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Berlin/Kabul. Am Mittwoch vergangener Woche (3. Februar) tagte im Auswärtigen Amt in Berlin die Internationale Kontaktgruppe (ICG) für Afghanistan, in der Deutschland den Vorsitz hat. Vertreter aus mehr als 60 Ländern und internationalen Organisationen nahmen an dem Treffen in der Bundeshauptstadt teil. Die Regierung in Kabul hatte eine Delegation entsandt, die von Afghanistans stellvertretendem Außenminister, Hekmat Khalil Karzai, geleitet wurde. Die Konferenz stand am Anfang eines Jahres, das mit dem NATO-Gipfel in Warschau (8. und 9. Juli) und der Brüsseler Afghanistankonferenz (im Oktober) entscheidende Weichenstellungen für Afghanistan bringen wird. Die ICG dient der politischen Koordinierung des vielfältigen zivilen und sicherheitspolitischen Engagements der Internationalen Gemeinschaft im Land am Hindukusch.

Die Tagung wurde eröffnet von Markus Ederer, Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Seit dem letzten Treffen der Kontaktgruppe im Mai vergangenen Jahres in der afghanischen Hauptstadt habe man ein Wechselbad der Gefühle hinnehmen müssen, sagte der Diplomat in seinem kurzen Rückblick. „Wir haben erlebt, wie unsere gemeinsame Hoffnung auf Versöhnung und Frieden in Afghanistan wuchs und auch wieder zerstört worden ist. Jetzt sind wir an einem kritischen Punkt angelangt, wo sehr viel von unseren nächsten Schritten abhängen wird. Schritte, die wir alle gemeinsam wagen wollen – besonders auch mit den Partnern in der Region.“

Afghanische Sicherheitskräfte immer noch mit großen Defiziten

Beide Übergangsphasen in Afghanistan – der Übergang hin zu einem demokratischen Gemeinwesen und die Übernahme der kompletten Sicherheitsverantwortung durch die nationalen Kräfte – hätten sich als schwieriger erwiesen, als erwartet, räumte Ederer ein. Er erinnerte daran, dass die afghanischen Sicherheitskräfte in den letzten Monaten unter hohen Verlusten eine Vielzahl von Angriffen der Regierungsgegner hätten abwehren müssen.

Deutlich kritisierte der Staatssekretär in diesem Zusammenhang den Mangel an leistungsfähigen staatlichen Strukturen in zahlreichen Landesregionen. „Der erneute Ausbruch von Kämpfen in den Provinzen Kunduz oder Helmand ist darüber hinaus ein Beweis für weiterhin bestehenden Defizite innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte bei Führung und Fähigkeiten“, so Ederer. Zu allem Übel strecke nun auch noch der Krake „Islamischer Staat“ (IS) seine Tentakel nach Afghanistan aus.

Bundesregierung setzt auf den innerafghanischen Friedensprozess

Ederer, der von 2005 bis 2010 Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt gewesen war, befasste sich im Laufe seiner Begrüßungsrede auch mit dem innerafghanischen Friedensprozess, dem jetzt nach Auffassung der Bundesregierung „eine entscheidende Rolle“ zukommt. Er sagte: „Mag es für manchen auch schwer zu akzeptieren sein, so sind wir dennoch fest davon überzeugt, dass ein Friedens- und Versöhnungsprozess der einzig gangbare Weg für eine nachhaltige Lösung des Afghanistankonflikts ist.“

Die Taliban stünden nun vor der Wahl, entweder auf dem Weg der Gewalt mit der Terrorgruppe IS „um größtmögliche Brutalität zu konkurrieren“, oder aber mit einer neuen Führung ihre Interessen auf politischem Weg zu verfolgen.

Mit Blick auf das deutsche und internationale Engagement ermahnte der Staatssekretär die Regierung in Kabul: „Afghanistan muss jetzt aber auch auf eigenen Füßen zu stehen kommen. Die Geberländer können unmöglich von ihren Bürgern Hilfsleistungen für den Wiederaufbau Afghanistan erwarten, wenn das Land zur selben Zeit die entscheidenden Ziele im Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit verfehlt.“ Hier sei es von entscheidender Bedeutung, dass die afghanische Regierung vereinbarte politische und wirtschaftliche Reformen auch wirklich umsetze.

Kritischer Blick auf öffentlichen Dienst, Justiz und andere staatliche Institutionen

Nicht unwahrscheinlich ist, dass Markus Ederer beim Treffen der ICG in Berlin den unlängst veröffentlichten „Korruptionswahrnehmungsindex“ (Corruption Perceptions Index, CPI) der Organisation Transparency International Deutschland vor Augen hatte, als er – einmal mehr – die afghanische Regierung in die Pflicht nahm.

Der am 27. Januar der Öffentlichkeit vorgestellte „Index 2015“ misst und bewertet alljährlich „die in Wirtschaft, Politik und Verwaltung wahrgenommene Korruption“ in mehr als 160 Ländern und Territorien. Paramter des Indexes sind unter anderem ein sauberer und gut funktionierender öffentlicher Dienst, eine unabhängige Justiz sowie insgesamt vertrauenswürdige Institutionen.

Deutschland erreicht aktuell auf einer Skala von 0 (hohes Maß an wahrgenommener Korruption) bis 100 (keine wahrgenommene Korruption) 81 Punkte. Die Bundesrepublik rangiert damit zusammen mit Großbritannien und Luxemburg auf dem zehnten Platz. Afghanistan belegt mit 11 Punkten den vorletzten Platz der Liste (vor Norkorea und Somalia, beide jeweils acht Punkte).

Endlich den politischen Willen zur Korruptionsbekämpfung aufbringen

Der afghanische Fernsehsender TOLOnews hatte unmittelbar nach Bekanntwerden des Rankings erste Stimmen eingefangen. So sagte Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah am Rande einer Expertentagung der Vereinten Nationen, die afghanische Regierung sei sich sehr wohl der großen Bedeutung des Kampfes gegen die Korruption in den öffentlichen Bereichen bewusst. Jeder neue Leiter einer staatlichen Stelle oder eines staatlichen Büros gelobe beispielsweise unmittelbar bei Amtsantritt, seinen Beitrag zur Korruptionsbekämpfung zu leisten.

Sayed Zafar Hashemi, stellvertretender Sprecher von Staatspräsident Ashraf Ghani, wies darauf hin: „Es ist nicht nur Regierungsaufgabe, gegen die Korruption im Lande vorzugehen. Auch der zivile, private Bereich ist verantwortlich dafür, gegen dieses Übel entschlossen vorzugehen.“

Integrity Watch Afghanistan (IWA), eine 2006 in Kabul gegründete zivile Organisation, kommentierte den neuesten Welt-Index von Transparency International fast schon resigniert. In der Presseerklärung von IWA heißt es: „Afghanistan ist immer noch das drittkorrupteste Land der Welt. Es gibt keinerlei Anzeichen von Verbesserung.“ Sayed Ikram Afzali, Direktor der Organisation, forderte gegenüber TOLOnews: „Die Bekämpfung der Korruption sollte jetzt endlich zu einer absoluten Hauptaufgabe unserer Regierung werden. Allerdings muss dafür aber auch der entsprechende politische Wille vorhanden sein.“


Zu unserem Bildangebot:
1. und 2. Tagung der Internationalen Kontaktgruppe für Afghanistan (ICG) am 3. Februar 2016 in den Räumen des Auswärtigen Amtes in Berlin. Den Vorsitz der Kontaktgruppe hat Botschafterin Sabine Sparwasser, die im Juli 2015 zur Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan ernannt worden ist.
(Fotos: Auswärtiges Amt)

3. Unsere Infografik skizziert die Skala der von Transparency International auf Korruptionswahrnehmung geprüften Länder – von „keine wahrgenommene Korruption“ bis hin zu „hohes Maß an wahrgenommener Korruption“.
(Foto: amk, Infografik © mediakompakt 02.16)

Kleines Beitragsbild: Eröffnung des ICG-Treffens durch Staatssekretär Markus Ederer.
(Foto: Auswärtiges Amt)


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