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Tübingen. „Der Krieg ist ein furchtbares Feuer und es ist schwer, ihn mit allen Fasern mitzumachen und sich nicht zu beschmutzen.“ Dieser denkwürdige Kommentar stammt von Hans Bayer, der zwischen 1941 und 1945 Angehöriger einer Propagandakompanie der Wehrmacht war. Der 1914 in Bad Cannstatt geborene Schriftsteller, der 1932 in Tübingen mit dem Studium der Germanistik und Kunstgeschichte begonnen hatte, berichtete vor allem über das Kriegsgeschehen an der Ostfront und wurde Augenzeuge nationalsozialistischer Kriegs- und Gewaltverbrechen. Nach 1945 erfand er sich neu und wurde unter dem Namen „Thaddäus Troll“ einer breiteren Öffentlichkeit als Journalist, Literat und schwäbischer „Dichterfürst“ bekannt. Am 29. Oktober fand im Museum der Universität Tübingen (MUT) auf Schloss Hohentübingen die Eröffnung der zweisprachig angelegten Ausstellung „Hans Bayer/Thaddäus Troll – Kriegsberichter im Zweiten Weltkrieg“ statt.

Das MUT eröffnete die Schau über Hans Bayer, der sich 1980 – schon länger an schweren Depressionen leidend – das Leben genommen hatte, im Rahmen seines Jahresthemas „Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus“. Diese dritte und letzte Ausstellung der Reihe ist vom Berliner Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ realisiert worden. Die Recherchen über Bayer als „Kriegsberichter“ sind vor allem der Historikerin Claudia Steur zu verdanken.

Die Sammlung beleuchtet erstmals ausführlich die vom Krieg dominierte Lebensphase Bayers und seine problematische, ambivalente Situation. Einerseits bemühte sich der Wehrmachtssoldat damals, als Reporter und Redakteur Erfolg zu haben, andererseits wollte er sich aber nicht allzu sehr auf das Unrechtsregime einlassen. Ein mitunter schmerzvoller Spagat des Gewissens.

Ghettoelend und Stalingradtragödie sprachlich verharmlost

Hans Bayer alias Thaddäus Troll schloss sich den Propagandakompanien 1941 an. Diese Wehrmachtseinheiten hatte einerseits das Ziel, die nationalsozialistischen Handlungen innerhalb der deutschen Bevölkerung zu rechtfertigen, andererseits sollten sie gegnerische Soldaten demoralisieren. Insgesamt zählten die Propagandakompanien rund 15.000 Angehörige, von denen aber nur ein Teil als Wort- oder Bildberichter tätig war; die Übrigen als Hilfspersonal.

Es gab übrigens zahlreiche prominente Journalisten der bundesdeutschen Nachkriegspresse bis weit in die 1980er-Jahre hinein, die in der Wehrmachtspropaganda gedient hatten. Zum Beispiel der langjährige stern-Chefredakteur Henri Nannen, der Fernsehjournalist Peter von Zahn, der ZDF-Intendant Karl Holzamer, der FAZ-Gründungsherausgeber und spätere Welt-Kommentator Paul Sethe, der Bonner Korrespondent der FAZ Walter Henkels und viele andere.

Zu den Aufgaben Bayers gehörte es unter anderem, das Elend im Warschauer Ghetto sowie die vernichtende Niederlage der 6. Armee in Stalingrad zu verharmlosen. Wir erinnern uns an die selbstkritischen Zeilen des Schwaben: „Der Krieg ist ein furchtbares Feuer und es ist schwer, ihn mit allen Fasern mitzumachen und sich nicht zu beschmutzen.“

Beteiligt war der Kriegspropagandist offensichtlich an der wegen ihres besonderen Zynismusses berüchtigten „Reportage“ mit dem höhnischen Titel „Juden unter sich“ (erschienen am 24. Juli 1941 in der Berliner Illustrirte Zeitung). Bayers Mitwirkung an dem namentlich nicht gekennzeichneten Artikel ergibt sich aus dem Eintrag zum 9. Mai 1941 in seinem persönlichen Notizkalender: „Aufsatz Juden unter sich“.

Persönliche Schuld und ein neues Leben als Bestseller-Autor

Langfristig geschadet hat ihm seine Wehrpropaganda jedoch nicht. Wie viele andere Uniformierte der Propagandaeinheiten konnte auch Hans Bayer nach Kriegsende eine zweite Karriere starten – als Journalist, Literat und schwäbischer Mundartdichter unter dem Pseudonym „Thaddäus Troll“.

Die Ausstellung im MUT präsentiert Bayers Kriegserlebnisse – und wie er diese in seiner Berichterstattung anschließend schilderte. Besucher erfahren außerdem mehr darüber, welche Funktion und Wirkung die Propagandakompanien hatten. Zugleich zeigt das Beispiel des Kriegsberichters, vor welch schwierigen Entscheidungen ehrgeizige junge Menschen im Nationalsozialismus standen. Um beruflich vorwärtszukommen, lud Bayer – wie auch viele andere Kameraden – persönliche Schuld auf sich.

Über Politik schrieb er nach Kriegsende nicht mehr. Allerdings machte er in den späten 1960er-Jahren Wahlkampf für Willy Brandt. Als der sozialdemokratische Bundeskanzler am 7. Dezember 1970 vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos niederkniete, war dies für Bayer die „erschütterndste Geste der Versöhnung“. Er notierte: „Ich kann nur mit tiefer Scham auf das zurückblicken, was ich im Krieg gesehen und erlebt habe, und dass ich nicht den Mut hatte, mich […] gegen diese Gewalt aufzulehnen.“

Ausstellungsort: Museum der Universität Tübingen (MUT), Schloss Hohentübingen, Burgsteige 11, 72070 Tübingen. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag 10 bis 19 Uhr. Ausstellungsdauer: 30. Oktober 2015 bis 31. Januar 2016.

Hinweis: Alle Angaben zu dieser historischen Schau ohne Gewähr.


Zu unserem Bildangebot:
1. Hans Bayer während seiner Zeit als Kriegsberichter in einer Propagandakompanie.
(Bild: Topographie des Terrors, Berlin)

2. Wehrmachtszeitung „Der Sieg“ im November 1943 mit einem Beitrag Bayers.
(Bild: Topographie des Terrors, Berlin)

3. Museum der Universität Tübingen – Sammlungen im Schloss Hohentübingen.
(Bild: MUT)


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