München/Versailles (Frankreich)/Düsseldorf. Die Pressemitteilung aus dem Hause Krauss-Maffei Wegmann ist eigentlich noch frisch und doch schon wieder von „Insiderwissen“ überrundet worden. Am 1. Juli hatte der deutsche Panzerbauer mit dem Kürzel „KMW“ die geplante Fusion mit dem französischen Rüstungsunternehmen Nexter Systems gemeldet. Durch den Zusammenschluss der beiden „führenden europäischen Hersteller militärischer Landsysteme“ – so die unternehmerische Selbstwahrnehmung – unter dem Dach einer gemeinsamen Holding würde „ein deutsch-französischer Wehrtechnikkonzern mit annähernd zwei Milliarden Euro Jahresumsatz, einem Auftragsbestand von rund 6,5 Milliarden Euro und mehr als 6000 Mitarbeitern“ entstehen.
Eine entsprechende Grundsatzerklärung war von den Eigentümern der Unternehmen an diesem Dienstag in Paris unterzeichnet worden. Die geplante Fusion der beiden Schwergewichte des europäischen Rüstungssektors könnte ein Joint Venture mit Namen „Kant“ hervorbringen. So berichtete unmittelbar nach der Unterzeichnung Stefan Simons für den Spiegel aus der französischen Hauptstadt. In Paris werde die bevorstehende Ehe zwischen den beiden Firmen als „Bündnis gleichwertiger Partner“ begrüßt, so der Korrespondent.
Jetzt jedoch gibt es Störfeuer. Nach einem Bericht der Tageszeitung Handelsblatt vom 10. Juli scheint es so, als ob KMW-Konkurrent Rheinmetall dem geplanten Zusammenschluss zuvorkommen möchte. Wie das Handelsblatt „aus Branchenkreisen“ erfahren haben will, ist Rheinmetall nach wie vor an einer Übernahme des Mitbewerbers Krauss-Maffei Wegmann interessiert.
Dass Bewegung in die zersplitterte, ansonsten aber recht statisch scheinende Wehrtechniklandschaft Europas kommt, hat vor allem mit den Sparzwängen der nationalen Regierungen zu tun. Knappe Verteidigungsbudgets, Streckung oder Kürzungen bei Beschaffungsvorhaben, wachsender internationaler Wettbewerb und – wie besonders im Falle Deutschlands – staatliche Rüstungsexportbeschränkungen zwingen Rüstungsunternehmen dazu, neue Wege zu finden und zu beschreiten. KMW, Nexter und ihre Eigentümer deuten diese rüstungspolitisch schwierigen Rahmenbedingungen in ihrer Pressemitteilung an. Die Pariser Grundsatzerklärung sei ein entscheidender „Schritt für die Konsolidierung der wehrtechnischen Industrie Europas. Ihre gemeinsame strategische Neuaufstellung ermöglicht den Erhalt von Arbeitsplätzen und Kompetenzen im Kern der Europäischen Union. Die Produktportfolios beider Unternehmen und ihre regionalen Präsenzen auf dem Weltmarkt ergänzen sich nahezu überschneidungsfrei“, heißt es in der Verlautbarung.
Durch den Zusammenschluß von Nexter und KMW entstehe eine Einheit, die „mit Gewicht und Innovationskraft im internationalen Wettbewerb bestehen und wachsen“ könne, so die Erklärung weiter. Darüber hinaus eröffne die geplante Fusion der beiden Rüstungskonzerne „ihren europäischen und NATO-Kunden die Chance zu mehr Standardisierung und Interoperabilität ihrer Rüstungsgüter auf verlässlicher industrieller Basis“.
Als Zieltermin für den Zusammenschluss nannten KMW und Nexter „das Frühjahr 2015“. In der Zwischenzeit wollen sich beide künftigen Partner einem Due-Diligence-Verfahren unterziehen, bei dem die wirtschaftlichen, rechtlichen, steuerlichen und finanziellen Verhältnisse der Unternehmen von internen Fachleuten der Gegenseite und externen Beratern geprüft und analysiert werden. Vor dem Vollzug der Fusion unter einem gemeinsamen Holding-Dach müssen alle erforderlichen Genehmigungen vorliegen.
Nexter S. A. ist im Alleinbesitz der französischen Staatsholding GIAT Industries S. A., die Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG befindet sich im Alleinbesitz der Wegmann GmbH & Co. in Kassel. Zur beabsichtigten Zusammenführung der Unternehmen wollen die jeweiligen Alleingesellschafter ihre Anteile in eine neue, gemeinsame Holding einbringen. In der Pressemitteilung vom 1. Juli wird dazu ausgeführt: „Sie (Anm.: die Alleingesellschafter) erhalten jeweils 50 Prozent der Aktien dieser Holding, die Alleingesellschafterin von KMW und Nexter werden soll. Die Führungsstruktur der Holding-Gesellschaft wird die Balance zwischen den beiden Gesellschaftern wahren, die mit langfristiger industrieller Perspektive die Ankergesellschafter der neuen gemeinsamen Gruppe sein werden.“
Der französische Rüstungsbetrieb Nexter Systems ist im Jahr 2006 aus der staatlichen GIAT Industries hervorgegangen. Schwerpunkte der Geschäftstätigkeit sind vor allem gepanzerte Rad- und Kettenfahrzeuge, bodengestützte Militärsysteme sowie Handfeuerwaffen und Munition. Hauptkunde sind die französischen Streitkräfte. Laut Jahresbericht 2013 beschäftigt das Unternehmen knapp 2800 Mitarbeiter.
Krauss-Maffei Wegmann gilt in Europa als Branchenprimus für hochgeschützte Rad- und Kettenfahrzeuge. Das Unternehmen beschäftigt in Deutschland und an Standorten in Brasilien, Griechenland, Großbritannien, Mexiko, den Niederlanden, Singapur, der Türkei und den USA insgesamt rund 3200 Fachkräfte. Bekannte Produkte des KMW-Portfolios sind beispielsweise die luftverladbaren und hochgeschützten ESK Mungo, ATF Dingo oder GTK Boxer. Außerdem Aufklärungs-, Flugabwehr- und Artilleriesysteme wie Fennek-Panzerspähwagen oder Panzerhaubitze 2000. Nicht zu vergessen der Kampfpanzer Leopard 2 und der Schützenpanzer Puma.
Manche wehrtechnischen Produkte fertigen Rheinmetall Defence und Krauss-Maffei Wegmann gemeinsam – so etwa den Leopard oder den Boxer.
Der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach Vorstöße unternommen, sich Krauss-Maffei Wegmann als starken Partner anzubieten. Unüberwindbares Hindernis war offensichtlich bislang die Führungsfrage. Wie das Handelsblatt schreibt, gelten „Aufsichtsratschef Manfred Bode und KMW-Geschäftsführer Frank Haun (als) erklärte Gegner der Rheinmetall-Lösung“. Letztmalig scheiterte ein Zusammenschluss Medienberichte zufolge am Widerstand der Eigentümerfamilie der traditionsreichen Firma, deren Geschichte eng mit den Standorten Kassel und München verbunden ist.
Für einen Deal zwischen Rheinmetall und KMW sind nach den Handelsblatt-Quellen zwei Szenarien vorstellbar: Zum einen könnten die Eigentümer von Krauss-Maffei Wegmann ihre Anteile einbringen und damit Aktien von Rheinmetall erhalten. Mit einer Beteiligung von 25 bis 30 Prozent wären sie dann wohl absolut größter Anteilseigner. Zum anderen könnte KMW mit der Rheinmetall-Division „Combat Systems“ fusionieren. In den hier zugeordneten 15 Tochtergesellschaften werden folgende Rüstungsprodukte erzeugt: gepanzerte Kettenfahrzeuge, ABC-Schutzsysteme, Turmsysteme und Waffenstationen, Groß- und Mittelkaliberwaffen sowie Munition, Schutzsysteme, Treibladung und Pulver. Mit einem Jahresumsatz von 1,2 Milliarden Euro ist die Sparte „Combat Systems“ zwar größer als Krauss-Maffei Wegmann, dennoch könnten die KMW-Eigner eine gleichberechtigte Beteiligung erhalten, zitiert das Handelsblatt seine Quellen.
Und warum sollte der Münchner Panzerbauer seine junge Liaison mit Nexter bald schon wieder beenden? In vertraulichen Hintergrundgesprächen mit dem Handelsblatt warnten Brancheninsider davor, dass die französische Regierung bei der geplanten Fusion auf „weitreichende Sonderrechte“ bestehen könnte. Mittelfristig werde KMW „damit in den Händen Frankreichs landen“, so ein „Branchenvertreter“ gegenüber dem Handelsblatt. Ein anderer Gesprächspartner prophezeite, KMW würde „zu einem französischen Zulieferer degradiert“.
Die Bundesregierung will nach Informationen der Bayerischen Staatszeitung die geplante deutsch-französische Fusion von Krauss-Maffei Wegmann und Nexter Systems prüfen. Wenn der endgültige Fusionsvertrag unterschrieben worden sei, müsse dieser der Regierung nach den Regeln des Außenwirtschaftsgesetzes gemeldet werden, sagte am 2. Juli eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums in Berlin.
Der CDU-Wirtschaftsrat äußerte wegen der beabsichtigten Fusion große Bedenken. Kurt Lauk, Präsident des Rates, sagte am 2. Juli der Presse in Berlin: „Ich vermute, dass dieser Zusammenschluss, wenn er denn passiert, nur der erste Schritt sein wird von einer ganzen Reihe von anderen Schritten in der gleichen Industrie.“ Es drohten eine Abwanderung deutscher Rüstungsunternehmen ins Ausland und der Verlust von Arbeitsplätzen. Die Verantwortung dafür habe dann vor allem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu tragen, klagte Lauk. Gabriel hatte angekündigt, deutsche Rüstungsexporte weiter einschränken zu wollen.
Christine Lambrecht, erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, äußerte sich zum geplanten Joint Venture der Panzerproduzenten gegenüber der Nachtrichtenagentur Reuters. Sie brachte einen zusätzlichen interessanten Aspekt ins Spiel. Es müsse bei Entscheidungen dieser Art stets mitberücksichtigt werden, „inwieweit durch derlei Deals möglicherweise deutsche Restriktionen umgangen werden“ sollten, warnte Lambrecht.
Erst im April dieses Jahres war ein lukratives Waffengeschäft mit Saudi-Arabien von der Bundesregierung gestoppt worden. Nach Informationen der Bild am Sonntag hatte sich das saudi-arabische Verteidigungsministerium Anfang März mit der spanischen Regierung beziehungsweise mit der spanischen Rüstungsfirma Santa Barbara Sistemas bereits auf die Lieferung von zunächst 150 Panzern des Typs Leopard 2A7+ geeinigt (der Leopard 2A7+ wurde nach Auskunft des Hersteller KMW „für die neuen Aufgaben der Bundeswehr entwickelt und qualifiziert“). Insgesamt habe das autoritär regierte Königsreich bis zu 800 Leopard-Panzer ordern wollen, für die im Staatshaushalt knapp 18 Milliarden Euro vorgesehen gewesen sein sollen. Saudi-Arabien braucht für den Kauf allerdings die Zustimmung Deutschlands, weil es sich bei dem Waffensystem um deutsche Rüstungstechnik mit entscheidenden Komponenten heimischer Unternehmen handelt. Das Land bemüht sich seit Jahren schon um den Leopard 2 der deutschen Hersteller Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall.
Auch vor diesem Hintergrund ist eine Bewertung nachvollziehbar, die der Branchenexperte Heinrich Großbongardt jetzt gegenüber dem Magazin WirtschaftsWoche geäußert hat. Krauss-Maffei Wegmanns geplante Fusion mit Nexter Systems beinhalte die Hoffnung auf eine „Verbindung aus deutschem Hightech und dank des französischen Staats lockerer Ausfuhrbedingungen“. Dreh- und Angelpunkt des Deals sei deshalb die Möglichkeit für KMW, „künftig vermehrt ins Ausland verkaufen“ zu können.
Zu unserer Bildauswahl:
1. Das Radfahrzeug Boxer ist eines der Gemeinschaftsprodukte von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall. Zur Realisierung dieses Rüstungsprojekts gründeten KMW, die Rheinmetall Radfahrzeuge GmbH und Rheinmetall Nederland B.V. im Jahr 1999 die ARTEC GmbH in München. Dieses Joint Venture war und ist als Hauptauftragsnehmer zuständig für das Boxer-Entwicklungsprogramm für die Bundeswehr und die niederländische Armee. Des weiteren koordiniert ARTEC die Serienfertigung des Militärfahrzeugs.
(Foto: Rheinmetall Defence)
2. Außenansicht Krauss-Maffei Wegmann in München.
(Foto: Artur Lutz für panoramio)
3. Die Rheinmetall-Hauptverwaltung in Düsseldorf am Abend.
(Foto: Rheinmetall AG)