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Prag (Tschechische Republik). Es ist ein düsteres Szenario. Und es stammt von einem Militärexperten, der demnächst innerhalb der NATO auch wegen seines Sachverstandes eine herausgehobene Position bekleiden wird. Russland könne, wenn es wolle, die baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen in nur zwei Tagen besetzen, warnte Petr Pavel am 27. Mai am Rande eines sicherheitspolitischen Kongresses in Prag. Der tschechische General, bis vor wenigen Tagen Chef des Generalstabes der Streitkräfte seines Landes und designierter neuer Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, ist sich sicher: „Unser Verteidigungsbündnis wäre in dieser Zeitspanne nicht in der Lage, operativ angemessen auf die russische Besetzung zu reagieren.“

Pavel, der am 20. September vergangenen Jahres zum künftigen 32. Ausschussvorsitzenden und damit zum Nachfolger des Dänen Knud Bartels gewählt worden war, äußerte sich in Prag gegenüber der Nachrichtenagentur CTK. Er vertrat die Meinung, dass die politische Führung der NATO in einem solchen Fall wohl kaum in der Lage sein werde, rasch genug auf diese dramatische Entwicklung zu reagieren. Auch seien die Maßnahmen, die die Europäer bislang angesichts der Bedrohungen durch Russland und die Terrorbewegung „Islamischer Staat“ (IS) ergriffen hätten, fast schon „peinlich stumpf“ geblieben.

General Pavel erinnerte im Verlauf des Gespräches daran, dass auf der einen Seite die NATO durch ihre komplexen Beratungs- und Entscheidungsprozesse deutlich im Nachteil sei. „Das liegt daran, weil die NATO 28 Mitglieder hat, die bei allen wichtigen Beschlüssen zunächst einen Konsens erzielen müssen.“ Auf der anderen Seite könne die Führung Russlands jederzeit innerhalb weniger Stunden eine Entscheidung fällen, so Pavel gegenüber CTK.

Große Defizite auch beim Austausch nachrichtendienstlicher Informationen?

Die Dauer der NATO-Entscheidungsfindungen und -Genehmigungsverfahren, auf jeweiliger nationaler Ebene und auf Bündnisebene, kollidiere mit den Fristen, innerhalb derer die Krisenreaktionskräfte der Allianz einsatzfähig sein sollten, beklagte der Tscheche. Die Rapid Reaction Forces seien durchaus in der Lage, innerhalb zweier Tage auf einen derartigen Ernstfall zu reagieren. Allerdings müsste das Prozedere des politischen Entscheidungsprozesses dafür zunächst erst einmal grundsätzlich in Einklang gebracht werden mit den zeitlichen Rahmenbedingungen und Vorgaben für die Streitkräfte.

Wörtlich sagte der neue Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, der in den nächsten Tagen seinen Dienstposten in Brüssel antreten wird: „Russland könnte die baltischen Staaten innerhalb von zwei Tagen besetzen – zwei Tage, in denen wir unfähig wären, angemessen zu reagieren. Deshalb würde in einem solchen Fall die NATO auch mit der Frage konfrontiert, ob sie für einen militärischen Schlagabtausch mit Russland – möglicherweise auch nuklear – bereit sei. Eine andere Frage ist und bleibt, inwieweit sich Russland von der in der NATO fest verankerten Bündnistreue gegenüber allen Mitgliedern der Allianz und von der nuklearen Komponente des NATO-Arsenals beeindrucken lässt.“

Kritisch äußerte sich Pavel in seinem Interview mit CTK auch zum Stand des Nachrichtenaustausches innerhalb der NATO. Der Austausch von Geheimdienstinformationen zwischen den Bündnismitgliedern sei eindeutig mangelhaft, auch fehle der NATO insgesamt ein eigenes nachrichtendienstliches Netzwerk, bedauerte der General.


Die Aufnahme zeigt General Petr Pavel, den neuen Vorsitzenden des Militärausschusses der NATO.
(Foto: Armáda České Republiky)

Kleines Beitragsbild: Tagung des Militärausschusses im Rahmen des Treffens der NATO-Verteidigungsminister am 21. Mai 2015 in Brüssel – in der Bildmitte General Pavel.
(Foto: NATO)


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