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Strasbourg (Frankreich). Das Europäische Parlament reagiert auf die sich verschlechternde Sicherheitslage in Europa und in anderen Teilen der Welt und verlangt jetzt eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei der Verteidigung. Dies solle aber nur ein erster Schritt sein auf dem Weg zu einer Verteidigungsunion, so die Abgeordneten am vergangenen Dienstag (22. November) in einer Entschließung. Die EU-Staaten werden darin aufgefordert, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung auszugeben und multinationale Streitkräfte aufzustellen. Weiterhin befürwortet das Parlament die Einrichtung eines EU-Hauptquartiers zur Planung und Führung gemeinsamer Operationen. Die EU solle zudem dort handlungsfähig sein, wo die NATO nicht tätig werden will.

In der Entschließung „Europäische Verteidigungsunion“ werden Terrorismus, hybride Bedrohungen, Gefährdung der Energieversorgungs- und der Cybersicherheit, organisierte Kriminalität sowie Klimawandel und Migrationsbewegungen als größte Herausforderungen „für die Sicherheit einer zunehmend komplexen und miteinander verbundenen Welt“ genannt. Den EU-Ländern bliebe keine andere Wahl, als ihre sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit auszuweiten und so den Weg für eine europäische Verteidigungsunion zu bereiten, erklären die EU-Abgeordneten.

Europa verlässt sich hauptsächlich auf die Solidarität der Vereinigten Staaten

In der Resolution, die mit 369 Stimmen bei 255 Gegenstimmen und 70 Enthaltungen angenommen wurde, heben sie hervor, dass es „im Interesse der Solidarität und der Resilienz erforderlich ist, dass die EU zusammenhält und geschlossen und systematisch handelt“. Bisher habe es an der Bereitschaft der Mitgliedstaaten gemangelt, eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion aufzubauen, da sie eine Bedrohung ihrer nationalen Souveränität befürchteten, so die Kritiker.

Der frühere Außenminister Estlands, Urmas Paet, sagte dazu in Strasbourg in seiner Eigenschaft als zuständiger Berichterstatter im Ausschuss „Auswärtige Angelegenheiten“: „Unsere Union ist nicht darauf vorbereitet, die enormen verteidigungspolitischen Herausforderungen zu bewältigen. Seit 30 Jahren kürzen die Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsausgaben, was zu einer Verkleinerung der Streitkräfte geführt hat. Sie arbeiten nur gelegentlich zusammen und Europa verlässt sich hauptsächlich auf die Fähigkeiten der NATO und die Solidarität der USA.“ Der Impuls sei jetzt da, auf eine europäische Verteidigungsunion hinzuarbeiten, meinte der Europapolitiker der Fraktion ALDE (Alliance of Liberals and Democrats for Europe/Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa).

Wie ernst es mittlerweile dem Europaparlament mit einer europäischen Verteidigungsunion ist, wird in der Entschließung immer wieder deutlich. So finden wir in dem Dokument beispielsweise die Passage: „Aufgrund der verschlechterten Wahrnehmung von Risiken und Bedrohungen in Europa [ist] die Schaffung der europäischen Verteidigungsunion dringend erforderlich – insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Verschlechterung des Sicherheitsumfelds an den Grenzen der EU, vor allem in den östlichen und südlichen Nachbarländern.“ Die Lage habe sich schrittweise – insbesondere im Laufe des Jahres 2014 – mit dem Entstehen und der Ausbreitung des selbst ernannten „Islamischen Staates“ (IS) und anschließend mit der Anwendung von Gewalt durch Russland verschlechtert, erklären die Abgeordneten.

Jährlich laufen überflüssige Kosten in Milliardenhöhe auf

Die Parlamentarier wollen, dass die EU rascher und energischer auf Bedrohungen reagieren kann. Dies setze jedoch eine bessere Zusammenarbeit nicht nur der Streitkräfte voraus. Denn „Überschneidungen, Überkapazität und Hemmnisse“ bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich der Verteidigung verursachten jährlich überflüssige Kosten in Höhe von rund 26,4 Milliarden Euro, wird in der Resolution beklagt.

Der Europäische Rat wird aufgefordert, bei der Konzeption einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union „eine Führungsrolle zu übernehmen und zusätzliche Finanzmittel für ihre Umsetzung bereitzustellen.“

Den Mitgliedstaaten legen die Abgeordneten nahe, nach weiteren Möglichkeiten der gemeinsamen Beschaffung von Verteidigungsgütern zu suchen und zunächst „die Bündelung und gemeinsame Nutzung von nicht letalen Ausrüstungsgütern“ wie Land- und Luftfahrzeuge in Betracht zu ziehen. Vorgeschlagen wird auch die Einführung eines „europäischen Semesters der Verteidigung“, in dessen Rahmen „die Mitgliedstaaten die Planungszyklen und Beschaffungspläne der anderen Mitgliedstaaten konsultieren“. Darüber hinaus müsse die Rolle der Europäischen Verteidigungsagentur nachhaltig gestärkt werden.

In Zukunft zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung?

Weiterhin fordert das Parlament in seiner Entschließung, ein EU-Hauptquartier zur Planung und Führung gemeinsamer Operationen einzurichten. Von den Mitgliedstaaten wird verlangt, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigungszwecke auszugeben und „im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit multinationale Streitkräfte aufzustellen und sie für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung zu stellen“.

In diesem Zusammenhang kritisieren die Abgeordneten in ihrer Resolution auch mehrfach die bisherige Praxis, die „seit 2007 voll einsatzfähigen EU-Gefechtsverbände, die für militärische Aufgaben humanitärer, friedenserhaltender und friedensschaffender Art bestimmt sind, aufgrund verfahrenstechnischer, finanzieller und politischer Hindernisse“ nicht einzusetzen, obwohl es „Gelegenheiten dazu gegeben hätte und es notwendig gewesen wäre“.

An anderer Stelle findet sich die Forderung: „Reform des Konzepts der EU-Gefechtsverbände mit dem Ziel der Einrichtung ständiger Einheiten, die unabhängig von einer Leitnation sind und einer systematischen gemeinsamen Ausbildung unterzogen werden.“

Verteidigungsunion der EU in „umfassender Synergie“ mit der NATO realisieren

Das Europaparlament befürwortet und empfiehlt ausdrücklich eine engere Zusammenarbeit von EU und NATO – insbesondere im Osten und Süden, zur Abwehr von hybriden Bedrohungen und Cyberbedrohungen, zur Verbesserung der Sicherheit im Seeverkehr sowie zur Entwicklung von Fähigkeiten im Bereich der Verteidigung.

Zwar sei in erster Linie die NATO „der Bereitsteller von Sicherheit und Verteidigung in Europa“, und Überschneidungen zwischen den Instrumenten der Allianz und der Union müssten vermieden werden. Grundsätzlich besteht das Parlament jedoch darauf, dass „die EU – auch wenn die Rolle der NATO darin besteht, ihre vorwiegend europäischen Mitglieder vor einem Angriff von außen zu schützen – danach streben sollte, wirklich in der Lage zu sein, sich selbst zu verteidigen und eigenständig zu handeln“. Um hier künftig mehr Verantwortung übernehmen zu können, sollten die EU-Mitglieder zunächst „Ausrüstung, Ausbildung und Organisation“ ihrer Streitkräfte verbessern.

Die von der EU angestrebte strategische Autonomie und Konzeption einer europäischen Verteidigungsunion müsse „in umfassender Synergie mit der NATO“ verwirklicht werden, lautet schließlich eine der Kernforderungen in Strasbourg. Dies müsse letztendlich zu einer wirksameren Zusammenarbeit, ausgewogeneren Lastenteilung und produktiveren Arbeitsteilung zwischen NATO und EU führen.


Zu unserer Bildfolge:
1. Eröffnung der Sitzungswoche des Europaparlaments am 21. November 2016 durch Parlamentspräsident Martin Schulz. Am 22. November verabschiedeten die Abgeordneten mit überzeugender Mehrheit den Entschließungsantrag „Europäische Verteidigungsunion“.
(Foto: Europäisches Parlament/Europäische Union 2016/unter Lizenz CC BY-NC-ND 4.0; vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/)

2. Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, mit einem Diskussionsbeitrag im Parlament in Strasbourg.
(Foto: Europäisches Parlament/Europäische Union 2016/unter Lizenz CC BY-NC-ND 4.0; vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/)

3. Abstimmung der EU-Abgeordneten zum Generalthema „Verteidigung“. In der Resolution, die mit 369 Stimmen bei 255 Gegenstimmen und 70 Enthaltungen angenommen wurde, unterstreichen die Parlamentarier, dass es „im Interesse der Solidarität und der Resilienz erforderlich ist, dass die EU zusammenhält und geschlossen und systematisch handelt“.
(Foto: Europäisches Parlament/Europäische Union 2016/unter Lizenz CC BY-NC-ND 4.0; vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/)


Kommentare

  1. MauAu | 29. November 2016 um 19:24 Uhr

    Wie kann man neben der NATO solch einen Unfug anstreben???

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