaten wird danach dann eine Entschädigung gezahlt, wenn er (oder sie) sich „bei Ausübung einer Diensthandlung einer damit verbundenen besonderen Lebensgefahr aussetzt und infolgedessen verstirbt“.

Am 22. Oktober 2014 hatte dann die 1. Kammer des Verwaltungsgerichtes Aachen unter Vorsitz von Vizepräsident Markus Lehmler die Entschädigungsklage der Eltern abgewiesen.

Zur Begründung führte das Gericht aus, der nächtliche Wachdienst von Offiziersanwärtern auf der „Gorch Fock“ auf dem Posten „Ausguck“ ohne Sicherung bei entsprechender Wetterlage sei zwar lebensgefährlich. Der Wachdienst sei aber nicht mit einer besonderen Lebensgefahr verbunden, wie sie Paragraf 63a des Soldatenversorgungsgesetzes für eine Entschädigung voraussetze. Eine besondere Lebensgefahr sei gegeben, wenn bei Vornahme der Diensthandlung die Wahrscheinlichkeit, sich zu verletzen oder zu versterben, höher sei als die Möglichkeit, unversehrt zu bleiben. Auf der „Gorch Fock“ habe es in über 50 Jahren als Segelschulschiff mit mehr als 14.000 Kadetten nur eine geringe Anzahl an tödlichen Unfällen gegeben, so das Gericht.

Wenige Wochen vor der Urteilsverkündung, am 6. August 2014, hatte die 1. Kammer übrigens einen Ortstermin auf der „Gorch Fock“ durchgeführt und „mit den Verfahrensbeteiligten“ insbesondere den vorderen Teil des Schiffes, wo sich das Unglück ereignet hatte, „in den Blick genommen“.

Am 14. September dieses Jahres sollen nun von dem Münsteraner Oberverwaltungsgericht nach shz-Informationen insgesamt sieben Zeugen aussagen – unter ihnen der frühere Kapitän des Segelschulschiffes Norbert Schatz und der ehemalige Schiffsarzt Wolfgang Fohr.

Ein Netzwerk der Hilfe für Bundeswehrangehörige

Jennys Mutter, Marlis Böken, gründete im November 2009 mit prominenter Unterstützung aus dem Deutschen Bundestag, dem Schleswig-Holsteinischen Landtag, der Bundeswehr sowie der deutschen Marine die Jenny-Böken-Stiftung und übernahm den Vorstandsvorsitz. Ziel der Stiftung ist es, verunglückten Bundeswehrangehörigen und deren Hinterbliebenen unkompliziert und schnell mit Rat und Tat sowie finanziell zu helfen.

Die Stiftung ist Teil des „Netzwerks der Hilfe für die Soldaten der Bundeswehr und ihre Familien“. Organisationen aus den unterschiedlichsten Themenbereichen engagieren sich hier. Dabei arbeiten bundeswehrnahe Einrichtungen eng auch mit zivilen und unabhängigen Organisationen zusammen.

Den Link zur Stiftung, deren Besuch wir Ihnen ans Herz legen, finden Sie rechts auf unserer Site unter der Rubrik Community.


Zu unserer Bildfolge:
1. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster, Ansicht vom Aegidiikirchplatz.
(Foto: Thomas Keßler/OVG NRW)

2. Seekadettin Jenny Böken am Ruder des Segelschulschiffes „Gorch Fock“ in Mürwik bei Flensburg, die Aufnahme entstand am 15. August 2008.
(Foto: Privat, Jenny-Böken-Stiftung)

3. Die „Gorch Fock“ in See – das Bild zeigt das Segelschulschiff der deutschen Marine am 21. Juni 2007 im Nordatlantik.
(Foto: Ricarda Schönbrodt/PrInfoZ Marine)

Kleines Beitragsbild: Großer Sitzungssaal im Oberverwaltungsgericht in Münster.
(Foto: OVG NRW)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN