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Kunduz (Afghanistan)/Karlsruhe. Fünf Jahre und neun Monate nach dem verheerenden Luftangriff im nordafghanischen Kunduz hat nun das Karlsruher Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen damaligen Oberst der Bundeswehr Georg Klein und einen Hauptfeldwebel zurückgewiesen. Frühere Gerichtsentscheide – der Einstellungsbescheid des Generalbundesanwalts vom 13. Oktober 2010 und der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 2011 – seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Damit scheiterte der Vater von zwei Kindern, die bei dem Angriff getötet worden waren, nun in Deutschland vor Justitia endgültig.

Klein, seit dem 27. März 2013 Brigadegeneral, muss nun nicht mehr mit einem Strafprozess in Deutschland wegen des sogenannten Kunduz-Luftschlages rechnen. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts billigte mit ihrem heute (19. Juni) veröffentlichten Beschluss vom 19. Mai endgültig die Verfahrenseinstellung. Diese sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Letzte Beschwerden wurden damit abgewiesen.

Durch den Luftangriff in Kunduz in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 war es zu einer Vielzahl – auch ziviler – Todesopfer gekommen. Der Bremer Anwalt Karim Popal, der Geschädigte dieses Angriffes vertritt, sprach im November 2009 nach seinen beiden Afghanistanreisen von 179 zivilen Opfern, unter ihnen 134 Tote. Der Journalist Christoph Reuter und der Fotograf Marcel Mettelsiefen recherchierten von Dezember 2009 bis März 2010 vor Ort und ermittelten mit Unterstützung Einheimischer 91 Todesopfer. Diese Zahl erkannte später auch die Bundeswehr an.

Angst im deutschen Feldlager vor der „rollenden Bombe“ der Taliban

Der Kläger gegen die Verfahrenseinstellung ist Vater zweier Kinder, die am 4. September 2009 um 1:49 Uhr (afghanischer Ortszeit) auf einer Sandbank im Kunduz-Fluss – etwa sechs Kilometer südwestlich des deutschen PRT Kunduz – durch den Luftangriff getötet wurden. Der Afghane hatte Strafanzeige gegen „einen Oberst und einen Hauptfeldwebel der Bundeswehr“ gestellt.

Heeresoffizier Georg Klein hatte den Luftangriff als militärischer Leiter des Provinz-Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Team, PRT) in Kunduz veranlasst, der Hauptfeldwebel wirkte daran als Fliegerleitoffizier des PRT Kunduz mit. Zwei Tanklastwagen waren von Taliban entführt worden und steckten auf der Sandbank im Fluss Kunduz fest. Das Bundesverfassungsgericht zum weiteren Hergang des nächtlichen Geschehens: „In der Annahme, dass die Tanklaster von den Taliban jederzeit zu ,rollenden Bomben‘ gegen ein in der Nähe befindliches Lager der Bundeswehr umfunktioniert werden könnten und es sich bei den Personen in der Nähe der Fahrzeuge um Angehörige oder jedenfalls Unterstützer der Taliban handelte, wurde der Luftangriff befohlen. Tatsächlich hatte er jedoch eine Vielzahl von Todesopfern, auch unter der Zivilbevölkerung, zur Folge.“

Frühere richterliche Entscheidungen „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“

Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 hatte der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts einer Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch sowie anderer Delikte mangels zur Anklageerhebung hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Einen hiergegen erhobenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte danach das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 16. Februar 2011 als unzulässig verworfen.

Der Einstellungsbescheid des Generalbundesanwalts und der Beschluss des Düsseldorfer Oberlandesgerichts seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, urteilte die Kammer.

In der Begründung heißt es: „Der Beschwerdeführer [Anm.: der Kläger] verlangt die strafrechtliche Verfolgung einer Handlung, die nach ihrem objektiven Tatbestand zu den Kriegsverbrechen im Sinne des Völkerstrafgesetzbuchs zählt und auch nach allgemeinem Strafrecht als Mord im Sinne des Strafgesetzbuchs einzuordnen ist. Zugleich steht der Vorwurf im Raum, ein Amtsträger habe bei Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben nicht nur Straftaten begangen, sondern auch den Tod eines Menschen verursacht. Insoweit hat auch der Beschwerdeführer als Vater […] einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung.“

Die Bundesverfassungsrichter betonten ausdrücklich, dass auch mögliche schwere Verfehlungen staatlicher Stellen genau untersucht werden müssten. Wörtlich heißt es: „Weil der Verzicht auf eine effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen kann, muss bereits der Anschein vermieden werden, dass sie nur unzureichend untersucht würden, dass gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt würde oder dass insoweit erhöhte Anforderungen an eine Anklageerhebung gestellt würden.“ Diesen hohen Anforderungen würden die Ermittlungen und richterlichen Entscheidungen in Deutschland im Fall „Kunduz“ gerecht.

Subjektiver Tatbestand einer Straftat nicht gegeben

Zum Bescheid des Generalbundesanwalts vom 13. Oktober 2010 führt das Bundesverfassungsgericht nun aus, dass dieser weder die grundrechtliche Bedeutung des Schutzes des Lebens und die daraus folgenden Schutzpflichten des Staates noch die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Anforderungen an die effektive Untersuchung von Todesfällen verkenne. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei dem Angriff von Kunduz auf die Tankwagen um einen Vorfall mit schwersten Folgen – insbesondere einer großen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung mit Kindern und Jugendlichen – handele.

Die Richter der 3. Kammer kommen zum Kern: „Der Bescheid stellt die durchgeführten Ermittlungen dar und leitet daraus ab, dass sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen hinreichenden Tatverdacht ergeben hätten. Die Einlassung der Beschuldigten, sie hätten in der Überzeugung gehandelt, bei den Personen in der unmittelbaren Nähe der Tanklastwagen habe es sich um bewaffnete Aufständische gehandelt, lasse sich nicht widerlegen. Daher sei der subjektive Tatbestand einer Straftat nicht gegeben.“

Diese Annahme des Generalbundesanwalts sei nicht willkürlich und aus verfassungsrechtlicher Sicht daher nicht zu beanstanden, argumentieren die Richter weiter. Auch eine Einvernahme von Zeugen, die die fragliche Bombardierung beobachtet haben, hätte daran nichts geändert, denn das Ereignis der Bombardierung selbst wie auch der Tod von zahlreichen unbeteiligten Zivilisten hätten von Anfang an ja außer Frage gestanden.

Kunduz-Hinterbliebene scheiterten auch mit Entschädigungsklagen

Auch der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 2011 begegne ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, urteilten die Karlsruher Juristen. Ihre Begründung: „Da die durchgeführten Ermittlungen und deren Dokumentation durch den Generalbundesanwalt den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, kann eine nachfolgende gerichtliche Entscheidung, die dies überprüfen soll, nicht (mehr) zu einer Verletzung des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung führen.“

Hinterbliebene von Kunduz-Opfern mussten bislang auch mit Entschädigungsklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland in zwei Instanzen Niederlagen hinnehmen. Das Bonner Landgericht hatte am 11. Dezember 2013 zwei entsprechende Klagen abgewiesen. Die Begründung: Den an der tödlichen Militäraktion beteiligten Bundeswehrsoldaten sei „keine schuldhafte Amtspflichtverletzung“ vorzuwerfen. Dieses Urteil bestätigte am 30. April 2015 das Oberlandesgericht Köln.

Die Anwälte der klagenden Opfer hatten in der Vergangenheit wiederholt angekündigt, den Fall notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im französischen Straßburg zu tragen.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Außenansicht des Sitzungssaalgebäudes des Bundesverfassungsgerichts; der Komplex liegt im Karlsruher Schlossbezirk.
(Foto: Stephan Baumann/Bundesverfassungsgericht)

2. Zeugnis einer Tragödie im Fluss Kunduz – Wrack eines der beiden Tanklastwagen, die in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 durch einen Luftangriff zerstört wurden. Die Aufnahme wurde im Dezember 2011 gemacht.
(Foto: BRFBlake)

3. Im Mittelpunkt des Kunduz-Falles: Heeresoffizier Georg Klein.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)


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