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Berlin. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, wird mit Wirkung zum 1. Juli von Bruno Kahl abgelöst. Schindler, der sein Amt am 1. Januar 2012 angetreten hatte, wird in den einstweiligen Ruhestand versetzt. In knapp zwei Jahren wäre der 63-jährige Verwaltungsjurist regulär in Pension gegangen. Sein designierter Nachfolger ist aktuell Abteilungsleiter im Bundesministerium der Finanzen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und andere Leitmedien bezeichnen Kahl als einen „engen Vertrauten von Ressortchef Wolfgang Schäuble“. Eine offizielle Begründung für den Wechsel an der Spitze der deutschen Auslandsaufklärung nannte die Bundesregierung bislang nicht. Es darf spekuliert werden …

Der Chef des Bundeskanzleramtes, Bundesminister Peter Altmaier, dankte am heutigen Mittwoch (27. April) in einer Presseerklärung Schindler für dessen „langjährige, verdienstvolle Arbeit an der Spitze des Bundesnachrichtendienstes“ seit 2012.

Weiter heißt es in dem Altmaier-Text: „Der Bundesnachrichtendienst steht in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen, die alle Bereiche seiner Arbeit betreffen. Hierzu gehören die Weiterentwicklung seines Aufgabenprofils im Hinblick auf veränderte sicherheitspolitische Herausforderungen, die weitere Ertüchtigung des Dienstes in technischer und personeller Hinsicht, notwendige organisatorische und rechtliche Konsequenzen aus den Arbeiten des NSA-Untersuchungsausschusses sowie der Umzug großer Teile des BND von Pullach nach Berlin.“

Ein „sehr guter BND-Präsident“ auch mit Ecken und Kanten

In der Unionsfraktion stößt die Abberufung Schindlers zum Großteil auf Unverständnis. So sagte heute Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: „Ich habe prinzipiell kein Verständnis für diese Entscheidung.“ Er halte Schindler für einen „sehr guten BND-Präsidenten“, versicherte der CSU-Politiker. Schindler habe den Bundesnachrichtendienst reformiert und ihm ein „modernes Gesicht“ gegeben. Allerdings sei dies nicht überall gut angekommen, gerade auch in seiner eigenen Behörde.

Natürlich habe Schindler, der „durchaus ein Präsident mit Ecken und Kanten“ sei, auch „einigen auf die Füße treten müssen“. Und natürlich seien auch in seiner Amtszeit operative Fehler gemacht worden. Doch könne nicht immer der Kopf des Präsidenten rollen, wenn im operativen Geschäft Fehler gemacht würden, kritisierte Mayer. Er erinnerte zudem daran: „Viele Dinge, die etwa in der Zusammenarbeit von BND und dem amerikanischen Geheimdienst NSA nicht gut gelaufen sind, sind schon vor Schindlers Amtszeit angelegt worden.“

Behörde benötigt dringend „eine schnelle und entschlossene Reform“

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, bezeichnete in einem knappen Statement den Wechsel an der Spitze des deutschen Auslandsnachrichtendienstes als „eine Chance für den Neuanfang nach Snowden“. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass das Bundeskanzleramt „ab sofort mit voller Kraft“ die notwendigen Reformen der Nachrichtendienste unterstütze. Der personelle Neuanfang müsse auch ein inhaltlicher Neuanfang werden, verlangte Oppermann.

SPD-Fraktionsvize Eva Högl forderte das Kanzleramt auf, dem Führungswechsel beim Bundesnachrichtendienst „jetzt eine schnelle und entschlossene Reform dieser Behörde“ folgen zu lassen. In einem Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung riet sie Kanzleramtsminister Altmaier eindringlich dazu, er solle sicherstellen, dass die von der Koalition vereinbarten Pläne für den Umbau des BND „nicht verwässert oder weiter verschleppt“ würden.

Der Zeitpunkt des für den 1. Juli geplanten Wechsels auf dem Chefsessel der Behörde habe sie zwar „überrascht“, gestand Högl. Gründe für diesen Schritt hätte es in der Vergangenheit allerdings bereits einige gegeben, so die SPD-Politikerin. Immerhin sei im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Klärung der Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes NSA bekannt geworden, dass sich Teile des BND mittlerweile verselbstständigt hätten und es zu wenig interne Kontrolle sowie undurchsichtige Entscheidungsstrukturen gebe.

Personalentscheidung ein rein taktisches Manöver des Kanzleramtes?

Zur bevorstehenden Ablösung von BND-Präsident Gerhard Schindler nahmen am heutigen Mittwoch auch Konstantin von Notz und Hans-Christian Ströbele (beide Bündnis 90/Die Grünen) in einer gemeinsamen Erklärung Stellung. Von Notz ist stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion und Obmann im ersten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode („NSA-Ausschuss“), Ströbele Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

Beide nannten die Ablösung Schindlers zum jetzigen Zeitpunkt „überraschend“. Doch diese sei letztendlich nur konsequent, nachdem die parlamentarische Aufklärung langjährige rechtswidrige Praktiken des BND offenbart habe und eine nötige Neuaufstellung des Dienstes bisher ausgeblieben sei. BND und Kanzleramt hätten langjährig bewusst parlamentarische Kontrollmechanismen umgangen und hätten versucht, „Parlament und Öffentlichkeit – vor allem direkt vor der letzten Bundestagswahl – durch dreiste Falschbehauptungen gezielt zu täuschen“, beklagen die beiden Oppositionspolitiker der Grünen.

Die auch in der Regierungskoalition „hochumstrittene Personalentscheidung“ Schindler/Kahl werfe zahlreiche Fragen auf, kritisieren von Notz und Ströbele. Sie nehmen die Bundesregierung in die Pflicht: „Wir verlangen vollständige Aufklärung zu den genauen Hintergründen. Es drängt sich zwar auf, dass Präsident Schindler nach den vielen Skandalen und Versäumnissen des BND auch in seiner Amtszeit gehen muss. Derzeit spricht aber sehr vieles dafür, dass es sich um ein rein taktisches Manöver und den Versuch von Kanzleramt und Angela Merkel handelt, das unliebsame Thema irgendwie aus dem Bundestagswahlkampf zu halten.“

Beide Parlamentarier warnen abschließend davor: „Gerhard Schindler darf nicht das Bauernopfer einer uneinigen Bundesregierung sein, die nötige tatsächliche Reformen bei den Geheimdiensten, deren Aufsicht und Kontrolle scheut. Solche Reformen an Aufgaben und Befugnissen der Dienste wie auch bei deren ministerieller Aufsicht und parlamentarischen Kontrolle sind drängender denn je.“

Hochgefährliches Eigenleben der BND-Abteilung „Technische Aufklärung“

André Hahn, Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Fraktion der Linken, bezeichnete die Ablösung von BND-Präsident Schindler als „überfällig“. Denn die Reihe von Pannen und Skandalen beim Bundesnachrichtendienst sei in den letzten Monaten und Jahren immer länger geworden.

In seiner heutigen Presseerklärung führt Hahn aus: „Im laufenden Untersuchungsausschuss sind zweifelhafte Kooperationen mit NSA und CIA ans Licht gekommen, bei denen wiederholt gegen Recht und Gesetz verstoßen wurde. Da wurden zehntausendfach illegale Suchbegriffe der Amerikaner in BND-Systemen gesteuert, die rechtswidrig waren und deutsche sowie europäische Interessen verletzt haben.“

Überhaupt habe die BND-Abteilung „Technische Aufklärung“ ein hochgefährliches Eigenleben entwickelt, wobei reihenweise Regierungen und Institutionen von EU-Ländern und NATO-Partnern ausspioniert worden seien, rügt der Abgeordnete der Linksfraktion. Von all diesen Vorgängen habe das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages erst zwei Jahre später Kenntnis erlangt.

Eklatant versagt hätte zudem auch die Dienst- und Fachaufsicht im Bundeskanzleramt. Auch dort seien personelle Konsequenzen unvermeidlich und zwingend geboten. „Der BND und insbesondere die rechtlichen Grundlagen seiner Arbeit müssen grundlegend reformiert werden“, forderte auch Hahn.


Unsere Aufnahme zeigt den derzeitigen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler. Er soll zum 1. Juli 2016 von Bruno Kahl, Abteilungsleiter im Bundesministerium der Finanzen, abgelöst werden.
(Foto: BKA)


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