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Berlin. Die Bundeswehr soll zusätzliche Handfeuerwaffen zur Ergänzung ihres bisherigen Waffenmixes erhalten. Das Verteidigungsministerium begründet diese „kurzfristige Maßnahme“ mit den „präzisionsbedingten Fähigkeitsdefiziten des Gewehrs G36“. Bis zur endgültigen Entscheidung über die Zukunft des G36 der deutschen Streitkräfte – vermutlich Ende des Jahres – sollen nun insgesamt 600 Sturmgewehre auf der Basis des bereits genutzten G27P sowie 600 leichte Maschinengewehre MG4 beschafft werden. Kosten für die 1200 neuen Schusswaffen, die in erster Linie für Bundeswehrangehörige im Auslandseinsatz gedacht sind: etwa 18 Millionen Euro plus ein „regelmäßiger jährlicher Finanzbedarf für die Nutzung der Waffen“. Die Opposition stößt sich daran, dass der Auftrag wieder an Heckler & Koch ergehen soll. Mit dem Oberndorfer Waffenproduzenten hat das Verteidigungsministerium im Zuge der G36-Debatte bereits heftige Auseinandersetzungen geführt.

Bei der Beschaffung der 600 Sturmgewehre G27P und der 600 Maschinengewehre MG4, die voraussichtlich ab der zweiten Jahreshälfte 2016 in Auslandseinsätzen der Bundeswehr genutzt werden könnten, handelt es sich um eine Interimslösung. Lediglich eine relativ kleine Zahl von deutschen Soldaten in Auslandsmissionen wird davon profitieren. Die Entscheidung für den Waffenkauf ist von Katrin Suder, Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung, getroffen worden.

Dies geht aus einer Unterrichtung der Berichterstatter des Haushaltsausschusses des Bundestages durch den Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, Ralf Brauksiepe, hervor. Er informierte die Haushälter in seinem Schreiben vom 27. August „über die in der 38. Sitzung des Verteidigungsausschusses am 6. Mai 2015 angekündigten kurzfristigen Maßnahmen zur Behebung der präzisionsbedingten Fähigkeitsdefizite des Gewehrs G36.“ Es soll demnach eine kritische Fähigkeitslücke geschlossen werden.

Waffenmix in der Bundeswehr soll „weiter ausgebaut“ werden

In dem Schreiben, das der Redaktion bundeswehr-journal vorliegt, wird erläutert und begründet: „Der Entscheidung ging eine umfassende Bewertung voraus. Diese berücksichtigte sowohl das Erfordernis einer Lösung auf der Basis eines bereits in die Bundeswehr eingeführten Gewehres, die Sicherstellung einer Leistungssteigerung für die Soldaten im Einsatz – dabei vor allem die Erfüllung der durch die Arbeitsgruppe ,G36 in Nutzung‘ erarbeiteten Präzisionsforderungen bei schussinduzierter und klimabedingter Temperaturänderung – als auch die notwendigen Maßnahmen zur Herstellung der Einsatz- und Versorgungsreife (Beschaffung von Zubehör und Logistik).“

Als kurzfristige Lösung sei somit eine Variante auf der Basis des Gewehrs G27P – eine Präzisionswaffe der Spezialkräfte, Kaliber 7,62 x 51 mm – in Betracht gekommen, erklärte Brauksiepe. „Vorbehaltlich noch ausstehender Überprüfungen der Präzisionsforderungen des G27P“ sei nun beabsichtigt, ein erstes Los von etwa 60 Waffen mit zugehöriger Ergänzungsausstattung bis Ende November 2015 zu beschaffen. Bis Juni 2016 sollen weitere 540 Waffen zur Verfügung stehen. Brauksiepe zu den weiteren Planungen: „Unter Berücksichtigung dieser Zeitlinien sowie des Zeitansatzes für die Ausbildung kann das G27P – nach derzeitigem Kenntnisstand – ab der zweiten Jahreshälfte 2016 in den Einsätzen genutzt werden.“ Das G27P der Bundeswehr beruht auf dem marktverfügbaren Universalsturmgewehr HK417 im Kaliber 7,62 mm x 51 NATO.

Mit der Beschaffung zusätzlicher Maschinengewehre MG4 in der Variante IdZ (System „Infanterist der Zukunft“), welches bereits in die Bundeswehr eingeführt ist, soll nach Auskunft Brauksiepes „der Waffenmix weiter ausgebaut“ werden. Bis Ende des Jahres 2016 sollen bis zu 600 Schusswaffen MG4 für die Truppe bereitgestellt werden.

Beschaffung erfolgt als „Sofortinitiative für den Einsatz“ der Bundeswehr

Der Umfang der als Interimslösung zu beschaffenden 1200 neuen Waffen orientiere sich am kurzfristig verfügbaren und geeigneten Angebot und an der Produktionsleistung der Industrie, so der Parlamentarische Staatssekretär. Für die Beschaffung der 600 Sturmgewehre G27P und der 600 Maschinengewehre MG4 rechnet das Verteidigungsministerium mit Kosten in Höhe von etwa 18 Millionen Euro – hinzu kommt „ein regelmäßiger jährlicher Finanzbedarf für die Nutzung der Waffen“.

Die Beschaffung soll als „Sofortinitiative für den Einsatz“ auf der Grundlage des Verfahrens „Einsatzbedingter Sofortbedarf“ erfolgen.

In seinem Schreiben an die Berichterstatter des Haushaltsausschusses versichert Brauksiepe auch: „Mit den beiden Waffensystemen kann das bekannte Defizit – vorbehaltlich der für das G27P noch ausstehenden notwendigen Überprüfung der Präzisionsforderungen sowie des Zeitbedarfes zum Herstellen der Einsatz- und Versorgungsreife sowie für die erforderliche Ausbildung – kurzfristig beziehungsweise mittelfristig reduziert werden.“

Die eigentliche Lösung des G36-Problems steht noch aus

Oppositionspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen kritisieren bereits heftig den neuen Deal mit Heckler & Koch. So ist Tobias Lindner, Mitglied des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses, der Meinung: „Die Probleme, die die Bundeswehr mit den 170.000 Gewehren des G36 hat, werden durch die Beschaffung von 600 Gewehren des Typs G27P sicherlich nicht gelöst. Das G36 wird durch diese kurzfristige Maßnahme keinesfalls ersetzt oder verbessert. Im Grunde ändert das Verteidigungsministerium damit nur den Waffenmix in den Einsätzen, den es bisher stets als ausreichend bezeichnet hatte. Diese Beschaffung ist lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Die eigentliche Lösung des G36-Problems muss Ursula von der Leyen erst noch präsentieren.“

Während man das G27P noch als Ersatz des G36 sehen könnte, werfe allerdings die kurzfristige Beschaffung von Maschinengewehren einige Fragen auf. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen: „Maschinengewehre sind nicht für ihre Präzision bekannt und dienen eher nicht als Ersatz für ein Sturmgewehr. Ebenso waren bisher keine Defizite bei der Beschaffung von Maschinengewehren bekannt. Bisher hieß es stets, dass das MG3 zwar ersetzt werden muss, aber mit der Beschaffung von Gewehren des Typs MG4 und MG5 entsprechende Programme am Laufen seien.“ Warum außerdem diese Beschaffung – nach Ende des ISAF-Einsatzes in Afghanistan – jenseits der normalen Beschaffungsprozesse im Schnellverfahren stattfinde, bedürfe sicherlich noch weiterer Erklärungen, mahnt Lindner an.

Nicht zuletzt bleibe bei diesem Kauf ein „Geschmäckle“, meint der Parlamentarier abschließend. Ausgerechnet der Hersteller des Sturmgewehrs G36, welches erst zu der gesamten Misere geführt habe, werde nun von den kurzfristig entschiedenen Beschaffungen profitieren.

Präzisionsprüfungen beim Sturmgewehr G27P noch nicht abgeschlossen

Unverständnis über die getroffene Beschaffungsentscheidung äußert auch Agnieszka Brugger, Sprecherin der Grünen für Sicherheitspolitik und Abrüstung. Ihr Statement bringt auf den Punkt, was so mancher Zeitungskommentar der nächsten Tage ebenfalls hinterfragen könnte: „Während Verteidigungsministerium und Heckler & Koch öffentlich weiter über das G36 streiten und zahlreiche Untersuchungen noch laufen, wird dieses Unternehmen nun sogar mit dem nächsten Auftrag belohnt.“

„Pikanterweise“ seien beim G27P die Prüfungen zur Präzision noch nicht einmal abgeschlossen, moniert Brugger. Und sie legt nach: „Zudem gab es auch bei der Beschaffung des G27 für die Spezialkräfte im Jahr 2011 den Verdacht, dass das Verteidigungsministerium auf Wunsch von Heckler & Koch unbequeme Beamte versetzen ließ. Die Kumpanei zwischen Verteidigungsministerium und Heckler & Koch scheint genauso weiterzugehen wie bisher.“

Ministerin von der Leyen habe ihren Anspruch bisher nicht eingelöst, hier grundsätzlich aufzuräumen, kritisiert die Verteidigungspolitikerin von Bündnis 90/Die Grünen. Es sei jetzt allerhöchste Zeit, zu handeln. „Spätestens bei der Entscheidung um die langfristige Lösung in ein paar Monaten muss Frau von der Leyen ihre Versprechen wahr machen – denn sonst stünde am Ende Heckler & Koch auch noch als Gewinner der ganzen Affäre da und die Ministerin hätte sich völlig unglaubwürdig gemacht“, warnt Brugger.

Hat das G36 in der Bundeswehr wirklich „keine Zukunft“?

In der Tat: Die Positionierung der Verteidigungsminister in der G36-Debatte ist seit dem 22. April dieses Jahres eindeutig. Zwar hat von der Leyen rund um das G36 einige Kommissionen initiiert, die zur Ausleuchtung aller Hintergründe dieses Waffengeschäfts beitragen sollen. Anlässlich der 37. Sitzung des Verteidigungsausschusses an diesem Mittwoch im Sitzungssaal 2.700 des Berliner Paul-Löbe-Hauses soll sie laut Sitzungsprotokoll jedoch erklärt haben, dass „zusammenfassend klar“ sei, dass das Gewehr G36 – so wie es konstruiert sei – „in der Bundeswehr keine Zukunft“ habe. Für dieses Zitat verbürgt sich das Hauptstadtstudio der ARD, das nach eigener Aussage Einsicht in das Kurzprotokoll der Ausschusssitzung gehabt haben will.

Wie stark mittlerweile die Fronten zwischen Verteidigungsministerium und dem Waffenproduzenten aus Oberndorf verhärtet sind, zeigt eine kurze Pressemitteilung aus dem Hause Heckler & Koch vom 3. Juli. Kurz und bündig erfahren wir: „Nachdem das Beschaffungsamt der Bundeswehr [Anm.: Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, BAAINBw] am 10. Juni 2015 gegenüber Heckler & Koch Gewährleistungsforderungen wegen angeblicher Mängel des Sturmgewehrs G36 erhoben hatte, hat das Unternehmen nun eine negative Feststellungsklage beim Landgericht Koblenz eingereicht. Ziel ist es, gerichtlich verbindlich feststellen zu lassen, dass die behaupteten Sachmängel nicht bestehen.“

Kommissionsvorsitzender Nachtwei kündigt ein klares Ergebnis an

Man darf gespannt sein auf die Ergebnisse der zur Aufklärung der verschiedenen Sachverhalte rund um das G36 eingesetzten Kommissionen – „Organisationsstudie G36“, Prüfgruppe „Geschäftsbeziehungen mit Heckler & Koch zu G36“ und „Kommission zur Untersuchung des Einsatzes des G36-Sturmgewehres in Gefechtssituationen“. Den Informationen von Staatssekretär Brauksiepe zufolge werden diese Kommissionen „voraussichtlich in der 42. Kalenderwoche [Anm.: 12. bis 16. Oktober 2015] ihre jeweiligen Berichte an Frau Ministerin“ übergeben. Unmittelbar im Anschluss sei „die unverzügliche Unterrichtung des Parlaments“ vorgesehen.

Der Bericht der „Kommission zur Untersuchung des Einsatzes des G36-Sturmgewehres in Gefechtssituationen“, die von dem früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten und Experte für Friedens- und Sicherheitspolitik Winfried Nachtwei geleitet wird, könnte sogar schon ein paar Tage früher vorliegen. Wie die Bundeswehr in ihrem aktuellen Onlinebeitrag „Spurensuche: Bericht zum Zwischenstand der G36-Kommission“ schreibt, könnte Ursula von der Leyen das Ergebnis vieler geprüfter Dokumente und zahlreicher Gespräche mit Soldaten bereits am 1. Oktober erfahren.

Der Auftrag der Nachtwei-Kommission: Sie sollte untersuchen, ob Bundeswehrangehörige „durch Präzisionsmängel am G36 im Einsatz gefährdet oder gar geschädigt wurden“. Die konkreten Einsatz- und Gefechtserfahrungen der Soldaten hätten bei der Kommissionsarbeit im Mittelpunkt“ gestanden, erklärte Nachtwei der Autorin des Beitrages, Vivien-Marie Bettex. Und er kündigte an: „Wir werden ein seriöses und klares Ergebnis vorlegen.“


Zu unserem Bildangebot:
1. Bundeswehrsoldaten bei der NATO-Übung „Cold Response 2014“. Die beiden Soldaten gehören zu den Fallschirmjägern mit „Erweiterter Grundbefähigung“ und sind ausgestattet mit dem Sturmgewehr G36C3. Das Bild entstand am 10. März 2014.
(Foto: Oliver Bender/Bundeswehr)

2. Das bereits von den Spezialkräften der Bundeswehr genutzte G27P basiert auf dem marktverfügbaren Modell HK417.
(Bildquelle: Picasa)

3. Bundeswehrsoldat am 2. September 2010 in Afghanistan mit seinem Maschinengewehr MG4 im Feuergefecht mit Aufständischen.
(Foto: Patrick von Söhnen/PrInfoZ Heer/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Juli 2014 – Grundausbildung in Augustdorf, Rekrut mit dem Sturmgewehr G36.
(Foto: Dirk Vorderstraße)


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