Paris (Frankreich)/Brüssel (Belgien)/Berlin. Es war kurz vor 11.30 Uhr am vergangenen Mittwochmittag (7. Januar), als maskierte und mit Sturmgewehren Bewaffnete die Redaktionsräume der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo in der Pariser Rue Nicolas Appert stürmten. Den Pförtner und eine Reinigungskraft hatten sie bereits erschossen – dann richteten sie ihre Waffen auf die Mitarbeiter, Zeichner und Redakteure im Konferenzraum und töteten auch sie. Die anschließende Jagd auf die Täter mit rund 100.000 französischen Einsatzkräften verfolgten Millionen Menschen am Fernseher. Es folgten zwei Geiselnahmen durch die Terroristen, bei der weitere Menschen starben – am Freitag schließlich überwältigten die Sicherheitskräfte die drei Kriminellen und töten sie.
In den vergangenen Tagen solidarisierten sich Menschen weltweit mit den Opfern des Pariser Attentats und der Geiselnahmen. Unter dem Slogan „je suis Charlie“ („ich bin Charlie“) bekundeten Millionen ihr Mitgefühl. Politiker in aller Welt verurteilten den Terror als feigen Anschlag auf die Demokratie und die Meinungsfreiheit. Der einhellige Tenor: Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen! Experten und Politiker befürchten jedoch, dass es bald schon weitere Terrorakte in westlichen Ländern geben könnte.
Hunderttausende Franzosen setzten am heutigen Sonntag (11. Januar) gemeinsam ein Zeichen: Beim Trauermarsch in der französischen Hauptstadt gedachten sie der Opfer der Anschläge – und zeigten, dass sich Frankreich weder spalten noch beeindrucken lässt vom feigen Terror einzelner Extremisten.
Normalerweise beteiligen sich französische Präsidenten nicht an Demonstrationen. François Hollande machte jedoch an diesem historischen Tag eine Ausnahme. Neben ihm nahmen rund 40 Regierungschefs, unter ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel, an dem Trauermarsch teil. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg war in die französische Hauptstadt gekommen. Weltweit gab es bereits am Sonntag Kritik an den USA, weil Washington keinen hochrangigen Vertreter nach Paris geschickt hatten. US-Präsident Barack Obama wurde dort von Botschafterin Jane Hartley vertreten.
Welche politischen Konsequenzen folgen aus den Anschlägen von Paris? Wie groß ist die Gefahr von Terroranschlägen in Deutschland? Welche Auswirkungen haben die Attentate auf das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen? Darüber diskutiert Günther Jauch am Sonntagabend (11. Januar) mit folgenden Gästen:
– Thomas de Maizière (Bundesminister des Innern);
– Mathias Döpfner (Publizist und Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE);
– Souad Mekhennet (Investigativreporterin und Terrorismusexpertin);
– Ulrich Wickert (Journalist und Autor).
Auch im Brüsseler Hauptquartier der NATO wehten die Flaggen am heutigen Sonntag auf Halbmast. „Um die Opfer der Terroranschläge von Paris zu ehren und aus Solidarität mit der französischen Nation“, wie es hieß. Am vergangenen Donnerstag (8. Januar) hatten sich bereits die Mitglieder der verschiedenen NATO-Gremien in Brüssel und die an diesem Tag anwesenden Besucherdelegationen zu einer Schweigeminute für die Toten des Charlie Hebdo-Anschlages versammelt.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg traf sich vor Beginn des Trauermarsches am 11. Januar in Paris mit den dort anwesenden Regierungschefs.
„Das abscheuliche Attentat von Paris war ein gezielter Anschlag auf das Satireblatt Charlie Hebdo und seine Mitarbeiter. Aber es war zugleich ein Anschlag auf die westliche Welt, auf die Grundlagen und Werte einer offenen Gesellschaft.“ Das schreibt der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Helmut Heinen, in einem am 10. Januar deutschlandweit in zahlreichen Zeitungen veröffentlichten Gastkommentar.
Der BDZV ist die Spitzenorganisation der Zeitungsverlage in der Bundesrepublik Deutschland. Über seine elf Landesverbände gehören ihm 286 Tageszeitungen (Gesamtauflage rund 14,3 Millionen verkaufter Exemplaren) sowie 13 Wochenzeitungen (rund eine Million verkaufter Exemplare) an.
Auch wir dokumentieren den Kommentar von Helmut Heinen, betrifft er doch in seinen Kernaussagen alle Medien:
Das abscheuliche Attentat von Paris war ein gezielter Anschlag auf das Satireblatt Charlie Hebdo und seine Mitarbeiter. Aber es war zugleich ein Anschlag auf die westliche Welt, auf die Grundlagen und Werte einer offenen Gesellschaft. In herausragender Solidarität berichten freie Medien weltweit seit Tagen über dieses unmenschliche Verbrechen und die verquere Ideologie, die junge Muslime erst zu religiösen Fanatikern und dann zu Mördern macht. Der einhellige Appell: Presse- und Meinungsfreiheit sind unteilbar. Unsere Werkzeuge sind Worte und Bilder!
Satire, Tabubruch, auch Blasphemie muss unsere Gesellschaft aushalten. Sie gehören zum Dialog über streitige Themen, selbst wenn dies dem Einzelnen nicht gefällt. Die Medien und gerade auch die Zeitungen tragen durch Kommentare und Hintergrundberichte zur Reflexion über unsere zivilen Standards bei.
Sie sind, mit allen Fehlern und Schwächen, mit ihren Stärken und Vorzügen, eine Errungenschaft unserer Demokratie, die wir stets aufs Neue verteidigen müssen. Das zeigt nicht nur der Anschlag auf Charlie Hebdo. Das zeigen auch Nazi-Schmierereien an den Wänden deutscher Verlagshäuser oder das dumpfe Verunglimpfen der „Lügenpresse“ durch die Pegida-Anhänger.
„Lügenpresse“ – das ist ein Kampfbegriff aus Deutschlands dunkelster Vergangenheit. Perfide Propaganda der Pegida-Anführer, Ignoranz und unklare Ängste drohen hier, eine üble Allianz einzugehen. Sie versprechen einfache Antworten auf komplexe Fragen. In unserer globalisierten Welt gibt es diese einfachen Antworten nicht.
Wehren wir uns. Beharren wir, Zeitungen und Leser gemeinsam, auch weiterhin selbstbewusst auf der Pluralität der Meinungen und der Freiheit, sie zu äußern. Bieten wir so allen Eiferern die Stirn, die im Namen von Religionen oder Ideologien pöbeln, Angst verbreiten und am Ende sogar morden.
Seit dem brutalen Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo verleihen auch in Deutschland viele Menschen auf unterschiedliche Weise ihrer Trauer und Solidarität Ausdruck. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) hat nun ein Online-Kondolenzbuch gestartet, mit dem Menschen ihre Gedanken und Botschaften an die Hinterbliebenen des Attentats übermitteln können. Die gesammelten Einträge wird ROG als gedrucktes Kondolenzbuch an die Französische Botschaft in Berlin übergeben, damit sie auf diesem Wege die Familien der Getöteten erreichen.
Das Online-Kondolenzbuch finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/wir-sind-charlie/
„Nach diesem schrecklichen Anschlag ist jede Stimme der Ermutigung und Solidarität ein wichtiges Zeichen für die Hinterbliebenen und für die Redaktion von Charlie Hebdo“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr zu der Aktion. „In dieser Situation gilt es deutlich zu machen, dass die Feinde der Pressefreiheit eine verschwindend kleine Minderheit sind.“
Malek Merabet, Bruder des vor dem Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo getöteten Polizisten Ahmed Merabet, brachte es am 10. Januar in einem Interview mit der BBC auf den Punkt: „Mein Bruder war Muslim und er wurde von Leuten umgebracht, die nur vortäuschen, Muslime zu sein. Sie sind Terroristen, das ist alles.“
Sondersendung „Paris trauert“ – die ARD berichtet am 11. Januar 2015 in der Zeit von 15:05 Uhr bis voraussichtlich 16:20 Uhr live vom Trauermarsch durch die französische Hauptstadt zum Gedenken an die Terroropfer des 7. Januar.
Unter dem Titel „Der Terrorschock – wie reagieren wir auf neue Anschläge?“ diskutiert Günther Jauch am 11. Januar 2015 in der ARD mit namhaften Gästen. Unter den Experten ist auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Die Sendung unter Federführung des NDR für Das Erste beginnt um 21:45 Uhr. Alle Angaben ohne Gewähr.
Zu unserem Bildangebot:
1. Trauerbeflaggung im Hauptquartier der NATO in Brüssel am 11. Januar 2015.
(Foto: NATO)
2. Moderator Günther Jauch diskutierte am Abend des 11. Januar 2015 mit Gästen unter anderem über die politischen Konsequenzen der Pariser Anschläge.
(Foto: ARD)
3. Zu dem Kommentar von BDZV-Präsident Helmut Heinen bot der Dachverband der deutschen Presse für diese Gemeinschaftsaktion der Zeitungen in Deutschland zwei Karikaturen zum Abdruck beziehungsweise zur Veröffentlichung auf den Websites der Medien an, die sich mit dem Thema „Meinungs- und Pressefreiheit“ beschäftigen. Die Arbeiten stammen von den mehrfach preisgekrönten Karikaturisten Heiko Sakurai und Klaus Stuttmann. Wir zeigen die Karikatur zur Pressefreiheit von Sakurai.