Washington (USA)/Berlin. Die Vereinigten Staaten werden ihre Truppen bis Ende dieses Jahres langsamer als ursprünglich geplant aus Afghanistan abziehen. Dies sicherte US-Präsident Barack Obama jetzt dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani zu, der am Sonntag (22. März) zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in Washington eingetroffen war. Zum 31. Dezember 2014 war am Hindukusch nach 13 Jahren der NATO-geführte ISAF-Einsatz beendet worden. An der anschließenden Nachfolgemission „Resolute Support“ beteiligen sich heute etwa 12.000 Soldaten aus 40 Staaten, darunter bis zu 850 Bundeswehrangehörige. Die afghanische Regierung hatte die USA um eine flexible Gestaltung des endgültigen Truppenabzuges gebeten, weil die Sicherheitslage im Land bereits seit einiger Zeit äußerst angespannt ist.
Ghani wurde bei seinem Staatsbesuch in Washington von seinem Regierungschef Abdullah Abdullah begleitet. Am Montag war die afghanische Delegation zunächst im Pentagon von Verteidigungsminister Ashton Carter zu ersten Hintergrundgesprächen über die Lage am Hindukusch empfangen worden. Auch US-Außenminister John Kerry hatte daran teilgenommen.
Vor Führungskräften des Verteidigungsministeriums hatte der afghanische Präsident gesagt, er gedenke ehrfurchtsvoll der 2215 Angehörigen der US-Streitkräfte, die in und für Afghanistan ihr Leben gelassen hätten. Ghani hatte auch an die mehr als 20.000 amerikanischen Soldatinnen und Soldaten erinnert, die während ihres Afghanistaneinsatzes verwundet worden waren.
In seiner Rede vor den Ministeriumsmitarbeitern hatte Ghani an diesem Montag auch über die Rolle seines Landes im Kampf gegen den Terrorismus gesprochen. Er hatte versichert: „Wir werden für die Welt nicht zu einer Last werden. Frei nach Präsident John F. Kennedy fragen auch wir nicht, was die USA für uns tun können. Vielmehr wollen wir uns darum kümmern, was Afghanistan für sich selbst und für die Welt tun kann. Dies bedeutet zunächst, dass wir unser Haus in Ordnung bringen müssen.“
Sein Land hatte der Staatsgast im Laufe der Rede mehrfach als „Frontstaat“ bezeichnet. Die Opfer, die den Afghanen derzeit täglich im Kampf gegen den Terror abverlangt würden, seien hoch. Aber: „Wir lassen uns nicht besiegen!“ Terrorismus sei eine Geißel unserer Zeit, so Ghani unter zustimmendem Applaus seiner Zuhörer im Pentagon. Aber das afghanische Volk werde sich vom Terror weder überwältigen noch unterwerfen lassen. „Wir werden alles dafür tun, diesen Schrecken hinter uns zu lassen.“
Nach einer ganzen Serie von bilateralen Gesprächen Ghanis und Abdullahs mit Mitgliedern von Präsident Obamas Regierungsmannschaft folgte schließlich am Dienstag (24. März) im Weißen Haus das Treffen auf höchster Ebene.
Washington wird den Wunsch Afghanistans nach einem verzögerten Abzug amerikanischer Truppen vom Hindukusch erfüllen. Die aktuelle Truppenstärke von rund 9800 US-Kräften werde bis Ende 2015 bestehenbleiben, versprach Obama. Eigentlich sollte die Zahl der amerikanischen Soldaten in Afghanistan im Laufe dieses Jahres auf 5500 sinken.
Nach der mehrstündigen Begegnung sagte Obama in der anschließenden Pressekonferenz: „Präsident Ghani hat um etwas Flexibilität bei unserem Zeitplan für den Abzug gebeten. Diese Flexibilität spiegelt unsere neubelebte Partnerschaft mit Afghanistan wider, die darauf zielt, Afghanistan sicher zu machen und zu verhindern, dass es als Basis für Terrorangriffe genutzt wird.“
Ghani zeigte sich zufrieden mit dem amerikanischen Entgegenkommen. Sein Land werde die zusätzliche Zeit nutzen, um die eigenen Sicherheitskräfte weiter zu reformieren und zu verstärken. Bei dem Treffen mit Obama war auch vereinbart worden, dass die afghanische Armee bis zum Jahr 2017 auf eine Stärke von 352.000 Soldaten anwachsen soll – mit finanzieller Unterstützung durch die USA. Außenminister Kerry hatte zuvor bereits bis zu 800 Millionen US-Dollar für Reformen und Entwicklungsmaßnahmen zugesichert.
Nach Informationen aus US-Regierungskreisen umfasst die Stärke der afghanischen Sicherheitskräfte derzeit etwa 330.000 Mann. Der Staatshaushalt der Vereinigten Staaten unterstütze diese Kräfte im Budget für 2015 mit rund 4,1 Milliarden US-Dollar, im Haushaltsjahr 2016 mit „nur noch“ 3,8 Milliarden US-Dollar, so die Regierungsquelle gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Ein verlangsamter Abzug der US-Truppen aus Afghanistan könnte auch für die Bundeswehr Konsequenzen haben. Diese Frage sei derzeit Gegenstand von Gesprächen, die Deutschland mit seinen internationalen Partnern und vor allem auch mit Washington führe, hatte der Sprecher des Außenministeriums, Martin Schäfer, am Montag in Berlin erklärt. Bei dieser Regierungspressekonferenz hatte er hinzugefügt: „Die Bundesregierung hat nie irgendwelche Daten als in Stein gemeißelt betrachtet. Es ist in den letzten Jahren auch immer wieder ein wichtiges Anliegen nicht nur von uns, sondern eigentlich auch von allen anderen gewesen, dass es ein gemeinsames Rein und dann auch ein gemeinsames Raus gibt – hoffentlich in einer Situation, in der die Afghanen in der Lage sind, für ihre eigene Sicherheit gegen Bedrohungen von außen und innen anständig Vorsorge zu treffen.“
Der Fahrplan für den Abzug aus Afghanistan werde stets an die Lage vor Ort angepasst, hatte bei der Pressekonferenz auch Oberst i.G. Ingo Gerhartz, Stellvertreter des Sprechers im Verteidigungsministerium, betont. „Wir sind da offen und flexibel.“ Gerhartz hatte die Medienvertreter bei dieser Gelegenheit auch noch einmal an den früheren ISAF-Einsatz erinnert: „Wir hatten zum Ende des ISAF-Einsatzes immer die Diskussion über den sogenannten ,Point of no Return‘. Diesen ,Point of no Return‘ hat es für uns so nie gegeben. Wir hätten ISAF zu Ende geführt, und wenn die Nachfolgemission ,Resolute Support‘ – ich sage das jetzt einmal fiktiv – einen Tag nach dem Ende von ISAF gekommen wäre, dann hätten wir uns auch darauf eingestellt. Das Gleiche gilt auch in diesem Fall. Da einen ,Point of no Return‘ zu konstruieren, ist also absolut falsch.“
Die Taliban reagierten auf die Vereinbarungen von Washington gereizt. Zabihullah Mujahid, ein Sprecher der Aufständischen, erklärte am Mittwoch (25. März), Obamas Ankündigung, den Truppenabzug zu verlangsamen, zerstöre jegliche Friedensperspektive. Die Entscheidung der US-Regierung bedeute, dass der Krieg in Afghanistan so lange weitergeführt werde, bis alle Gegner der Taliban besiegt seien.
Keine gute Meinung von den afghanischen Sicherheitskräften hat Dirk Hautkapp. Der Amerikakorrespondent der Funke Mediengruppe (vormals WAZ Mediengruppe) schrieb vor wenigen Tagen in der in Bielefeld erscheinenden Neue Westfälische: „Gut 14 Jahre nach dem US-Einmarsch am Hindukusch im Gefolge des 11. September sind die Taliban noch immer der entscheidende Faktor zwischen Kunduz und Kandahar. Der knapp 330.000 Köpfe zählende Sicherheitsapparat, obwohl bis heute mit über 60 Milliarden Dollar aus Washington gepampert, ist zur uneingeschränkten Landesverteidigung weiter strukturell unfähig. Fahnenflucht, Analphabetismus, Drogensucht, Personalmangel und Managementfehler schwächen die Truppe. Allein 2014 ließen mit 3700 Zivilisten so viele Afghanen bei Attentaten ihr Leben wie in keinem anderen Jahr seit Beginn des Konflikts nach den Terroranschlägen von New York und Washington. Die bevorstehende Frühjahrsoffensive der Taliban löst darum schlimmste Befürchtungen aus.“
Zu unserem Bildangebot:
1. Afghanistans Präsident Ashraf Ghani und sein Regierungschef Abdullah Abdullah waren am 22. März 2015 zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in den USA eingetroffen. Das Bild zeigt (von links) Abdullah, Ghani, US-Außenminister John F. Kerry und US-Verteidigungsminister Ashton Carter am folgenden Tag.
(Foto: U.S. Department of Defense)
2. US-Präsident Barack Obama und der afghanische Staatspräsident Ghani am 24. März 2015 im Weißen Haus.
(Foto: Pete Souza/White House)
3. Sicherungskräfte im Hauptquartier der „Resolute Support Mission“ in Kabul, Afghanistan. Das Bild zeigt die Soldatinnen und Soldaten am 19. März 2015 beim Kommandowechsel.
(Foto: RSM)