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Berlin/Manching. Die acht Seefernaufklärer P-3C Orion der deutschen Marine sind bereits mehr als 30 Jahre alt. Nach Informationen des Verteidigungsministeriums beträgt die geplante Nutzungsdauer dieser Maschinen insgesamt „mindestens 30 Jahre“. Also wird man vermutlich noch im Jahr 2035 das „Fliegende Auge“ unserer Marine hoch am Himmel sehen können. Damit die betagten Flugzeuge, die die Bundeswehr 2004 gebraucht von den niederländischen Streitkräften gekauft hatte, die Zeit überstehen, werden sie derzeit im Manchinger Werk von Airbus grundüberholt. Nach diesem „Auffrischungsprogramm“ stehen weitere aufwendige Modernisierungsarbeiten an. Weitere Millionenbeträge werden in die Orion-Flotte des Marinefliegergeschwaders 3 „Graf Zeppelin“ fließen. Die Opposition spricht von einer groben Verschwendung von Steuermitteln. In einem Onlinebeitrag des Nachrichtenmagazins Spiegel im Februar dieses Jahres hatte die Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Bundestages, Gesine Lötzsch (Die Linke), erzürnt geäußert: „Jeder Bürger, der einen Gebrauchtwagen kauft, scheint offensichtlich mehr Sachverstand zu haben als die Militärs, die diese Schrottflugzeuge gekauft haben.“ Deutsche Seefernaufklärer in Turbulenzen …

Der Ankauf der acht P-3C Orion erfolgte 2004 vor dem Hintergrund des absehbaren Nutzungsendes der deutschen Breguet Atlantic BR 1150. Die Langstreckenseeaufklärer (Maritime Patrol Aircraft, MPA) hatten zu diesem Zeitpunkt bereits gut 40 Einsatzjahre beim Marinefliegergeschwader 3 in Nordholz hinter sich. Ein Nachfolgemuster, das die drohende Fähigkeitslücke im Bereich der klassischen Aufgaben „Seeraumüberwachung“ und „Wirkung gegen Unterwasserziele“ würde schließen können, musste beschafft werden.

Und die Zeit drängte, denn bereits 2005 sollten die Breguet Atlantic der deutschen Marine von zwölf Maschinen auf vier reduziert werden. Die Außerdienststellung der letzten BR 1150 war für das Jahr 2006 vorgesehen (die neben der MPA-Version betriebene Variante BR 1150 M zur elektronischen Aufklärung sollte noch länger im Dienst verbleiben, erst am 20. Juni 2010 endete mit dem letzten Flug der SIGINT-Maschine 61+03 auch dieses Kapitel der Breguet Atlantic in der Bundeswehr).

Ein umfangreiches Aufgabenpaket für die Seefernaufklärer aus Valkenburg

Wie nun die deutsche Marine zum Atlantic-Nachfolger Orion kam, schildert ein Presseartikel des Nordholzer Geschwaders aus dem Jahr 2006. Dort heiß es: „Als sich die Niederlande 2003 entschlossen, die MPA-Rolle in ihren Streitkräften aufzugeben, bot sich für Deutschland die Möglichkeit, acht der niederländischen MPA Orion inklusive eines logistischen Paketes und des Full Mission Simulators aufzukaufen sowie die Umschulung des deutschen fliegenden und technischen Personals beim bisherigen niederländischen MPA-Geschwader in Valkenburg zu beauftragen.“

Der Geschwaderbeitrag nennt auch den ausschlaggebenden Aspekt für die Übernahme der gebrauchten Flugzeuge der Königlich Niederländischen Marine durch die Bundeswehr: „Grundlage der deutschen Entscheidung für diese Lösung war, dass die niederländische Regierung bereits die Integration einer hochmodernen Missionsausrüstung für die P-3C – Capabilities Upkeep Programme, CUP – bei der amerikanischen Firma Lockheed Martin beauftragt hatte, die den gestellten Anforderungen an ein MPA für die nächsten zwei Jahrzehnte gerecht wird.“ Das CPU war damals von den Niederländern in enger Zusammenarbeit mit der U.S. Navy über einen „Foreign Military Sales“-Vertrag (FMS-Vertrag) eingeleitet worden.

Alles in allem erhoffte sich die Bundeswehr beziehungsweise die deutsche Marine mit der Übernahme der acht niederländischen Maschinen, einmal ein umfangreiches Aufgabenspektrum abdecken zu können. Die Erwartungen waren anspruchsvoll. Die P-3C Orion CUP sollte nicht nur zur weiträumigen luftgestützten Überwachung und Aufklärung über See, zur luftgestützten Überwachung und Aufklärung unter Wasser sowie zur Wirkung gegen Ziele unter und über Wasser eingesetzt werden. Die Flugzeuge sollten auch Führungsunterstützung leisten, bei Bedarf weiträumige Aufklärung auch über Land betreiben, Hilfs- und Sonderaufgaben übernehmen und schließlich in Notfällen auch an SAR-Einsätzen teilnehmen (SAR: Search and Rescue/Suchen und Retten).

17. März 2006 – erste Orion mit deutschen Hoheitsabzeichen in Nordholz

Die damaligen Verteidigungsminister Deutschlands und der Niederlande, Peter Struck und Henk Kamp, hatten sich am 13. Juli 2004 über den Orion-Deal geeinigt. Am 22. November 2004 war der Kaufvertrag durch die Rüstungsdirektoren beider Nationen unterzeichnet worden. Am 28. Februar 2006 war dann der „Eigentumsübergang“ für das erste deutsche MPA P-3C Orion erfolgt.

Als am Vormittag des 17. März 2006 eine Orion mit deutschen Hoheitsabzeichen vom niederländischen Marinefliegerhorst Valkenburg Richtung Deutschland abhob, nach einem fünfstündigen Flug über See die operationelle Einsatzbereitschaft meldete und schließlich im neuen Heimatstandort Nordholz landete, war der erste Seefernaufklärer P-3C offiziell in den Bestand des Marinefliegergeschwaders 3 aufgenommen. Bis zum 30. Juni 2006 wurden die sieben anderen P-3C an die deutsche Marine ausgeliefert. Zuvor hatten sie in den USA – wie bereits erwähnt – noch das vereinbarte CUP durchlaufen. Ab Juli 2006 begann in Nordholz der Orion-Flugbetrieb.

Der offizielle Plan der militärischen Führung sah vor, dass „nach Übernahme sämtlichen Geräts und erfolgreichem Abschluss der weiteren Ausbildung mit niederländischer Unterstützung bis zum 30. Juni 2007 die Grundlage für die Herstellung der vollen Einsatzbereitschaft für das neue Waffensystem P-3C Orion CUP geschaffen“ werden könnte. Es sollte anders kommen …

Ende 2014 bereits jenseits der Eine-Milliarde-Euro-Marke

Am 14. Februar dieses Jahres befasste sich Spiegel online in seinem Beitrag „Deutsche Seefernaufklärer kosten viel und fliegen wenig“ mit dem Marineflugzeug P-3C Orion. Wie schon die Überschrift ankündigt, lässt der Beitrag von David Böcking kaum ein gutes Haar an der Beschaffungsmaßnahme des Bundesministeriums der Verteidigung.

Seit ihrer Anschaffung seien die Orion-Maschinen unserer Marine „nur bedingt einsatzbereit“ gewesen, schreibt der Böcking, der seit Februar 2011 im Wirtschaftsressort von Spiegel online arbeitet. Entnommen hatte er diese Information einem Bericht des Verteidigungsministeriums an den Haushaltsausschuss des Bundestages. Auch Kostengrößen werden genannt: Alleine bis 2014 sollen die acht deutschen P-3C Orion mehr als eine Milliarde Euro gekostet haben – rund 441,52 Millionen Euro davon seien Beschaffungskosten gewesen, insgesamt 573,3 Millionen Euro habe man bislang für Investitions- und Änderungsmaßnahmen sowie Materialerhaltung ausgeben müssen.

Vor mehr als zehn Jahren hatte die Kostenrechnung noch erträglich ausgesehen. Nach einer Aufstellung der Publikation griephan Briefe vom November 2004 entsprach der Wert des Gesamtpakets für die Beschaffung der acht P-3C Orion einschließlich logistischer Elemente sowie der Ausbildung rund 295 Millionen. Hinzu wurden weitere 61 Millionen Euro für „nationale Anteile“ (unter anderem für die Simulatoranpassung an die CUP-Konfiguration, die Realisierung eines Mission Support Systems oder die ergänzende Beschaffung von Bodendienst- und Prüfgerät) sowie zehn Millionen Euro für Infrastrukturmaßnahmen am Standort Nordholz addiert. Summa summarum 366 Millionen Euro – Sachstand aus dem Jahr 2004!

Die Realität hat die griephan-Zahlen längst überholt. Man darf schon ungläubig den Kopf schütteln, wenn Spiegel online im Februar aus seiner Quelle zitiert: „Alleine die Grundbeschaffungskosten für die ,Orions‘ lagen dem Bericht zufolge um 99,5 Millionen Euro über der eigentlichen Planung“. Für Entwicklung, Beschaffung und Materialerhaltung des Orion-Programms plane das Verteidigungsministerium außerdem bis 2020 dem Bericht zufolge weitere 904 Millionen Euro ein, so Spiegel-Autor Böcking. Ihm sagte die Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Gesine Lötzsch (Die Linke): „Es ist an der Zeit, dass diese grobe Verschwendung von Steuermitteln dienstrechtliche Konsequenzen hat.“

Flugzeuge befanden sich beim Ankauf in einem „schlechten technischen Zustand“

Nicht nur aus dem Lager der Opposition kommt heftige Kritik zum Waffensystem P-3C Orion der deutschen Marine. Auch der Bundesrechnungshof hat bereits wiederholt seine warnende Stimme erhoben. In seinen „Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes“ aus dem Jahr 2014 äußert sich die Bundesbehörde zum Vorhaben der Teilstreitkraft, für ihre acht Seefernaufklärungsflugzeuge einen „witterungsunabhängigen Triebwerkteststand“ bauen zu lassen. Geplante Kosten: etwa 11,2 Millionen Euro.

Die Ausführungen des Bundesrechnungshofes lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Werfen wir einen Blick in die „Bemerkungen“: „Die Bundeswehr hatte im Jahr 2004 acht Seefernaufklärungsflugzeuge P-3C Orion einschließlich eines Teststandes für deren Triebwerke von der Königlich Niederländischen Marine gekauft. Die Flugzeuge befanden sich in einem schlechten technischen Zustand. Deshalb waren erhebliche Arbeiten zur Instandsetzung erforderlich. Im Jahr 2008 stellte sich heraus, dass die auf dem Marinefliegerstützpunkt Nordholz eingelagerten Teile des Teststandes in keinem verwendungsfähigen Zustand waren. Die Bundeswehr sah daraufhin die Beschaffung eines neuen Teststandes vor. Sie beauftragte die Bauverwaltung damit, den Bau eines witterungsunabhängigen Teststandes zu planen, mit dem die Marine ausschließlich die Triebwerke der Orion-Flotte testen will.“

Der Bundesrechnungshof riet dringend von diesem Vorhaben ab. Er bezweifelte, dass mit dem Teststand die Verfügbarkeit der Flugzeuge erheblich verbessert werden könnte. Seiner Meinung nach war lediglich „der schlechte technische Allgemeinzustand“ der Orion-Maschinen dafür verantwortlich zu machen, dass diese nicht einsatzbereit waren. Die Behörde urteilte: „Um die Verfügbarkeit der Flugzeuge sicherzustellen, gibt es bessere Lösungen. Das Verteidigungsministerium sollte diese nun prüfen.“

Für weitere militärische Aufgaben fehlten anfangs die notwendigen Waffen

Massive Bedenken des Bundesrechnungshofes gegen die acht Seefernaufklärer aus niederländischem Bestand gab es schon früher.

So heißt es in den „Bemerkungen 2010“: „Die Bundeswehr beschaffte für die Seefernaufklärung acht gebrauchte 20 Jahre alte Flugzeuge. Diese sollten auch für weitere militärische Aufgaben – wie beispielsweise die Bekämpfung von Ubooten – ausgerüstet werden. Die Bundeswehr untersuchte vor dem Kauf den technischen Zustand der Flugzeuge nicht ausreichend. Sie setzte die Ausgaben für den Kauf und für Anpassungen mit 388 Millionen Euro anstatt mit 500 Millionen Euro deutlich zu niedrig an. […] Aufgrund des schlechten Zustandes ist die Einsatzbereitschaft der Flugzeuge erheblich eingeschränkt. Außerdem können die Flugzeuge nicht wie geplant für weitere militärische Aufgaben eingesetzt werden, da ihnen hierfür die benötigten Waffen fehlen. Das Bundesverteidigungsministerium wies darauf hin, dass auch andere Waffensysteme der Marine diese Aufgaben übernehmen können.“

Der zweite Teil unseres Beitrages über die deutschen P-3C Orion befasst sich mit den aktuellen Modernisierungsvorhaben für die acht Flugzeuge und den daraus erwachsenden Kosten. Die beiden Parlamentarier Gesine Lötzsch (Die Linke) und Ingo Gädechens (CDU) nehmen in ihren Statements abschließend Stellung zu diesem umstrittenen Beschaffungs- und Rüstungsprojekt der deutschen Marine.

Blicken wir jetzt noch einmal ein gutes Jahrzehnt zurück. Als die Bundeswehr am 21. Juli 2004 in ihrem Onlineportal über den Kauf der Seefernaufklärer aus dem Nachbarland berichtete, war die Grundstimmung noch ungetrübt. Justus Bobke, Autor des Beitrages „Deutschland beschafft neue Seefernaufklärer von den Niederlanden“, versicherte damals seinen Lesern: „Mit Übernahme der P-3C Orion kann Seefernaufklärung weiterhin auf einem hochmodernen technischen Stand betrieben werden.“ Und: „Die Finanzierung des Vorhabens ist gesichert!“ …


Zu unserem Bildangebot „Orion – Teil 1“:
1. Deutscher Seefernaufklärer Orion bei der EU-Operation „Atalanta“ am 30. März 2010 in Dschibuti am Golf von Aden.
(Foto: PrInfoZ EinsFüKdo)

2. Der Patrol Plane Commander einer deutschen P-3C Orion checkt seine Maschine vor dem Start noch einmal komplett durch; die Aufnahme wurde am 23. Mai 2012 auf dem Flugfeld Dschibuti gemacht.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

Unser Großbild auf der START-Seite zeigt die Frontansicht einer deutschen P-3C Orion im Flug, aufgenommen am 29. Juli 2010.
(Foto: Björn Wilke/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Deutscher Seefernaufklärer P-3C Orion auf dem Flugplatz Dschibuti; das Bild entstand am 5. Juli 2008 im Rahmen des Auslandseinsatzes der Marineflieger am Horn von Afrika.
(Foto: Jan Frederik Holst/PrInfoZ Marine/Bundeswehr)


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