Berlin. Auch für die Bundeswehr ist und bleibt die demografische Entwicklung „die große Herausforderung der Zukunft“. Schon jetzt müssen die Streitkräfte etwa jeden zehnten jungen Bundesbürger dazu bewegen, sich für den Militärdienst zu bewerben, um ihren personellen Regenerationsbedarf zu decken. „Noch gelingt dies – derzeit“, versicherte vor wenigen Tagen Vizeadmiral Joachim Rühle. Mit dem Abteilungsleiter „Personal“ im Verteidigungsministerium sprach Christiane Tiemann. Die Journalistin, die seit Anfang 2015 in der Redaktion von Y, dem Magazin der Bundeswehr arbeitet, fragte den Personalplaner auch nach den Chancen der Bundeswehr im Wettbewerb um die besten Köpfe.
Unter den Bedingungen dieses sich zuspitzenden Wettbewerbs mit der Wirtschaft könne man mit der derzeitigen Ist-Situation bei der Personalgewinnung „wirklich sehr zufrieden“ sein, erklärte Rühle, der seit gut einem Jahr Leiter der Abteilung „Personal“ ist. „Es haben sich letztes und dieses Jahr knapp unter 80.000 junge Männer und Frauen bei der Bundeswehr beworben. Ich kann meine Personalzahlen über nahezu alle Bereiche sehr gut füllen.“
Kopfzerbrechen bereitet dem Marineoffizier lediglich der Fachkräftebereich. Aber hier weiß sich Rühle in guter Gesellschaft mit großen, mittelständischen und kleinen Unternehmen. Sie haben ähnliche Probleme. „Vor allem im IT-Bereich, im gehobenen technischen Dienst und im Pflegebereich ist die Rekrutierung schwierig“, erfuhr Tiemann von ihrem Gesprächspartner.
Wie gut die momentane Bewerbersituation ist, weiß mittlerweile auch die Bundestagsabgeordnete Doris Wagner (Bündnis 90/Die Grünen) aus offizieller Quelle. Sie hatte bei der Bundesregierung nachgefragt, wie viele Freiwilligen Wehrdienst Leistende – kurz FWDL – zum 1. September beziehungsweise 1. Oktober dieses Jahres ihren Dienst angetreten haben und wie viele Freiwillige es zu den gleichen Terminen im Jahr 2014 gewesen sind.
Markus Grübel, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, antwortete der Politikerin am 9. November. Aus seiner Aufstellung geht hervor, dass zum 1. September 2014 insgesamt 58 Bewerber (42 Männer und 16 Frauen) ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten hatten. Einen Monat später, zum 1. Oktober 2014, waren es 4159 (3583 Männer, 576 Frauen) gewesen. Zum 1. September 2015 haben sich bundesweit 55 neue Freiwillige zum Dienstantritt gemeldet (31 Männer, 24 Frauen), zum 1. Oktober 2015 insgesamt 3424 (2867 Männer und 557 Frauen).
Da die Grundausbildungskapazitäten bereits vollständig ausgeschöpft waren, konnten zum 1. Oktober dieses Jahres – trotz vorhandener geeigneter Kandidaten – keine weiteren Dienstantritte ermöglicht werden. Dazu Grübel: „Den Bewerberinnen und Bewerbern, deren Einstellungswunsch zum 2. Oktober 2015 nicht berücksichtigt werden konnte, wurde eine Einstellung zu einem späteren Zeitpunkt angeboten.“ Das Verteidigungsministerium prüfe derzeit, so der Staatssekretär, wie zukünftig durch einen geänderten Einberufungsrhythmus „derartige Umstände“ vermieden werden könnten. (Anm.: Zum Thema „Bewerberaufkommen bei der Bundeswehr“ siehe auch hier.)
Dass die Bundeswehr nicht nur Befürworter, sondern auch Gegner hat, ist eine Binsenweisheit. Ein Vorfall in Berlin in der Nacht vom 10. auf den 11. November zeigt allerdings, dass zum Lager der Gegner offensichtlich auch gestandene Narren gehören.
Was war geschehen? Unbekannte hatten in Berlin-Mitte im Schutze der Dunkelheit den Showroom der Bundeswehr nahe dem Bahnhof „Friedrichstraße“ mit grellen Farben besprüht. Der Polizeiliche Staatsschutz hat inzwischen die Ermittlungen wegen Sachbeschädigung aufgenommen. Auf einer linksextremistischen Internetseite wurde vor wenigen Tagen ein Bekennerschreiben veröffentlicht. Darin wird mitgeteilt, dass sich die Farbattacke vor allem gegen den Großen Zapfenstreich am 11. November vor dem Reichstagsgebäude gerichtet habe.
Die verunstaltete Außenfront des Showrooms erhitzte landesweit die Gemüter. Sympathien für den Anschlag der Berliner Nachtarbeiter sucht man im Netz vergeblich. Im Gegenteil. Christopher Pietsch beispielsweise twitterte erbost: „Ich bin gegen Krieg, aber das ist eine absolute Sauerei! Nur Narrenhände beschmieren Tisch und Wände!“
Die Bundeswehr selber reagierte auf den hässlichen Übergriff gelassen. Bei Facebook postete die Truppe ein Bild der rot und blau beschmierten Fensterfront, neben dem Eingang auf einem Werbeständer ein pfiffiges Poster mit der Botschaft „Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst.“
Der Showroom feierte übrigens am vergangenen Donnerstag (19. November) seinen ersten Geburtstag. Seit der offiziellen Eröffnung vor einem Jahr durch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist diese Einrichtung Bestandteil des neuen Hauptstadtbüros „Karriereberatung“ der Bundeswehr in Berlin-Mitte.
Leiter des Showrooms ist derzeit Hauptmann Jürgen Klau. Er erläutert uns: „Hier findet der Kunde Ansprechpartner und Informationsmaterial zum Arbeitgeber Bundeswehr, zu allgemeinen Bundeswehr-Themen und zu den Einsätzen. Für jeden, der uns im Showroom treffen will, besteht so die Möglichkeit der Recherche und der Vermittlung von Ansprechpartnern, sollten einzelne Themen nicht vor Ort angemessen behandelt werden können.“
Seit Eröffnung des Informationszentrums besuchten bereits mehr als 11.500 Bürger die Bundeswehr am Bahnhof „Friedrichstraße“.
Oberstleutnant Lutz Neumann ist Chef des Berliner Bundeswehr-Karrierecenters. Der Showroom gehört damit zu seinem Verantwortungsbereich. „Rund ein Viertel unserer Besucher ist weiblich, mehr als die Hälfte liegt vom Altersspektrum genau in unserer Kernzielgruppe. Offenbar scheint das moderne und offene Format dieser Einrichtung ein Erfolgsprodukt zu sein. Nicht weniger wollten wir mit diesem einzigartigen Projekt erreichen.“
Ein weiterer positiver Aspekt des Showrooms ist, dass dieser Treffpunkt keine reine „Werbeeinrichtung“ ist. Vielmehr sollen hier die vielen Facetten des Arbeitgebers Bundeswehr abgebildet werden. Und auch Menschen, die sich lediglich über die deutschen Streitkräfte oder sicherheitspolitische Themen informieren wollen, sind stets willkommen.
„Der Showroom der Bundeswehr ist auch ein Ort der Begegnung und des Dialogs. Neben unseren Karriereberatern nutzen auch immer mehr Jugendoffiziere die Räume für ihre Veranstaltungen“, sagt Neumann. „Durch diese Brücke in den sicherheitspolitischen Dialog trägt der Showroom den gesellschaftlichen und politischen Besonderheiten der Bundeshauptstadt Rechnung. Ich bin mir sicher, dass wir dieses Format nicht nur erfolgreich fortsetzen werden. Vielmehr hoffe ich, dass das Projekt ,Showroom Berlin‘ als Blaupause dient und wir bald in anderen deutschen Großstädten ähnliche Vorhaben werden starten können.“ Dann allerdings hoffentlich ohne Narren, die sich in finsterer Nacht ans Werk machen …
Zu unserem Bildangebot:
1. und 2. Impressionen aus dem Showroom in Berlin.
(Fotos: PrInfoZ Personal/Bundeswehr)
3. Der Showroom nach der Farbattacke, die in der Nacht vom 10. auf den 11. November verübt wurde.
(Foto: Bundeswehr)
Kleines Beitragsbild: Werbeplakat „Wir.Dienen.Deutschland“ an einer Außenwand des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin. Die Aufnahme stammt vom 4. Juli 2011.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)