Mazar-e Sharif (Afghanistan)/Berlin. Der 16. November war für Angehörige der Bundeswehr und für Mitarbeiter des Unternehmens Airbus DS Airborne Solutions im Camp Mazar-e Sharif in Nordafghanistan ein besonderes Datum. An diesem Montag konnte mit erfolgreicher Beendigung der 410. Heron-Mission in diesem Jahr auch die 25.000 Flugstunde des unbemannten Luftfahrzeugsystems in Afghanistan verbucht werden. Airbus-Vertriebsleiter Ralf Hastedt schwärmte nach dem Jubiläumsflug: „Die deutsche Luftwaffe erbringt mit dem System Heron Leistungen, die führend im Vergleich mit anderen Nationen sind.“
Das unbemannte Luftfahrzeugsystem (Unmanned Aircraft System, UAS) Heron liefert im Rahmen der Bundeswehrmission „Resolut Support“ am Hindukusch rund um die Uhr wertvolle Beobachtungs- und Aufklärungsinformationen. Der Satellitendatenlink erlaubt dabei die Überwachung der gesamten Nordhälfte Afghanistans, die mit einer Ausdehnung von mehr als 300.000 Quadratkilometern fast der Fläche Deutschlands entspricht.
Die Drohne, die innerhalb der Bundeswehr als „Heron 1“ bezeichnet wird und dem Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“ zugeteilt ist, ist ein System für mittlere Flughöhen und lange Verweildauer über dem jeweiligen Einsatzgebiet (MALE: Medium Altitude, Long Endurance). Hergestellt wird das Fluggerät vom Rüstungsunternehmen Israel Aerospace Industries, kurz IAI.
Der Heron (engl. „Reiher“) besitzt eine Spannweite von 17 Metern und hat eine maximale Missionsdauer von mehr als 24 Stunden. Zu den militärischen Missionsaufgaben zählen unter anderem das Aufspüren von Sprengfallen aus der Luft, Konvoi- und Patrouillenbegleitung, Unterstützung von Einsatzkräften bei Gefechtssituationen, Fahrstreckenerkundung und Überwachung, Erstellen von Bewegungsprofilen und Langzeitüberwachung, Unterstützung zur Lagebeurteilung sowie Objekt- und Lagerschutz.
Die Bundeswehr hatte bereits vor etlichen Jahren eine Fähigkeitslücke im Bereich ihrer luftgestützten abbildenden Aufklärung ausgemacht und Lösungen diskutiert. 2007 war durch das Verteidigungsministerium dann die Forderung der Truppe nach einem „System zur Abbildenden Aufklärung in der Tiefe des Einsatzgebietes“ (SAATEG) gebilligt worden.
Mitte 2009 gelangte der Heron zusammen mit dem amerikanischen RQ-1 Predator in die Auswahl zur „beschleunigten Beschaffung einer Aufklärungsdrohne für die unmittelbaren Bedürfnisse der Bundeswehr in Afghanistan“. Am Ende entschied man sich, drei Heron-Systeme ab Anfang 2010 für die Truppe anzumieten. Die Kosten für das zunächst auf drei Jahre angelegte Leasingprojekt betrugen 110 Millionen Euro. Danach sollten alle drei Flugzeuge wieder an den Hersteller IAI zurückgegeben werden. Der Leasingvertrag wäre am 31. Oktober 2012 ausgelaufen, wurde anschließend aber immer wieder verlängert. Zuletzt Ende März dieses Jahres bis April 2016 (siehe auch hier).
Mitte März hatte Spiegel online übrigens schon darüber berichtet, dass die Bundeswehr mit ihren Vertragspartnern optional ausgehandelt habe, die Heron-Drohne möglicherweise auch 2016 in Nordafghanistan zu belassen. Zu diesem Zeitpunkt galt immer noch das erste Mandat des Parlaments für eine Beteiligung deutscher Kräfte an der „Resolute Support Mission“ (Mandatszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2015). Inzwischen hat die Bundesregierung jedoch eine Verlängerung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr beschlossen. Die deutschen Soldaten sollen nun wegen der angespannten Sicherheitslage noch bis 31. Dezember 2016 im Land bleiben und sich weiter an der NATO-geführten Ausbildungsmission beteiligen. Der Bundestag muss dem Regierungsantrag noch zustimmen. Der Heron bleibt also weiter am Hindukusch im Einsatz.
Verantwortlich für den Betrieb der drei deutschen Heron-Systeme in Afghanistan ist heute die Airbus DS Airborne Solutions GmbH (ADAS), ein Joint Venture der Unternehmen Airbus Defence and Space (51 Prozent) und Rheinmetall Defence Electronics (49 Prozent). ADAS garantiert die vereinbarte Einsatzfähigkeit der UAS auf Basis eines Betreibermodells, über dessen Umsetzung in die Praxis wir gleich mehr erfahren werden.
Ein entscheidendes Kriterium für alle Bundeswehreinsätze mit der Drohne von Mazar-e Sharif aus ist die ununterbrochene Verfügbarkeit des unbemannten Systems. Das Instandsetzungsteam von Airbus muss die Einsatzbereitschaft der drei Heron 1 und der Bodeneinrichtungen Tag für Tag rund um die Uhr sicherstellen. Nur so ist eine lang anhaltende Überwachung und Aufklärung aus der Luft mittels Echtzeitvideo möglich.
Dank einer Kleinen Anfrage der Bundestagsabgeordneten Agnieszka Brugger, Tobias Lindner, Doris Wagner und ihrer Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wissen wir inzwischen mehr über die Arbeitsabläufe der deutschen Heron-Spezialisten in Nordafghanistan. Der Fragenkatalog der Oppositionspolitiker stammt vom 5. Juni dieses Jahres, die „Antwort der Bundesregierung“ als Bundestagsdrucksache 18/5481 vom 7. Juli.
Mit dem Dienstleistungsvertrag „Zwischenlösung des Systems zur Abbildenden Aufklärung bis in die Tiefe des Einsatzgebietes“ (SAATEG ZwL) bietet Airbus DS Airborne Solutions der Bundeswehr monatlich eine definierte Anzahl von Flugstunden zur Aufklärung mit dem System Heron 1 an. Das Unternehmen übernimmt in Mazar-e Sharif, wie bereits beschrieben, die technisch-logistische Betreuung. Der operative Betrieb des Systems erfolgt ausschließlich durch Bundeswehrpersonal. Weitere Firmen sind bei SAATEG ZwL nicht beteiligt.
Personell stellt ADAS, das seinen Sitz in Bremen hat, zwei Teams zu je planmäßig 19 Mitarbeitern zur Verfügung. Diese Einsatzteams wechseln sich im Camp in Nordafghanistan ab.
Wie aus der Antwort der Bundesregierung auch zu entnehmen ist, hat die Bundeswehr bislang 63 Soldaten zu Heron-Piloten und 40 Soldaten zu Sensor-Bedienern ausgebildet. Bis einschließlich 2013 fand die gesamte Ausbildung beim Systemhersteller in Israel statt (jeweils einmal in den Jahren 2009 und 2010 sowie in den Jahren 2012 und 2013). Mit der in den Jahren 2014 und 2015 durchgeführten Schulung wurden erstmals der Theorie- und Simulatoranteil der Ausbildung durch IAI-Personal beim Taktischen Luftwaffengeschwader 51 „Immelmann“ in Schleswig durchgeführt. Die praktische Ausbildung erfolgt auch weiterhin in Israel.
Über die Aufgabenteilung zwischen Angehörigen der deutschen Luftwaffe und dem Airbus-Team erfahren wir: „Die zivilen Mitarbeiter der Airbus DS Airborne Solutions GmbH steuern den Heron 1 beim Start und zur Landung innerhalb der Kontrollzone des Flugplatzes Mazar-e Sharif. Dies gilt für die Bewegungen am Boden, bei den Startphasen bis zum erstmaligen Erreichen von einer Flughöhe von 1000 Fuß über Grund und bei den Landephasen ab dem letztmaligen Unterschreiten von 1000 Fuß über Grund. In diesen Phasen übernehmen die [ADAS-Mitarbeiter] die Verantwortung für das Luftsegment Heron 1. Die Steuerung des Heron 1, die Bedienung der Sensoren im Operationsgebiet und auch die Auswertung der Daten und die Erstellung von Auswerteberichten in der Ground Exploitation Station erfolgen ausschließlich durch Soldatinnen und Soldaten.“
Die Bundesregierung betont in ihrer Antwort an die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, dass die Airbus-Teammitglieder in Afghanistan „in keine hoheitlich-exekutiven Aufgaben eingebunden“ sind. Das zivile Unterstützungspersonal und die Bundeswehrspezialisten säßen außerdem „nur während der Anlass- und Abstellprozesse, der Rollvorgänge und der Start- und Landephasen“ in der Bodenkontrollstation zusammen, schreibt die Regierung. Die Übergabe zwischen dem ADAS-Personal und den Luftwaffensoldaten erfolge innerhalb von etwa 30 Sekunden mithilfe einer fünf Schritte umfassenden Checkliste.
Weiter heißt es in der Regierungsantwort: „Nach der Startphase und dieser Übergabe verlässt das Personal der Airbus DS Airborne Solutions GmbH die Bodenkontrollstation. Zur Landung wird das Personal [wieder] in die Bodenkontrollstation gerufen, wenn sich der Heron 1 bereits in der Kontrollzone des Flugplatzes Mazar-e Sharif befindet. Auch hier erfolgt die Übergabe gemäß der oben genannten Checkliste.“
Ralf Hastedt, Leiter Vertrieb bei ADAS, sagte am Tag des Heron-Jubiläumsfluges: „Mittlerweile sind für den Einsatz des Systems eine hohe Anzahl von Bedienern und Wartungspersonal aufseiten der Luftwaffe und der Industrie ausgebildet worden. Man hat nationale Erfahrungen gesammelt, die auch bei anderen Missionen und beim zukünftigen MALE UAS genutzt werden können.“ (Zur Erinnerung: MALE UAS = Medium Altitude Long Endurance Unmanned Aircraft System.)
Wie ist der derzeitige Beschaffungsstand? Beim Thema „MALE-Drohne der Zukunft für die Bundeswehr“ spielt zum einen ein trinationales, deutsch-französisch-italienisches Vorhaben eine Hauptrolle. Zum anderen geht es auch um eine Übergangslösung, bei der die Bundesregierung die bewaffnungsfähige Heron TP aus Israel und die Predator B aus den USA favorisiert.
Bei der Initiative der drei Länder Deutschland, Frankreich und Italien handelt es sich nicht um die gemeinsame Entwicklung einer „Kampfdrohne“. Projektziel ist vielmehr ein unbemanntes Aufklärungsflugzeug mit langer Flugdauer, das auch bewaffnet werden kann. Vertreter aller drei Nationen haben dazu am 18. Mai dieses Jahres in Brüssel am Rande des Rates für Auswärtige Beziehungen eine Absichtserklärung (Declaration of Intent, DoI) zur Durchführung einer Definitionsstudie über eine mögliche MALE UAS-Entwicklung unterzeichnet. Fast zeitgleich legten die Unternehmen Airbus Defence and Space, Dassault und Alenia Aermacchi einen Industrievorschlag zu einer Definitionsphase – „MALE 2020“ – vor.
Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung im Rahmen einer MALE UAS-Überbrückungslösung wurden mittlerweile im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr untersucht. Eine abschließende Bewertung steht noch aus.
Eine zentrale Forderung ist bei beiden Beschaffungsansätzen identisch: Eine europäische Entwicklungslösung für ein MALE UAS muss – wie bereits erwähnt – Waffen einsetzen können, auch für die Überbrückungslösung wird von den Auftraggebern grundsätzlich eine Bewaffnungsfähigkeit gefordert.
Zu unseren Aufnahmen:
1. Bundeswehr-Drohne Heron 1 bei einem Aufklärungsflug über Nordafghanistan.
(Foto: Airbus DS Airborne Solutions)
2. Vorbereitung eines deutschen Heron 1 im August 2012 beim damaligen Einsatzgeschwader Mazar-e Sharif. Zu dieser Zeit war im Bereich des Regionalkommandos Nord der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF) das 29. Deutsche Kontingent im Einsatz.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)
Kleines Beitragsbild: Start einer Heron 1 der Bundeswehr vom Flugplatz in Mazar-e Sharif. Die Aufnahme wurde im Februar 2013 gemacht.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)