Washington D.C. (USA). Fachleute aus mehr als 60 Nationen versammelten sich am 18. Februar auf Einladung des Weißen Hauses in Washington D.C. zu einer Anti-Extremismus-Konferenz. Sie diskutierten dabei vor dem Hintergrund der jüngsten Anschläge in Paris und Kopenhagen über Präventivmaßnahmen und auch über Strategien, um vor allem junge Menschen vor einem Abgleiten in die Terrorszene zu bewahren. Im Mittelpunkt stand zudem die Forderung nach mehr Kooperation zwischen den Staaten. Deutschland wurde bei der dreitägigen Veranstaltung „The White House Summit on Countering Violent Extremism“ von Staatssekretärin Emily Haber aus dem Bundesinnenministerium vertreten.
Zu dem Gipfel im Eisenhower Executive Building gleich neben dem Weißen Haus kamen Regierungsrepräsentanten aus aller Welt, Vertreter internationaler Organisationen, Experten für Fragen der Radikalisierung und Deradikalisierung sowie Fachleute aus dem gesellschaftspolitischen Bereich und aus der Wirtschaft. Staatssekretärin Haber berichtete später, der Gipfel sei geprägt gewesen von dem Gefühl und von der Gewissheit, dass „Terrorismus als Phänomen unserer Zeit alle Menschen betrifft“. US-Präsident Barack Obama habe bei dieser internationalen Anti-Terror-Konferenz denn auch mit Nachdruck darauf hingewiesen, ergänzte Haber, dass „wir alle im selben Boot sitzen“.
Heftige Kritik an Obamas „Countering Violent Extremism Summit“ hatte es bereits im Vorfeld gegeben. Da waren zum einen die Republikaner, die sich an der Bezeichnung des Anti-Extremismus-Gipfels störten. Senator Ted Cruz aus Texas beispielsweise warf Obama in einem Interview mit dem Fernsehsender Fox News am 19. Februar vor, die Worte „radikaler islamischer Terrorismus“ oder „Dschihad“ gingen ihm, dem Präsidenten, nicht über die Lippen. „Ich möchte nicht über die Beschriftung streiten“, so Obama später, der das Wort „Islam“ offensichtlich bewusst nicht in den Veranstaltungstitel („Gipfel des Weißen Hauses gegen gewalttätigen Extremismus“) hatte aufnehmen lassen.
In seiner gut 30 Minuten dauernden Rede zur Konferenzeröffnung hatte der US-Präsident erklärt, die Behauptung, dass der Westen im Krieg mit dem Islam liege, sei eine „dreckige Lüge“. Nicht eine Religion sei für Terrorismus verantwortlich: „Meinungsverschiedenheiten unter den Teppich zu kehren, nährt gewalttätigen Extremismus. Es führt zu einem Umfeld, das Terroristen ausnutzen. Wenn ein friedlicher, demokratischer Wandel nicht möglich ist, spielt das der Propaganda der Terroristen in die Hände, die sagt, dass Gewalt die einzige Antwort ist.“
Obama fordert sowohl muslimische Regierungen als auch alle gemäßigten Muslime auf, der „hässlichen Lüge“ vom Krieg gegen den Islam ohne Wenn und Aber entgegenzutreten. An die nichtmuslimische Welt gewandt riet er, der beste Weg, die Mär der Extremisten von der gezielten Unterdrückung von Muslimen zu entkräften, sei der Beweis, dass Menschen aller Religionen in den USA gleichermaßen willkommen seien. An die Adresse der Terrorbewegung „Islamischer Staat“ (IS) gerichtet, betonte der US-Präsident unter Beifall der Delegierten: „Diese Leute sind keine religiösen Führer – es sind Terroristen. Und wir befinden uns nicht mit dem Islam im Krieg – wir führen Krieg gegen die Leute, die den Islam pervertieren.“
Kritik war vor Beginn des Gipfels auch von einer prominenten Schriftstellerin und Journalistin gekommen. Von Qanta Ahmed, muslimische Ärztin und Autorin des Buches „In the Land of Invisible Women: A Female Doctor’s Journey in the Saudi Kingdom“ (2008).
Die Britin, Tochter pakistanischer Einwanderer, sagte am 17. Februar in einem Interview mit dem Nachrichtensender CNN: „Der Gipfel wird wahrscheinlich sein Thema verfehlen. […] Die Konferenzteilnehmer werden das eigentliche Problem gar nicht behandeln. Es besteht darin, dass wir es mit einer neuen Art der Kriegführung zu tun haben. Der Dschihad ist das eigentliche Motiv der Islamisten. Ihr Ziel dabei: die Errichtung eines Staates, der auf dem Rechtssystem der Scharia basiert – was unseren weltlichen Werten völlig widerspricht. Genau diese unheilvolle Entwicklung hat der IS vor unser aller Augen eingeschlagen. Damit haben wir es zu tun. Und nur darum sollte es bei diesem Gipfel gehen.“
Staatssekretärin Emily Haber, die in Berlin im Bundesministerium des Innern für Fragen der öffentlichen Sicherheit zuständig ist, vermittelt uns einige Inhalte des Washingtoner Anti-Terror-Gipfels. Wie sie berichtete, stand auf der Agenda die Frage des Schutzes junger Menschen vor terroristischen Gruppierungen und Netzwerken mit an oberster Stelle. Dabei sei es weniger um strafrechtliche Instrumente, als vielmehr um gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Maßnahmen mit dem Ziel einer frühzeitigen Erkennung und Verhinderung von Radikalisierungsprozessen sowie Anwerbungen durch terroristische Gruppierungen gegangen.
Haber führte aus: „Wir waren uns in Washington einig, dass die Bekämpfung des Terrorismus nur gemeinsam gelingen kann. Und diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe wird nur unter Einbeziehung verschiedener Akteure zu lösen sein. Wir müssen die Ursachen und Verläufe der Radikalisierung besser verstehen, nur so können wir die jungen Menschen, die uns zu entgleiten drohen, zurück in die Gesellschaft holen.“
Verschiedene Erfahrungsberichte der Tagungsteilnehmer, so die Staatssekretärin weiter, hätten zudem gezeigt, dass die Ursachen und Erscheinungsformen von Radikalisierung stark von dem direkten jeweiligen Umfeld abhängen und sich in der Folge auch von Land zu Land stark unterscheiden können. Haber: „Übereinstimmend wurden Familie und Schule als wichtige Akteure identifiziert, um Radikalisierungstendenzen zu erkennen, zu vermeiden und entgegenzutreten. Der negative Einfluss von sozialer und wirtschaftlicher Ausgrenzung wurde anhand von vielen praktischen Beispielen beim Gipfel ebenso erörtert, wie die gleichsam große Bedeutung von Chancengleichheit, Bildung und ausreichenden Beschäftigungsmöglichkeiten.“
Diskutiert worden sei in Washington außerdem über ausgefeilte Kommunikationsstrategien – insbesondere die effektive Nutzung sozialer Netzwerke – durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ und über Möglichkeiten geeigneter kommunikativer Gegenstrategien. Schließlich seien auf dem „White House Summit on Countering Violent Extremism“ auch die Möglichkeiten und Grenzen der Rehabilitation und Reintegration von radikalisierten Personen in die Gesellschaft thematisiert worden.
Eine persönliche Einladung von Präsident Barack Obama und dessen Außenminister John Kerry zu dem Expertenhearing hatte auch die ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur und die mit ihr verbundene Initiative „HAYAT-Deutschland“ erhalten. Repräsentiert wurde die Gesellschaft mit ihren Initiativen in Washington von der Berliner Extremismusforscherin Claudia Dantschke. Sie kümmert sich seit Jahren um Familien, in denen Angehörige dem gewaltbereiten Islamismus verfallen sind.
Die 2003 von dem Diplom-Kriminalisten Bernd Wagner gegründete Gesellschaft Demokratische Kultur setzt sich bundesweit für die Grundwerte Freiheit und Würde ein. In einer Selbstdarstellung der Vereinigung heißt es: „Unsere Initiativen dienen der Aufklärung und dem Schutz vor Gewalt und Extremismus. Wir setzen uns mit freiheitsfeindlichen und radikalen Weltanschauungsbewegungen auseinander, wie dem Rechtsradikalismus und dem Islamismus.“
„EXIT-Deutschland“ ist eine solche Initiative der ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur, die es sich seit 2000 zum Ziel gesetzt hat, Aussteigern aus der rechtsradikalen Szene Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Die Initiative wird durch die Stern-Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“ unterstützt. Die Arbeit von „EXIT-Deutschland“ genießt national und international eine hohe Anerkennung. Neben der hohen Zahl von begleiteten Ausstiegen – wobei die Zahl von rückfällig gewordenen Menschen sehr gering ist – leistet „EXIT-Deutschland“ als zivilgesellschaftliche Einrichtung in Kooperation mit Wissenschaft und Medien einen zentralen Beitrag zur Aufklärung über rechtsextreme Ideologien und Handlungen und verfolgt damit auch präventive Ansätze in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.
„HAYAT-Deutschland“ („Hayat“: Türkisch und Arabisch für „Leben“) ist eine 2011 von der Gesellschaft gegründete, deutschlandweit arbeitende Beratungsstelle für Personen und Angehörige von Personen, die sich salafistisch radikalisieren oder sich dem militanten Dschihadismus anschließen und gegebenenfalls in Konfliktregionen ausreisen. „HAYAT-Deutschland“ ist auch eine Anlaufstelle für Personen, die mit dem militanten Dschihadismus brechen und gewalttätige Gruppen verlassen wollen.
HAYAT basiert auf den Erfahrungen der ersten Deradikalisierungs- und Ausstiegsinitiative für Neonazis: „EXIT-Deutschland“. Die Beratungsstelle wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert.
Zur internationalen Terrorismus-Konferenz in Washington erklärte jetzt der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder: „Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist eine Aufgabe für die gesamte Weltgemeinschaft. Deshalb war diese Konferenz – die bislang größte ihrer Art – mit einer Grundsatzrede von Präsident Obama ein wichtiges Zeichen. Darauf müssen wir nun aufbauen. Die Teilnehmer dieser Konferenz, darunter auch Vertreter aus Deutschland, waren sich einig, dass die Welt Krieg gegen einen neuen Feind führt, gegen den noch keine umfassende Strategie gefunden ist. Gerade der sogenannte ,Islamische Staat‘ (IS) oder die Boko Haram in Nigeria zeigen, dass wir in Teilen der Welt eine Rückkehr der Barbarei erleben. Die Terroristen kennen in ihrer Brutalität keine Grenzen.“
Der Terrorismus sei ein Grundübel unserer Zeit, warnte Mißfelder. Man dürfe keinesfalls zulassen, dass Gewalt, die sich gegen die gemeinsamen gesellschaftlichen Werte richte, zu einer Selbstbeschränkung gesellschaftlichen Lebens führe. Der CDU-Bundestagsabgeordnete verteidigte vor diesem Hintergrund noch einmal die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen: „Die Verhinderung von Terrorismusfinanzierung, der Abgleich von Fluggastdaten oder die beschlossene Einführung eines Ersatzpersonalausweises sind innenpolitische Maßnahmen, mit denen Deutschland seiner Verantwortung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gerecht wird.“
Ein ernüchterndes Fazit des Anti-Terror-Gipfels in der amerikanischen Hauptstadt zog – wie auch andere europäische Blätter – die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Peter Winkler berichtete aus Washington unter der Schlagzeile „Kein Patentrezept gegen Extremismus“: „Der Gipfel verfolgte das ehrbare Ziel, nützliche Strategien und Handlungsmuster zu identifizieren, die vor allem junge Menschen davon abhalten können, sich terroristischen Theorien zu verschreiben und sich solchen Organisationen anzuschließen. Es wurden viele gut meinende Redebeiträge abgegeben, doch das Problem ist, dass auf die Frage, warum sich gewisse Menschen verführen lassen und andere nicht, bisher noch niemand eine eindeutige oder einfache Antwort fand.“
NZZ-Korrespondent Winkler empfiehlt seinen Lesern einen Aufsatz von Jeremy Shapiro, außenpolitischer Experte der Organisation Brookings Institution. Shapiros Beitrag („Countering Violent Extremism: The quixotic quest for a rational policy on terrorism“) gebe zu bedenken, so Winkler, dass die größte Gefahr für demokratische, freiheitliche Staaten nicht von Terroristen ausgehe, sondern von den „überrissenen Reaktionen“ der betroffenen Staaten. So aufwühlend Terrorakte auch sein könnten, seien sie dennoch nicht in der Lage, solche Staatsgebilde wirklich zu gefährden. Der Erfolg der Terroristen hänge vom Grad der Angst ab, die sie auslösten. Nur diese Angst könne freiheitliche Gesellschaften zu Überreaktionen verleiten. Für die Bekämpfung des Extremismus sei es dagegen hinderlich, dass Politiker immer wieder glaubten, Rezepte präsentieren zu müssen, die ihre Unzulänglichkeit längst bewiesen hätten.
Zu dem Aspekt der Überreaktion staatlicher Akteure hatte Shapiro bereits im Januar dieses Jahres gemeinsam mit Daniel L. Byman von Brookings eine 30 Seiten starke Studie veröffentlicht („Be Afraid. Be A Little Afraid: The Threat of Terrorism from Western Foreign Fighters in Syria and Iraq“).
Aktuellen Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière zufolge haben mittlerweile 650 Dschihadisten Deutschland verlassen, um in Syrien und im Irak für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ zu kämpfen oder um diese in anderer Form zu unterstützen (vor gut neun Monaten waren es laut Verfassungsschutz lediglich rund 320 „Ausreiser“ gewesen). Zudem soll es in Deutschland mehr als tausend als „Gefährder“ eingestufte Islamisten geben. De Maizière nannte diese Zahlen am 5. März in der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner zum Thema „Der Feind im eigenen Land – wer sind die Terror-Islamisten?“
Video-Hinweis: Das YouTube-Video des paneuropäischen Nachrichtensenders euronews befasst sich mit dem dreitägigen internationalen Expertentreffen „Countering Violent Extremism“ in Washington in unmittelbarer Nähe des Weißen Hauses. US-Präsident Barack Obama sprach bei seiner Eröffnungsrede am 18. Februar 2015 „bewusst nicht von islamistischem Terrorismus“. Die Behauptung, der Westen sei im Krieg mit dem Islam, sei „eine dreckige Lüge“.
(Video: Copyright © 2015 euronews)
Zu unserer Bildsequenz „The White House Summit on Countering Violent Extremism“ – der Gipfel fand im Februar 2015 in der amerikanischen Hauptstadt Washington statt:
1. US-Außenminister John Kerry am 19. Februar zu Beginn einer Arbeitsgruppensitzung. Sein Department of State hatte die Federführung bei der Vorbereitung und Durchführung dieses internationalen Expertentreffens.
(Foto: U.S. Department of State)
2. Deutschland wurde vertreten von Emily Haber (Bildmitte), beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern.
(Foto: U.S. Department of State)
3. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, bei seiner Rede vor den Delegierten.
(Foto: U.S. Department of State)
4. Der Sonderbotschafter der Niederlande, Pieter de Klerk (Bildmitte), bei einer Plenumssitzung.
(Foto: U.S. Department of State)
5. US-Präsident Barack Obama am 18. Februar bei seiner Grundsatzrede.
(Foto: U.S. Department of State)
6. Jeremy Shapiro, einer der beiden Autoren der Brookings-Studie zu Reaktionen auf den globalen Terror – „Be afraid. Be a little afraid!“
(Foto: Brookings Institution)
Kleines Beitragsbild: Schlüsselpersonal der US-Administration im Kampf gegen weltweiten Terrorismus – (von links) Justizminister Eric Holder, Außenminister John Kerry und Jeh Johnson, Minister für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten.
(Foto: U.S. Department of State)