menu +

Nachrichten



Berlin. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, hat am 26. Januar seinen Jahresbericht 2015 an Bundestagspräsident Norbert Lammert übergeben. Darin kritisiert er vor allem die immer dünner werdende Personaldecke der Streitkräfte und die unzureichende Ausstattung angesichts eines ständig größer werdenden Aufgabenpakets. Am 28. April debattierte nun das Parlament über den Bericht. Bartels beharrte an diesem Donnerstag auf seinen zentralen Forderungen nach einer personellen Aufstockung der Truppe und nach einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben.

Der Wehrbeauftragte verlangte bei der Debatte, das Jahr 2016 für die Bundeswehr zu einem Jahr der Trendwende zu machen. „Von Jahr zu Jahr, von Reform zu Reform hat es immer weniger Soldaten, weniger Zivilbeschäftigte, weniger Standorte und weniger Kasernen, weniger Fahrzeuge, Waffen und Munition und einen immer geringeren Anteil der Verteidigungsausgaben am Bundeshaushalt und am Bruttoinlandsprodukt gegeben“, beklagte Bartels. Nun seien die deutschen Streitkräfte an einem Wendepunkt angelangt. Und dies auch, weil sie so viele Aufgaben – NATO Response Force, EU-Battlegroup, Reassurance, Afghanistan, Irak, Balkan, Mali, Mittelmeer, Anti-IS-Einsatz – bewältigen müssten.

Wir fragten den Anwalt der Soldaten nach den Dimensionen dieses Wendepunktes und auch nach den kleineren Stellschrauben, an denen die Politik nachjustieren sollte. „Damit die Bundeswehr, die auf dem Papier steht, jetzt auch tatsächlich in der Realität existiert,“ so Bartels.

Was auf dem Papier steht, ist in der Realität oftmals nicht vorhanden

Herr Dr. Bartels – Ihrer Meinung nach steht die Bundeswehr an einem Wendepunkt, das Jahr 2016 muss aus Ihrer Sicht „das Jahr der Trendwende“ werden. Bitte fassen Sie für unsere Leser doch noch einmal kurz zusammen, wie Sie zu dieser Lagebeurteilung gekommen sind. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte am aktuellen Zustand der Truppe?
Hans-Peter Bartels: Nach zweieinhalb Jahrzehnten des Schrumpfens und etlichen Reformen ist die Bundeswehr nun doch zu klein geworden. Außerdem sind viele der neuen Strukturen hohl. Was auf dem Papier steht, ist in der Realität nicht da. Das betrifft Personal und Material und übrigens auch Unterkünfte. Deshalb setze ich mich für die materielle und personelle Vollausstattung unserer Streitkräfte ein. Druck hilft. Bewegung ist jetzt da, es kommt tatsächlich zu Trendwende-Entscheidungen in Regierung und Parlament. Das begrüße ich sehr.

Belastungen durch zusätzliche Auslandseinsätze tragbar ausgestalten

Die Bundeswehr beteiligt sich momentan mit rund 3400 Männern und Frauen an 15 Auslandseinsätzen. Hinzu kommen Bündnisverpflichtungen – NATO Response Force, EU-Battlegroup. Sie befürworten eine Reduzierung der Zahl der Auslandsmissionen …
Bartels: Seit spätestens 2014 haben wir im Osten Europas – Stichwort „Russland/Ukraine“ – und im Südosten und Süden – Stichwort „IS“ – eine neue beunruhigende Lage. An den Außengrenzen des Bündnisgebietes von NATO und EU erleben wir Staatszerfall, Terror, Krieg, Flüchtlingsbewegungen und Instabilität. Selbstverständlich muss Deutschland sich da engagieren, diplomatisch und nötigenfalls auch militärisch. Aber in unseren großen Bündnissen sollte durchaus Arbeitsteilung möglich sein, nicht jeder muss wirklich überall Präsenz demonstrieren, so nützlich Flaggezeigen auch manchmal ist.

Die NATO denkt laut darüber nach, 1000 zusätzliche Soldaten an der Ostflanke des Bündnisses zu stationieren. Die Bundesregierung prüft nun offenbar, der Bundeswehr im Rahmen einer erweiterten NATO-Präsenz in Osteuropa eine größere Führungsrolle zu übertragen. Sie soll sich künftig in Litauen stärker militärisch engagieren. Was halten Sie von diesen Plänen?
Bartels: Solche politischen Bündnisbeschlüsse zügig in die Realität umzusetzen, dafür ist die Bundeswehr da. So eine rotierende Stationierung wäre in gewisser Weise natürlich auch Neuland – und noch ein Auftrag für die Bundeswehr. Die zusätzliche Belastung muss tragbar ausgestaltet werden.

Im Extremfall „müssen wir im Inneren einsetzen, was wir haben“

Herr Bartels, Sie sprachen sich vor Kurzem in einem Interview für die Zeitungen der Funke-Mediengruppe dafür aus, die Bundeswehr „im Extremfall“ auch im Inland zur Terrorabwehr einzusetzen. In einem Interview mit dem Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages im Januar warnten Sie im Zusammenhang mit der Flüchtlingshilfe der Bundeswehr davor, die Truppe „zur Personalreserve für fehlende zivile Kapazitäten bei Ländern und Kommunen“ zu machen. Wie – wenn denn überhaupt – sollte die Bundeswehr Ihrer Meinung nach im Innern eingesetzt werden können?
Bartels: Militär und Polizei dienen unterschiedlichen Zwecken. Äußere und innere Sicherheit erfordern unterschiedliche Ausbildungen und Einsatzrationalitäten. Aber im Extremfall, wenn alle Stricke reißen, müssen wir einsetzen, was wir haben. Dafür gibt es seit fast 50 Jahren die Artikel der sogenannten Notstandsverfassung im Grundgesetz, also „Spannungsfall“, „Verteidigungsfall“ und „Inneren Notstand“. Dann – und nur dann – können Soldaten auch für Polizeiaufgaben herangezogen werden.

Vereinbarkeit von Dienst und Familienleben weiterhin verbesserungswürdig

Die Bundeswehr hat – Stand 31. März 2016 – eine Personalstärke von 177.077 Männern und Frauen. 19.372 dieser Uniformträger sind Soldatinnen. Sollte der Frauenanteil in den deutschen Streitkräften maßgeblich erhöht werden? Und sind Frauen in hohen Führungspositionen der Truppe heute nicht unterrepräsentiert?
Bartels: Basis für die Personalgewinnung der Bundeswehr sind ausdrücklich Männer und Frauen, gleichermaßen, für alle Verwendungen und Laufbahnen. Die Zahl der weiblichen Bewerber liegt jetzt schon bei 25 Prozent, der Frauenanteil in den Streitkräften aber noch bei 11 Prozent. Das heißt, der Anteil steigt, und das ist gut so. Barrieren für Frauen sind aber zweifellos noch immer manch ungelöste Probleme der Vereinbarkeit von Dienst und Familienleben. Deren Lösung kommt dann selbstverständlich auch den Männern zugute.

Herr Bartels, Sie haben nach dem Abitur 1980 in Kiel und vor Studienbeginn 1981 noch Ihren Wehrdienst beim Heer geleistet. Können Sie sich vorstellen, dass in Deutschland noch einmal die Allgemeine Wehrpflicht gelten könnte?
Bartels: Vorstellen kann ich mir vieles. Ich war gegen die Aussetzung. Aber realistisch ist die Reaktivierung der Wehrpflicht im Moment nicht. Die Bundeswehr soll und muss ja nicht wieder doppelt oder dreimal so groß werden, als sie heute ist.


Zu unseren beiden Aufnahmen:
1. Hans-Peter Bartels ist der zwölfte Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. 1961 in Düsseldorf geboren, gehört der promovierte Politikwissenschaftler seit 1998 dem Parlament an – zuletzt als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Am 18. Dezember 2014 war der Verteidigungsexperte der SPD mit großer Mehrheit zum Wehrbeauftragten gewählt worden, am 20. Mai 2015 wurde er ernannt und am nächsten Tag im Plenum des Bundestages vereidigt. Das Bild zeigt Bartels während eines Truppenbesuches beim deutschen Heer.
(Foto: Ute Grabowsky/Photothek/Deutscher Bundestag)

2. Besuch des Wehrbeauftragten auf der Inçirlik Air Base in der Türkei Ende April 2016. Hier informierte sich Bartels beim Einsatzgeschwader „Counter Daesh“ über Details und Rahmenbedingungen dieses Auslandseinsatzes gegen die Terrorbewegung „Islamischer Staat“ (IS). Die Aufnahme zeigt ihn im Bereich der Luftbildauswertung.
(Foto: Oliver Pieper/Bundeswehr)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN