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Berlin. Am 3. Dezember kam im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages der Verteidigungsausschuss zu seiner 26. Sitzung zusammen. Tobias Lindner, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, lag an diesem Mittwoch mit seiner Einschätzung ziemlich richtig. Kurz nach 9 Uhr hatte er getwittert: „Mittwoch ist Ausschusstag … los geht‘s mit dem #Verteidigungsausschuss und wohl jeder Menge Überraschungen.“ Ja, es wurde eine überraschungsreiche Sitzung. Auf der Agenda der nicht öffentlichen Tagung der Verteidigungsexperten von CDU/CSU, SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen standen beispielsweise die Dauerbrenner „Ausrüstung und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr“, „Bekleidungsmanagement der Bundeswehr“ und „Standardgewehr G36“. Reizvolle Themen …

Unter der Überschrift „Taskforce stellt der Bundeswehr düstere Prognose“ vermeldete Spiegel online am Spätnachmittag des 3. Dezember wenig Tröstliches über diese Sitzung. Zum Tagesordnungspunkt 8 „Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung zur Verbesserung der Versorgungsreife, des Materials und des Klarstandes der Hauptwaffensysteme“ sollen Staatssekretärin Katrin Suder und die Inspekteure der Teilstreitkräfte „in der Sitzung drei Stunden lang“ erste Ergebnisse zweier ministerieller Taskforces präsentiert haben. Eine rasche Beseitigung der schweren Ausrüstungsmängel bei der Bundeswehr ist wohl vorerst nicht zu erwarten. Spiegel online beruft sich bei den Recherchen „auf Teilnehmer“ der Ausschusssitzung im Saal 2.700.

Demnach habe die Rüstungsstaatssekretärin im Ausschuss erklärt, dass die eklatanten Defizite bei der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte „nicht von heute auf morgen verbessert“ werden könnten. Man brauche mehr Zeit, so wird Suder von Sitzungsteilnehmern gegenüber Spiegel online zitiert.

Ein Bild über den Gesamtzustand der fliegenden Hauptwaffensysteme

Dass sich die Lage bei der Bundeswehr-Ausrüstung wohl nicht so schnell ändern werde, räumten nach Spiegel-Informationen auch die Inspekteure der drei Teilstreitkräfte – Generalleutnant Bruno Kasdorf (Heer), Generalleutnant Karl Müllner (Luftwaffe) und Vizeadmiral Andreas Krause (Marine) – ein. Krause und Müllner leiten jeweils auch eine Taskforce für fliegende Hauptwaffensysteme. Ihre Expertenteams sind von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als eine Stoßrichtung der neuen Agenda „Rüstung“ eingesetzt worden. Mit der Agenda „Rüstung“ zieht die Ministerin erste Konsequenzen aus dem Gutachten „Umfassende Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte“ des Konsortiums um die KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, welches ihr am 6. Oktober übergeben worden war.

Der Inspekteur Luftwaffe leitet die Taskforce „Starrflügler, der Marineinspekteur die Taskforce „Drehflügler“. Beide Arbeitsgruppen haben nach Darstellung des Verteidigungsministeriums „die Aufgabe, ein dezidiertes Lagebild über die gesamte materielle Einsatzlage aller fliegenden Hauptwaffensysteme der Bundeswehr zu gewinnen, Stellgrößen und Lösungsvorschläge zur Verbesserung der materiellen Einsatzbereitschaft zu identifizieren und dafür notwendige Maßnahmen“ umzusetzen.

Materielle Einsatzbereitschaft der Teilstreitkräfte unbefriedigend

Wie Spiegel online weiter berichtete, bereiten offensichtlich die Hubschrauber der Bundeswehr immer noch großes Kopfzerbrechen. Problembehaftet sind und bleiben wohl noch eine Zeit lang die Kampfhubschrauber Tiger und Transporthubschrauber NH90 des Heeres. Die Marine klagt darüber, dass für eine Flugstunde der alten Sea King Mk.41 statistisch gesehen derzeit rund 120 Wartungsstunden aufgebracht werden müssten – für den Laien ein erstaunliches Missverhältnis.

Erst am 24. September hatte ein in einer vertraulichen Sitzung des Verteidigungsausschusses von den Inspekteuren präsentierter zehnseitiger Mängelbericht so hohe Wellen geschlagen, dass eine auszugsweise Veröffentlichung in den Medien danach nicht mehr unterbunden werden konnte. Diesem Bericht über die „Materielle Einsatzbereitschaft der Teilstreitkräfte“ zufolge waren von 109 Eurofighter-Flugzeugen lediglich 42 einsatzbereit, von 89 Tornado-Flugzeugen nur 38. Von 56 Transall-Transportmaschinen galten zum Zeitpunkt der Vorlage des Mängelberichts im Verteidigungsausschuss gerade einmal 24 „Trall“ als flugtauglich.

Ähnlich düster die Bilanz im Hubschrauberbereich. Laut der Aufstellung der Inspekteure vom 24. September verfügt die Bundeswehr über 31 Kampfhubschrauber Tiger – einsatzbereit gemeldet 10. NH90: 33 – einsatzbereit 8. Hubschrauber Sea King: 21 – einsatzbereit 3. Hubschrauber Sea Lynx: 22 – einsatzbereit 4. Hubschrauber CH-53: 83 – einsatzbereit 16.

Auch die Klarstandzahlen der Flotte gaben (und geben wohl noch immer) Anlass zu Besorgnis. Von 5 Korvetten waren gerade einmal 2 einsatzbereit, von 11 Fregatten nur 7 und von 4 Ubooten der Klasse 212A ein einziges Boot. Auch das Heer klagt: Von 406 Schützenpanzern Marder waren 280 einsatzbereit, von 180 gepanzerten Transportfahrzeugen Boxer 70.

Eine baldige Besserung der Lage, so mussten die Inspekteure bei der Sitzung des Verteidigungsausschusses laut Spiegel online am 3. Dezember eingestehen, sei momentan nicht in Sicht.

So blieb es am Mittwoch neben der negativen Bestandsaufnahme der Taskforces wohl bei guten Absichtserklärungen. Teilnehmer der Sitzung berichteten dem Spiegel später, Luftwaffeninspekteur Müllner habe Verbesserungen bei der Personalausbildung, der Ersatzteilbeschaffung und der Wartung versprochen. Bei der Wartung und auch bei der Ausbildung will die Luftwaffenführung nun den „Einsatz von privaten Anbietern“ prüfen lassen.

„Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel“

Ein positives Fazit brachte Wilfried Lorenz mit aus der Sitzung des Verteidigungsausschusses. Der CDU-Politiker, im Ausschuss „Berichterstatter für Materialerhaltung“, erklärte am 3. Dezember gegenüber der Presse zum Tagesordnungspunkt „Mündlicher Zwischenbericht der Bundesregierung zur Verbesserung der Versorgungsreife, des Materials und des Klarstandes der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr“: „Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel. Die Verbesserung der Materiallage der Bundeswehr ist eine Daueraufgabe, die Steuerung und einen regelmäßigen Kontrollmechanismus erfordert.“

Die ersten Schritte zur Analyse von Schwächen bei Ausrüstung und Ersatzteilen sowie zur Erarbeitung von Lösungsansätzen seien getan, so der Verteidigungsexperte der Union weiter. Verfahren und Instrumente zur Überprüfung der Materialerhaltungserfordernisse und des Beschaffungswesens seien nun im Verteidigungsministerium etabliert. Lorenz wörtlich: „Um es ganz klar zu sagen: Der Bedarf ist ermittelt, die benötigten modernen Hauptwaffensysteme sind in der Anschaffung. Neue Formen der Zusammenarbeit mit der wehrtechnischen Industrie und eines Vertragsmanagements, das auch die Versorgung mit Ersatzteilen sicherstellt, werden geprüft.“

Mit einem „Notfallplan“ zur LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft?

Kehren wir zum Schluss kurz zurück zu Tobias Lindner, der für Bündnis 90/Die Grünen an der Mittwochssitzung des Gremiums „Verteidigung“ teilgenommen hat. Mit seiner am Morgen getwitterten Prognose „… wohl jede Menge Überraschungen“ sollte der Abgeordnete recht behalten.

Nach Ausrüstung, Materiallage und Einsatzbereitschaft der Truppe gab es an diesem Tag in Berlin noch zwei weitere schlagzeilenträchtige Punkte, die die Bundeswehr sicherlich noch eine ganze Weile begleiten werden.

Wie die Boulevardzeitung B.Z. (Berliner Zeitung) bereits am 21. Oktober berichtet hatte, soll das 2002 gegründete Beteiligungsunternehmen LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft (LHBw) in wirtschaftliche Turbulenzen geraten sein. LHBw, verantwortlich für das Management der Bekleidungswirtschaft der Streitkräfte, soll über die Tochtergesellschaft LH Dienstbekleidungs GmbH (LHD) rund 57 Millionen Euro Schulden „angehäuft“ haben. So hatte es jedenfalls B.Z.-Chefreporter Lars Petersen in seinem Beitrag formuliert. Nach Informationen des Blattes herrsche nun „hinter den Kulissen“ des Ministeriums „die Sorge vor Lieferengpässen bei Kleidung, was die Einsatzbereitschaft beeinträchtige“.

Dass diese „neue Baustelle“ der Bundeswehrführung nicht über Nacht aufgemacht worden ist, zeigt schon ein Blick in die Tagesordnung zur 26. Sitzung des Verteidigungsausschusses. Unter Tagesordnungspunkt 9 heißt es: „Beratung des Berichts des Bundesministeriums der Verteidigung zum aktuellen Sachstand des Bekleidungsmanagements der Bundeswehr“. Nach Informationen von Spiegel online soll Staatssekretärin Suder den Ausschussmitgliedern am Mittwoch nun mitgeteilt haben, dass sie aktuell mit der Unternehmensleitung der LHBw im Gespräch sei und außerdem bereits einen „Notfallplan“ vorbereite. Die Bundeswehr ist mit 25,1 Prozent an der Gesellschaft beteiligt.

Wehrbeauftragter Königshaus spricht von „Beeinflussung“ und „Druck“

Zu guter Letzt zum Tagesordnungspunkt 11 des Verteidigungsausschusses, der am 1. Dezember noch nachträglich auf die Agenda gesetzt worden war: „Aktueller Sachstand Gewehr G36“. Führende Medien berichteten nach der Sitzung übereinstimmend, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages soll dem Verteidigungsministerium die Beeinflussung eines Prüfberichts zum Bundeswehr-Standardgewehr G36 vorgeworfen haben.

Die Süddeutsche Zeitung beispielsweise will erfahren haben, dass Hellmut Königshaus in der Ausschusssitzung beklagt habe, eine Abteilung des Verteidigungsministeriums habe „Druck auf Prüfer des G36-Gewehrs ausgeübt, die einen Bericht zur Treffsicherheit verfassten“. Der Wehrbeauftragte soll nach Informationen der Süddeutschen in der Sitzung auch der Darstellung eines Ministeriumsvertreters widersprochen haben, es habe sich lediglich um den Versuch gehandelt, den Bericht sprachlich zu verbessern.

Markus Grübel, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, kündigte übrigens am 3. Dezember „im Nachgang zur heutigen Sitzung des Verteidigungsausschusses“ in einem Schreiben an den Ausschussvorsitzenden, Hans-Peter Bartels, Aufklärung an. Ein schriftlicher Bericht des Verteidigungsministeriums zur Entstehung des Abschlussberichts (der Wehrtechnischen Dienststelle 91 vom 9. Juli 2014) zum Trefferverhalten des Gewehrs G36 soll folgen. Sitzungen des Verteidigungsausschusses sind – besonders in diesen Tagen – wohl immer für „jede Menge Überraschungen“ gut …


Zu unseren vier Aufnahmen:
1. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages Hans-Peter Bartels und der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner.
(Foto: Achim Melde/Lichtblick/Deutscher Bundestag)

2. Ein NH90 der Bundeswehr im September 2013 im nordafghanischen Mazar-e Sharif.
(Foto: Maik Schilaske/Bundeswehr)

3. Ein Hubschrauber Sea King Mk.41 unserer Marine im Juni 2006 über See.
(Foto: Marinefliegergeschwader 5/Bundeswehr)

4. Der CDU-Abgeordnete und Verteidigungsexperte Wilfried Lorenz.
(Foto: Büro MdB Lorenz)


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