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Kabul (Afghanistan). Ein früherer Taliban-Kommandeur, der vor Kurzem der Terrorbewegung „Islamischer Staat“ (IS) die Treue geschworen und in Afghanistan bereits Kämpfer für den IS angeworben hatte, ist offenbar tot. Der Dschihadist Mullah Abdul Rauf soll nach Angaben afghanischer Regierungsstellen in den Mittagsstunden des 9. Februar bei einem Drohnenangriff auf sein Fahrzeug ums Leben gekommen sein. Die NATO bestätigte den Luftschlag, nannte aber keine weiteren Details. Der afghanische Inlandsgeheimdienst NDS (National Directorate of Security) teilte inzwischen in einem Statement offiziell mit, dass Rauf bei dem Luftangriff getötet worden sei. Man habe den IS-Unterstützer bereits seit längerer Zeit mit Vorrang observiert.

Der Vorfall soll sich nach Informationen von Dorfältesten und Provinzvertretern im Bezirk Kajaki in der Helmand-Provinz ereignet haben. In dem Fahrzeug, das Munition transportierte, sollen insgesamt sechs Personen gewesen sein: Mullah Abdul Rauf, dessen Schwager sowie vier Pakistani. Nach dem Raketentreffer sei der Toyota Saracha in die Luft geflogen, erzählten Augenzeugen.

Der stellvertretende Gouverneur der Provinz Helmand, Mohammad Jan Rasool Yar, sagte gegenüber Pressevertretern, der Angriff sei von einer amerikanischen Drohne ausgeführt worden. Die New York Times zitierte in ihrer Ausgabe vom 10. Februar Oberst Brian Tribus, Sprecher der NATO-geführten „Resolute Support Mission“. Tribus gab zu, dass die Allianz einen „präzisen Schlag“ in Helmand geführt habe, um Personen auszuschalten, die eine Bedrohung für die eigenen Kräfte dargestellt hätten.

Die Drohnenattacke war der erste Luftangriff der Koalitionstruppen im Rahmen der ISAF-Nachfolgemission „Resolute Support“ beziehungsweise der neuen US-Anti-Terror-Operation „Freedom’s Sentinel“. Es war zugleich auch der erste bekannt gewordene Militärschlag gegen den „Islamischen Staat“ in Afghanistan.

Vor einigen Monaten den Treueeid auf Abu Bakr al-Baghdadi abgelegt

Mullah Abdul Rauf – auch Abdul Rauf Aliza – war nach Erkenntnissen afghanischer und westlicher Geheimdienstkreise rund 15 Jahre lang einer der einflussreichsten Dschihadisten Afghanistans gewesen (wir berichteten). Nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 war er in amerikanische Gefangenschaft geraten und bis 2007 auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay im Süden Kubas als Häftling Nummer 108 inhaftiert gewesen (Anm.: Details stammen aus den 2011 von der Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlichten „Guantánamo-Geheimdokumenten“, die auch den Fall „Rauf“ enthalten). Die USA übergaben den früheren Taliban-Führer 2007 an die afghanischen Behörden, die Rauf jedoch bald freiließen. Dieser schloss sich erneut den Taliban an und stieg zunächst auf zum Schattengouverneur der Provinz Uruzgan.

Später überwarf sich Mullah Abdul Rauf mit den Taliban. Vor wenigen Monaten leistete er einen Treueeid auf Abu Bakr al-Baghdadi, den selbsternannten Kalifen der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Der Afghane galt danach in seinem Land als einer der wichtigsten Rekrutierer für den IS.

US-Verteidigungsministerium beobachtet Entwicklung am Hindukusch genau

Bis heute gibt es kaum Beweise dafür, dass die Führung des IS wirklich die operationelle Kontrolle in einer Region Afghanistans – so wie in Syrien und im Irak – ausübt. Aber der IS hat in der jüngsten Vergangenheit durchaus seine Interessen in Afghanistan und in Pakistan angemeldet und dorthin auch Repräsentanten entsandt, die Anhänger rekrutieren sollen.

Das US-Verteidigungsministerium beobachtet die Entwicklung am Hindukusch aufmerksam. So sagt Bradlee Avots, Major des U.S. Marine Corps und einer der Sprecher des Pentagons: „Eine mögliche Ausbreitung des IS in dieser Region erfüllt uns natürlich mit großer Sorge. Aber wir stehen zu unserem Versprechen, dass es weder in Afghanistan noch in Pakistan sichere Häfen für derartige terroristische Kräfte geben wird.“

Vorsitzender des Streitkräfteausschusses warnt vor irakischen Verhältnissen

Am 11. Februar gestand Konteradmiral John Kirby, Sprecher des amerikanischen Verteidigungsministers, dass man Abdul Rauf und seine Begleiter ausgeschaltet habe, weil diese eine Bedrohung für die US-Truppen in Afghanistan gewesen seien. „Wir besitzen Informationen, dass die Gruppe Aktionen gegen unser Personal und gegen afghanische Sicherheitskräfte geplant hat“, erklärte Kirby bei einer Pressekonferenz im Pentagon. Ansonsten spielte auch der Marineoffizier die Bedeutung des IS in der Hindukusch-Region herunter. Der IS habe Afghanistan sicherlich im Visier und verfolge dabei möglicherweise „ehrgeizige“ Pläne – alles in allem aber befinde sich die Bewegung hier erst in einer Entstehungsphase.

Es ist noch nicht allzu lange her, da schätzte die Obama-Administration die Präsenz und die Aktivitäten der dschihadistischen Sammelbewegung „Islamischer Staat“ in Syrien und im Irak ähnlich nonchalant ein.

Der republikanische Senator John McCain (Bundesstaat Arizona), seit Januar 2015 Vorsitzender des Streitkräfteausschusses (United States Senate Committee on Armed Services), warnte bei einer Anhörung zum Thema „Lage in Afghanistan“ am 11. Februar davor, dass der IS – ähnlich wie 2011 im Irak nach Abzug der letzten US-Kampftruppen – versuchen könnte, nun auch in Afghanistan Fuß zu fassen. Er sagte, die Bedrohung durch den IS in dieser Region sei „real“ und es stehe viel auf dem Spiel. „Wir dürfen keinesfalls zulassen, dass das Land ein Zufluchtsort für al-Qaida oder den IS wird“, forderte der Republikaner.


Zu unserer Bildfolge:
1. US-Kampfdrohne MQ-9 Reaper, die auch über Afghanistan im Einsatz ist.
(Foto: John Bainter/U.S. Air Force)

2. Die Infografik zeigt den Kajaki-Bezirk in der Provinz Helmand, wo nach Angaben afghanischer Stellen der Drohnenangriff auf Mullah Abdul Rauf erfolgt sein soll.
(Foto: ArianaNews, Infografik © mediakompakt 02.15)

3. Screenshot eines Videobeitrages des United States Committee on Armed Services zur Afghanistan-Anhörung am 11. Februar 2015 – im Bild der Ausschussvorsitzende, Senator John McCain.
(Videostandbild: United States Senate Committee on Armed Services)


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