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Berlin. Die SPD will etliche Bereiche der Neuausrichtung der Bundeswehr kritisch hinterfragen und macht dabei – sehr zum Unmut der Koalitionspartner von CDU und CSU – auch nicht vor Entscheidungen zur Ausrüstung der Soldaten und zur Stationierung Halt. In einem am 11. April in Berlin vorgestellten Positionspapier erklärt die Arbeitsgruppe „Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ der SPD-Bundestagsfraktion, man wolle die voraussichtlich bis 2017 andauernde Bundeswehrreform „da nachjustieren, wo es notwendig ist“. Eine komplett neue Reform sei allerdings nicht notwendig. Die vorgeschlagenen Maßnahmen seien mit Augenmaß und unter Berücksichtigung der fiskalischen Rahmenbedingungen gewählt. Im ersten Teil unseres Berichts über die SPD-Vorschläge ging es bereits um die Attraktivität der Streitkräfte, den Verteidigungsetat sowie Hubschrauberkapazitäten und ein neues Luftverteidigungssystem. Im zweiten Teil befassen wir uns nun mit den Punkten „Ausrüstung und Beschaffung“ sowie „Standortentscheidungen“.

Den schwergewichtigen Themenbereich der Ausrüstung und Beschaffung gehen die sicherheits- und verteidigungspolitischen Experten der SPD-Bundestagsfraktion aus europäischer Perspektive an. Sie setzen angesichts der limitierten nationalen Haushaltsmittel auf eine „verstärkte europäische oder euro-atlantische Rüstungskooperation“, ja auf eine gemeinsame Ausrüstungs- und Beschaffungsplanung in und für Europa. Nach Meinung der Sozialdemokraten müssen zudem künftig die einzelnen EU-Nationen konkrete gemeinsame Ausrüstungs- und Beschaffungsvorhaben der Europäischen Verteidigungsagentur (European Defence Agency, EDA) zur Planung übertragen. Die EDA müsse das Forschungs- und Entwicklungszentrum für militärische Großvorhaben werden. Die Entwicklung europäischer unbemannter Luftfahrzeuge könnte nach SPD-Ansicht der Lackmustest für die neue Art multinationaler Kooperation werden.

Zusammenfassend lautet die Forderung aus dem Positionspapier: „Die Beschaffungs- und Ausrüstungsplanung muss einen multinational abgestimmten, fähigkeitsorientierten und Streitkraft übergreifenden Gesamtansatz verfolgen. Einsparungen müssen dort möglich sein, wo andere Bündnispartner besser aufgestellt sind und diese Fähigkeitslücke effektiv und durchhaltefähig schließen können.“

Politische Verantwortung gegenüber der wehrtechnischen Industrie

Eine ganz besondere Bedeutung misst die SPD-Arbeitsgruppe in ihrem Eckpunktepapier der wehrtechnischen Industrie in Deutschland bei. Für sie habe die derzeitige Neuausrichtung der Bundeswehr gravierende Folgen. Beschaffungsvorhaben der Truppe allein könnten die heimische Wehrtechnikbranche nicht mehr auslasten. Die Sozialdemokraten fordern deshalb – nach ihrem klaren Bekenntnis „zur politischen Verantwortung gegenüber der wehrtechnischen Industrie und dem damit verbundenen Technologiestandort Deutschland“: „Es bedarf einer Neudefinition der industriellen Kernfähigkeiten, die für die Einsatzbereitschaft und -fähigkeit europäischer Streitkräfte zwingend notwendig sind. Diese müssen sich aus den militärischen Notwendigkeiten ableiten.“

Gemeinsam zukunftsfähige und belastbare Lösungen finden

Starken medialen Wirbel entfachten die Sicherheits- und Verteidigungspolitiker der SPD mit ihren lauten Überlegungen zum Themenkomplex „Standorte und Stationierungsentscheidungen“. Man habe doch in einigen Fällen berechtigte Zweifel, dass sich das vom damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière vorgelegte Stationierungskonzept 2011 in allen Fällen an den Prinzipien Funktionalität, Kosten, Attraktivität und Präsenz in der Fläche orientiert habe, so die Arbeitsgruppe.

Nach den Vorstellungen der SPD sollen jetzt die Standortentscheidungen, die noch nicht eingenommen worden sind, auf „Effizienz und tatsächliche Notwendigkeit“ hin überprüft werden. Das Positionspapier kündigt an: „Sollte der Investitionsbedarf deutlich über den Betriebskosten der zu schließenden Dienststellen liegen, müssen einzelne Standortentscheidungen rückgängig gemacht werden.“

Da die Stationierungsentscheidung vom Oktober 2011 bereits in Teilen von der Realität überholt worden sei, gelte es hier im Sinne einer bestmöglichen Auftragserfüllung und der betroffenen Soldaten gemeinsam mit den Standortgemeinden zweckmäßige und praktikable Lösungen zu finden, die zukunftsfähig und belastbar sind. Es sei nicht das Bestreben der SPD, versichern die Arbeitsgruppenmitglieder, bereits vollzogene Entscheidungen rückgängig zu machen. Man wolle keinesfalls gegen den Grundsatz der Planungssicherheit für die Bundeswehrangehörigen und deren Familien verstoßen. Aber, so die Sozialdemokraten: „Bei einigen Standortentscheidungen sind wir jedoch nicht der Auffassung, dass alle selbst auferlegten Kriterien des Verteidigungsministeriums auch wirklich beachtet und sorgfältig gegeneinander abgewogen wurden.“

Unbedingt Fehlentwicklungen und Motivationseinbußen vermeiden

Das Kapitel „Nachsteuerung der Stationierungsentscheidungen“, das den zweiten Teil des Eckpunktepapiers bildet, enthält schließlich eine knappe Liste mit diskussionswürdigen Standorten. Diese (aus SPD-Sicht) ausgewählten Fälle „für einen erneuten Überprüfungsbedarf“ wolle man nun mit dem Koalitionspartner erörtern, um „Fehlentwicklungen für die Truppe und Motivationseinbußen für die betroffenen Soldaten zu vermeiden“.

Die Liste der SPD enthält die Standorte Altenstadt (Verlegung der Springerausbildung aus der Luftlande- und Lufttransportschule nach Oldenburg), Hannover (Verlegung des Divisionsstabes der 1. Panzerdivision nach Oldenburg), Torgelow (Verlegung des Stabes der Panzergrenadierbrigade 41 nach Neubrandenburg), Amberg (Verlegung der Panzerbrigade 12 nach Cham) sowie Kusel (Verlegung des Artillerielehrbataillons 345 nach Idar-Oberstein mit mindestens zweijähriger Zwischenstationierung in der Idar-Obersteiner Klotzbergkaserne).

Auch erscheint nach Ansicht der SPD vor dem Hintergrund der Bewertungskriterien des Verteidigungsministeriums zur Stationierung „eine erneute und umfassende Betrachtung der ,Donau-Schiene‘ von Donaueschingen bis Ulm notwendig“. Das Eckpunktepapier führt hier aus: „Es leuchtet unter anderem nicht ein, dass Meßstetten mit idealen Voraussetzungen an Übungs- und Ausbildungsmöglichkeiten geschlossen werden soll, während im nahe gelegenen Donaueschingen teuer investiert werden muss, um eine Kaserne auf den nötigen Stand zu bringen … Weil sich wesentliche Rahmendaten zwischenzeitlich geändert haben – wie etwa der Abzug der französischen Streitkräfte aus Donaueschingen – empfehlen wir eine kritische, ganzheitliche und ergebnisoffene Betrachtung, um die bestmögliche Auftragserfüllung mit vertretbarem Investitionsaufwand sicherstellen zu können.“

Stellen die Sozialdemokraten das Gesamtkonzept infrage?

Unionspolitiker reagierten auf das Angebot der SPD, die bis voraussichtlich 2017 dauernde Neuausrichtung der Bundeswehr „da nachzujustieren, wo es notwendig ist“, mit Kopfschütteln.

Ingo Gädechens beispielsweise, Obmann der CDU/CSU im Verteidigungsausschuss, versicherte dem Berliner Tagesspiegel, eine „Reform der Reform“ werde es nicht geben. Die Soldaten und Soldatinnen hätten kein Verständnis für eine Diskussion, die mitten im laufenden Verfahren alles infrage stellt. Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, äußerte sich in einer Pressemitteilung: „Die jetzt bekannt gewordenen Vorstellungen der SPD gehen weit über ein Nachjustieren im Einzelfall hinaus und stellen das Gesamtkonzept infrage … Statt an der Neuausrichtung insgesamt zu rütteln und Verunsicherung zu säen, sollten die Sozialdemokraten auf den Boden des Koalitionsvertrages zurückkehren, die Evaluierung abwarten und dann mit der Union gemeinsam im Einzelfall verbesserungswürdige Punkte der Reform angehen.“ Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Henning Otte, schlug sogar heftig Alarm: „Die SPD schwächt mit ihren Forderungen die Bundeswehr, die Sicherheit Deutschlands und des Bündnisses auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten. Das ist mit der CDU/CSU-Fraktion nicht zu machen.“

Zu Wort meldete sich unmittelbar nach Veröffentlichung des SPD-Papiers auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger, Sprecherin für Sicherheitspolitik und Abrüstung, erklärte: „Eine schlecht gemachte Reform wird nicht dadurch besser, dass ein Koalitionspartner sie mit undurchdachten Ideen weiter chaotisiert. Schon jetzt sind viele Soldatinnen und Soldaten unzufrieden, daher sollte man nicht noch mehr Verunsicherung schaffen. Gleichzeitig muss es Nachbesserungen bei der Bundeswehrreform geben, zum Beispiel bei der Attraktivität. Dafür braucht es jedoch abgestimmte Pläne und keine Alleingänge der SPD.“

Bundeswehr auch nach der Reform weiter reformbedürftig

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, verteidigt das Positionspapier seiner Arbeitsgruppe gegen den Vorwurf, es trage möglicherweise erneut Unruhe in die Truppe und wecke neue Begehrlichkeiten. Er sagte dem Bonner General-Anzeiger: „Das ist ein Argument des Koalitionspartners, der mitunter meint, er müsse noch die alte Bundesregierung in Schutz nehmen. Wir müssen aber gemeinsam die neue Bundesregierung zum Erfolg führen. An der Spitze des Ressorts steht nun eine Ministerin, die zumindest mit unbefangenem Blick auf die Dinge schaut und schon vieles an Veränderungen angestoßen hat, die mit dem Vorgänger nicht machbar gewesen wären.“

Der Journalist Christoph Hickmann stellte in seinem am 12. April in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Kommentar zur Debatte um die Bundeswehrreform die Frage „Dürfen die Sozialdemokraten das?“ Dürfen die Sozialdemokraten – so Hickmann – in einem Klima der Ungewissheit und der Verunsicherung jetzt Vorschläge zum „Nachsteuerungsbedarf“ der Reform präsentieren, also getroffene Entscheidungen zur Disposition stellen und damit beim einen und anderen Betroffenen womöglich endgültig Verwirrung stiften? Der Korrespondent der Süddeutschen liefert die Antwort selbst: „Ja, das dürfen die! Das bedeutet nicht, dass jede Forderung der SPD richtig wäre … Aber eine Reform, auch eine derart umfassende, darf nie unantastbar sein. Die Bundeswehr wird nach dieser Reform weiter reformbedürftig sein … Mehr noch: Ihre Zukunft muss ein Zustand permanenter Reform sein.“

Hinweis: Die „Sozialdemokratischen Vorstellungen zum Nachsteuerungsbedarf der Bundeswehrreform“, die am 11. April 2014 unter dem Begriff „Positionspapier“ der Öffentlichkeit vorgestellt worden sind, bestehen aus zwei Teilen und umfassen insgesamt 15 Seiten (Seiten 1 bis 11 plus vierseitiger Teil „Nachsteuerung der Stationierungsentscheidungen“). Wir bieten Ihnen die beiden Dokumente als Ganzes in einem PDF in unserer BIBLIOTHEK (Bereich „Schwarz auf weiß“) zum Download an; wir sind jedoch für die Inhalte dieses SPD-Eckpunktepapiers nicht verantwortlich.



Zu unserer Bildauswahl:
1. Die Unzufriedenheit in der Truppe über die Bundeswehrreform ist groß – wecken die Sozialdemokraten mit ihrem Positionspapier jetzt nicht neue Begehrlichkeiten? Die Aufnahme entstand am 25. Juli 2013 in Burg bei einem Appell für Hochwasserhelfer.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

2. Nach den Vorstellungen der SPD sollen in Zukunft EU-Länder konkrete gemeinsame Ausrüstungs- und Beschaffungsvorhaben der Europäischen Verteidigungsagentur EDA zur Planung übertragen. Das Bild zeigt die Eröffnung der EDA-Jahreskonferenz 2014.
(Foto: European Defence Agency)

3. Die Verlegung der Springerausbildung aus der Luftlande- und Lufttransportschule Altenstadt nach Oldenburg ist einer von mehreren Kritikpunkten auf der SPD-Liste zur Nachsteuerung der Stationierungsentscheidungen. Die Momentaufnahme „Fallschirmjäger beim Sprung“ wurde im Juli 2009 beim Flugtag in Roth gemacht.
(Foto: Björn Trotzki/Bundeswehr)


Kommentare

  1. Timo Keller | 24. April 2014 um 11:19 Uhr

    Es ist der Wahnsinn: Da hat die Bundeswehr ein millionenteures Medienhaus in Sankt Augustin bei Bonn und jetzt soll für viel Geld in Berlin etwas neues eingerichtet werden. Die Medienzentrale der Bundeswehr ist erst 25 Jahre alt. Ein Gebäude, konzipiert wie ein kleiner TV-Sender und der Bund sieht keine Verwendung mehr für Material und Fachpersonal? Wer bezahlt die sinnfreie „Entkernung“ dieses Gebäudes? Als Bürogebäude ist diese abhörsichere Spezialimmobilie ungeeignet. Statt über Sonderabgaben für Autofahrer zu diskutieren, sollte dieser Staat endlich aufhören Steuern zu missbrauchen!

  2. Name * | 2. Mai 2014 um 19:48 Uhr

    Ein weiterer Wahnsinn: Die Schließung des modernsten Heeresflugplatzes der Bundeswehr im mittelfränkischen Roth. Die letzte neu gebaute Instandsetzungshalle wurde erst kurz vor der Entscheidung fertiggestellt! Hier stehen jetzt auch viele neue Gebäude und Hallen leer und werden wahrscheinlich nie mehr gebraucht!

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