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Berlin. Eine halbgare sicherheitspolitische Strategie, eine ausstehende Weißbuch-Debatte, ein möglicherweise ausufernder Mali-Einsatz, ein unzureichender Verteidigungsetat, enorme Lücken in der Bundeswehr bei Personal und Waffensystemen und fast leere Munitionsdepots: Der Deutsche Bundeswehr-Verband zeichnet ein düsteres Lagebild von der Truppe, ihrem Aufgaben- und Einsatzspektrum und ihren Rahmenbedingungen. André Wüstner, Bundesvorsitzender der Interessenvertretung der Soldaten, legte in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt vom heutigen Montag (31. Oktober) den Finger in einige besonders schmerzhafte Wunden …

In dem Gespräch mit der Welt wertete Wüstner die gegenwärtige weltpolitische Entwicklung als eine „globale Ordnung im Umbruch“. Die Situation sei insgesamt gefährlicher als zu Zeiten des Kalten Krieges. Es gebe nicht mehr nur zwei Machtzentren, wie früher die USA und die damalige Sowjetunion, sondern inzwischen eine Vielzahl staatlicher und nicht staatlicher Akteure, die sich kaum noch an internationales Recht hielten. Der Chef des Deutschen Bundeswehr-Verbandes (DBwV) bildhaft: „Rund um Europa liegt ein Feuerring, der sich von der Grenze zu Russland über Afghanistan, Syrien und Irak sowie entlang Nordafrikas zieht.“ Die NATO und mit ihr die Bundeswehr müssten sich deshalb auch wieder mehr „auf das volle 360-Grad-Einsatzspektrum“ ausrichten.

Gefragt, ob insbesondere die deutschen Streitkräfte dafür überhaupt ausgerüstet seien, gab Wüstner eine beunruhigende Antwort. Zwar sei man mit den unter dem Stichwort „Trendwende“ bekannt gewordenen Maßnahmen, die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eingeleitet worden seien, auf dem richtigen Weg. Aber noch stünden die meisten Vorhaben lediglich auf dem Papier. Es gebe weiterhin enorme Lücken in der Ausstattung, bei den Waffensystemen und beim Personal, so Wüstner gegenüber der Welt. Nein, ausreichend gerüstet sei die Bundeswehr „noch lange nicht“.

Verteidigungsetat in einer Größenordnung von rund 45 Milliarden Euro bis 2021

Der DBwV-Bundesvorsitzende erinnerte in diesem Zusammenhang auch daran, dass sich die Bundesregierung auf dem letzten NATO-Gipfel in Warschau und nun in ihrem „Weißbuch 2016“ klar dazu bekannt habe, international mehr Verantwortung übernehmen zu wollen. Wüstner schlussfolgerte daraus: „Wenn man diesen Versprechungen glaubwürdig nachkommen will, dann wird der Verteidigungsetat bis 2021 nicht wie geplant von derzeit 36,6 auf 39 Milliarden Euro anwachsen müssen, sondern auf rund 45 Milliarden Euro.“ Spätestens für 2018 müsse deshalb „massiv nachgelegt“ werden.

Derzeit sehe es so aus, dass sich die Bundeswehr materiell weiter „am untersten Limit“ befinde. „Wir brauchen in den nächsten fünf Jahren einen beschleunigten Zulauf an Ausrüstung, sonst können wir unsere Aufgaben in der NATO und anderweitig nicht mehr so erfüllen, wie es notwendig wäre“, fürchtet Wüstner. Neben Großgerät mangele es zudem an Munition – die Depots seien fast leer. Der Heeresoffizier gab zu bedenken: „Was helfen Panzer, Flugzeuge oder Schiffe, wenn diese nur Munition für wenige Gefechtstage haben und die Truppe vor Einsatzbeginn nicht im scharfen Schuss üben kann?“

„Schweigen über innere oder äußere Sicherheit ist keine Option“

Heftige Kritik äußert Wüstner auch daran, dass sich „die Politik nicht auf offener Bühne über Sicherheitspolitik, über Strategien und Zielsetzungen unseres Engagements“ austauschen will. Es müsse endlich eine sicherheitspolitische Strategie entwickelt und kommuniziert werden. Schweigen über innere oder äußere Sicherheit – möglicherweise wegen des anstehenden Bundestagswahlkampfes im nächsten Jahr – sei für seinen Verband einfach „keine Option“. Denn es gehe „um den Kern staatlichen Handelns“.

In seinem Interview mit der Tageszeitung Die Welt äußerte sich Oberstleutnant Wüstner schließlich auch zur bevorstehenden Ausweitung des Bundeswehreinsatzes im westafrikanischen Krisenstaat Mali. Er warnte vor einer Überforderung der deutschen Kräfte und vor einem Abzugsszenario, das mit jeder weiteren Übernahme von elementaren Aufgaben in Mali immer schwieriger ausfallen könnte. Der Vorsitzende des DBwV beklagte auch das Fehlen einer ressortübergreifenden und abgestimmten Zielsetzung für den Einsatz in Mali für die nächsten fünf bis zehn Jahre.


In seinem Interview mit der Tageszeitung Die Welt kritisierte der Bundesvorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, André Wüstner, unter anderem auch die mangelhafte Munitionsversorgung der Truppe. Die Depots seien fast leer, berichtete er. Unser Symbolbild zum Thema „Munition“ entstand am 10. Februar 2016 auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz und zeigt die Besatzung eines Marder-Schützenpanzers vor dem Aufmunitionieren ihrer Bordkanone.
(Foto: Marco Dorow/Bundeswehr)


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