Rostock/Elsfleth/Berlin. Die Pressemitteilung unserer Marine vom vergangenen Mittwoch (5. Oktober) über den „weißen Schwan der Ostsee“, die „Gorch Fock“, ist nicht mehr als halbherzige Krisenkommunikation. Fast schon verschämt erfährt die Öffentlichkeit durch das Presse- und Informationszentrum der Teilstreitkraft, dass das Segelschulschiff „momentan“ nicht zur See fährt und zur Überholung in der Werft liegt. Denn: „Hier wird auch die schiffbauliche Untersuchung durchgeführt, die jedes Schiff alle fünf Jahre durchlaufen muss.“ Dabei seien bislang unbekannte Schäden am Oberdeck der „Gorch Fock“ entdeckt worden, weshalb sie länger als ursprünglich geplant instandgesetzt werden müsse. Aha! Über Reparaturkosten in dem Pressetext jedoch kein Wort. Auf diesen Aspekt fokussieren sich nun allerdings die Medien. Der Bund der Steuerzahler spricht inzwischen sogar laut von „Geldverschwendung“ und meint, dass „ein Neubau günstiger“ wäre.
Die Bark, die innerhalb der deutschen Marine eine identitätsstiftende Ikone ist, liegt bereits seit Weihnachten vergangenen Jahres in der Werft – zunächst in Elsfleth an der Unterweser, momentan im Schwimmdock der Bredo-Werft in Bremerhaven.
Eigentlich sollten die ursprünglich beauftragten Instandsetzungsarbeiten – wie Überprüfung und teilweise Erneuerung der Takelage, Sicherheitsinspektion am Rumpf, Überholung von Motoren und Getriebe, Änderungen an der Lüftungsanlage oder Installation eines zusätzlichen schiffsinternen Netzwerks – rechtzeitig zum Start der diesjährigen Kieler Woche am 18. Juni beendet gewesen sein. Aber die Mängelliste der „Gorch Fock“ wurde lang und länger. Aus einem halben Jahr Auszeit für den 1958 in Dienst gestellten Traditionssegler werden vermutlich am Ende eineinhalb Jahre. Vorsichtigen Schätzungen zufolge soll das Schiff erst wieder im März 2017 zur Verfügung stehen, möglicherweise aber auch erst später.
Und: Nach Angaben des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr gegenüber dem NDR wurden bereits seit 2010 rund 22 Millionen Euro für die Wartung, Reparatur und Instandhaltung des bald 60 Jahre alten Schiffes ausgegeben – den aktuellen Werftaufenthalt nicht mitgerechnet. Schon 2008 hatte der Journalist und Autor Roland Wildberg in seinem Bildband „50 Jahre Schulschiff Gorch Fock“ folgende zwei interessante Zahlen genannt: 1958 betrug der Anschaffungswert des Schiffes etwa 8,5 Millionen Deutsche Mark; nach 50 Jahren Betrieb und Reinvestitionen wurde der Wert der Bark im Jubiläumsjahr auf rund 50 Millionen Euro geschätzt.
Über die immer längere Werftliegezeit der „Gorch Fock“ berichteten die Medien erstmals im Frühjahr dieses Jahres. So schrieb die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am 17. Juni: „Nach Marineangaben werden wegen Rostschäden die drei bis zu 45 Meter hohen Masten des Schiffs ausgetauscht. […] Eine ab November geplante Fahrt nach Kolumbien, Mexiko und Kuba wurde deshalb ebenso abgesagt, wie ein für März 2017 vorgesehener Besuch in den USA. Und auch der im Mai 2017 geplante Besuch beim Hafengeburtstag in Hamburg ist unklar.“
Am 4. Oktober meldete dann dpa, dass sich die Rückkehr der „Gorch Fock“ noch weiter verzögern werde. Es seien Schäden am Oberdeck der Bark festgestellt worden, das Holzdeck müsse erneuert werden. Fregattenkapitän Achim Winkler, Ansprechpartner für Pressevertreter bei der Einsatzflottille 1, bat gegenüber dem NDR um Geduld. Im Gespräch mit Dennis Brandau von NDR 1 Welle Nord sagte der Marineoffizier: „Das dauert. Diese Planken aus tropischem Teakholz liegen nicht irgendwo im Regal und warten darauf, dass man sie abruft und auf dem Schiff verbaut.“
Seit 1958 haben etwa 15.000 Marineangehörige ihre seemännische Basisausbildung auf dem Segelschulschiff erhalten. In dieser Zeit legten Schiff und Besatzungen mehr als 750.000 Seemeilen zurück. Das entspricht etwa 35 Erdumrundungen.
In der Mitteilung des Presse- und Informationszentrums Marine vom 5. Oktober liest sich die böse Entdeckung eines maroden Oberdecks, das nun komplett für viel Geld erneuert werden muss, wenig besorgniserregend. Es klingt nach „Business as usual“, wenn die Marine erklärt: „Bei der Untersuchung des Oberdecks im Rahmen der schiffbaulichen Untersuchung (SBU) wurde festgestellt, dass Wind und Wellen größeren Einfluss auf das Material genommen haben, als bisher angenommen. Hier müssen Teile ausgetauscht werden. Hier führte die gründliche Inspizierung des ganzen Schiffes dazu, dass kein Schaden unentdeckt blieb.“
Kapitän zur See Nils Brandt, Kommandant der „Gorch Fock“, gelingt es in der Pressemitteilung sogar, der unliebsamen Überraschung „Schäden am Oberdeck“ etwas Positives abzugewinnen. „Eine SBU ist für alle Schiffe alle fünf Jahre vorgeschrieben und somit eine ,TÜV‘-Prüfung, die zwingend notwendig ist. Weil in der laufenden Werftliegezeit ohnehin zahlreiche technische Änderungen durchgeführt werden müssen und die SBU nächstes Jahr sowieso hätte durchgeführt werden müssen, sparen wir mit dem Vorziehen dieser umfangreichen aber auch gründlichen Instandsetzung Zeit und Geld“, argumentiert Brandt. Dadurch erreiche die Marine für die kommenden Jahre „Planungssicherheit“ auf dem Segelschulschiff.
Das alles mag so durchaus zutreffen. Die aufwendigen Reparaturen des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ hält zumindest der nicht unmaßgebliche Bund der Steuerzahler für Geldverschwendung. Ein Neubau wäre günstiger, heißt es in der Publikation „Das Schwarzbuch – die öffentliche Verschwendung“ (Ausgabe 2016/2017). Dort lesen wir auf Seite 134: „Anfang 2010 wurde das Schiff zur Vorbereitung auf eine Weltumrundung bei einer Werft in Elsfleth generalüberholt. Nach Rückkehr von der Reise in den Heimathafen Kiel war Ende 2011 eigentlich nur eine Instandsetzung des Unterwasseranstrichs vorgesehen. Doch dabei wurden massive Rostschäden entdeckt. Wieder bekam die Werft in Elsfleth den Zuschlag für Reparaturarbeiten von geplant einer Million Euro. Die Reparatur dauerte bis 2014. Nach der Schlussrechnung hatten sich die Kosten auf rund zehn Millionen Euro summiert. Das ist nur zwei Jahre her.“
Weiter schreibt der Bund der Steuerzahler in seinem am vergangenen Donnerstag (6. Oktober) in Berlin und in den Bundesländern vorgestellten neuen „Schwarzbuch“: „Für die neuerliche Überholung wird diesmal sogar mit 20 Millionen Euro und mindestens 15 Monaten Werftliegezeit gerechnet. […] Der Interessierte ahnt schon: Den Auftrag für die Überholung des Schiffs erhielt wieder die Werft in Elsfleth. Zum Vergleich: Das mit 65 Metern Länge etwas kleinere private Segelschulschiff ,Alexander von Humboldt II‘ ist 2011 in Bremen für nur 15 Millionen Euro neu gebaut worden.“
Aloys Altmann, Präsident des 1949 gegründeten und weltweit größten Steuerzahlervereins, legte bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des „Schwarzbuches“ sogar noch nach. Er rügte: „Seit vorgestern wissen wir jetzt plötzlich, dass auch das Holzdeck [der ,Gorch Fock‘] marode sein soll. Wie teuer dies zusätzlich sein wird, ist noch offen.“ Es liege nahe, dass der Sanierungsbedarf absichtlich nur scheibchenweise an die Öffentlichkeit komme, vermutet der ehemalige Präsident des Landesrechnungshofes Schleswig-Holstein.
Pressestabsoffizier Achim Winkler machte in seinem Statement gegenüber Medienvertretern bereits deutlich, dass die Marine sich keinesfalls von der „Weißen Lady“ verabschieden wolle. Überlegungen, die „Gorch Fock“ nach 58 Jahren in den Ruhestand zu schicken, gebe es nicht, sagte der Fregattenkapitän gegenüber Radio Bremen.
Für die Ausbildung der Offizieranwärter, die in diesem Jahr nicht auf dem Segelschulschiff stattfinden kann, wird derzeit nach Auskunft des Presse- und Informationszentrums ein anderes Programm erarbeitet. Auch bezüglich der Seefahrtsvorhaben der „Gorch Fock“ und ihrer Teilnahme an maritimen Großveranstaltungen im Jahr 2017 seien noch keine Entscheidungen gefallen.
Zum Bildmaterial dieses Beitrages:
1. Soldaten in der Takelage der „Gorch Fock“, dem Segelschulschiff der deutschen Marine. Die Aufnahme wurde am 7. Juli 2002 gemacht.
(Foto: Michael Mandt/Bundeswehr)
2. Die „Gorch Fock“, auch „Weißer Schwan der Ostsee“ genannt, auf See.
(Foto: Ivo Schneider/PrInfoZ Marine)
3. Der Bund der Steuerzahler veröffentlicht jeweils im Herbst sein sogenanntes „Schwarzbuch“. Darin erhebt der Verein den Vorwurf, dass die öffentliche Hand jährlich viele Milliarden Euro fehlinvestiere. Die Zahlen des Steuerzahlerbundes basieren auf den Schätzungen der Rechnungshöfe. Der Bundesrechnungshof kritisiert die im „Schwarzbuch“ verwendeten hochgerechneten Zahlen und mangelhaften Belege.
(Foto: mediakompakt)