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Bonn. Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg, vor 25 Jahren fiel die Mauer – 2014 ist ein ganz besonderes Jahr mit historisch denkwürdigen Momenten. Anlass für den Sender phoenix, sich in der Vorwoche des Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen mit dem Themenkreis „Krieg & Frieden“ zu befassen. Dabei werden im Programmzeitraum 25. August (Montag) bis 31. August (Sonntag) vergangene und aktuelle Waffengänge aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet – in einem Werkstattgespräch, in der phoenix-Runde und mit preisgekrönten Dokumentationen.

Am 28. August (Donnerstag) befasst sich phoenix, der Ereignis- und Dokumentationskanal der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, im Rahmen seiner Themenwoche „Krieg & Frieden“ mit der Schuld von Tätern und dem Leid von Opfern.

Das Abendprogramm beginnt um 20.15 Uhr mit dem Film „Starfighter – mit Hightech in den Tod“ von Kai Christiansen (RBB/2011). Sein cineastische Arbeit ist ein wahrer Politthriller aus den Anfängen der Bonner Republik und zugleich ein Melodram über die verzweifelten Befürworter eines Kampfflugzeuges, dessen Name untrennbar mit einer schlimmen Unfallserie verbunden bleiben wird.

Der Starfighter galt als der modernste Jet seiner Zeit. Doch bekannt wurde er vor allem als „Witwenmacher“ oder „fliegender Sarg“. Jede dritte der zum Aufbau der westdeutschen Luftwaffe angeschafften Maschinen stürzte ab. Über 100 Piloten kamen dabei ums Leben.

Korruption, Ränkespiele, Desinformation und militärische Geheimnisse

Filmemacher Christiansen schildert die Hintergründe des größten und teuersten Rüstungsprojekts in der Geschichte der Bundesrepublik und ermöglicht Einblicke in ein Dickicht aus militärischen Geheimnissen, parteipolitischen Ränkespielen, aus Korruption und gezielten Fehlinformationen. Im Mittelpunkt stehen der verzweifelte Kampf der Pilotenwitwen um Klärung der Unfallursache und die Hoffnung auf ein Ende der Absturzserie.

Der Dokumentarfilm zeigt aber auch die Piloten, die – ungeachtet der Todesfälle – jeden Tag weiter mit fast schon „glühender Begeisterung“ in die Jets stiegen. Die verantwortlichen Politiker und Militärs hielten stur am Starfighter fest und verhinderten eine umfassende Aufklärung. In San Francisco klagten die deutschen Witwen der abgestürzten Soldaten am Ende gegen den Flugzeughersteller Lockheed. Als klar wurde, dass die Bundesregierung keinen Einblick in ihre Akten gewähren würde, schloss Staranwalt Melvin Belli einen Vergleich. Insgesamt musste Lockheed den Witwen sechs Millionen Mark bezahlen – so viel, wie ein Starfighter damals kostete.

Der lange Kampf gegen die Ignoranz in Politik und Gesellschaft

Robert Sedlatzek-Müller war gerne Elitesoldat und Hundeführer. Als Fallschirmjäger war der Stabsunteroffizier erst im Kosovo stationiert, später in Afghanistan. Am 2. März 2002 explodiert dort zwei Meter neben ihm eine Rakete. Fünf Soldaten werden bei dem Unfall getötet, darunter zwei seiner Kameraden. Er selbst überlebt wie durch ein Wunder. Die äußeren Wunden verheilen, aber für den Bundeswehrsoldaten ist danach nichts mehr, wie zuvor. Der Afghanistankrieg geht nach seiner Rückkehr in Deutschland weiter: im Kopf.

Anfänglich leidet der Heimkehrer unter Schlafstörungen und Albträumen, minimale Gerüche oder kleinste Geräusche reichen aus, und er wähnt sich wieder am Hindukusch. Sedlatzek-Müller wird zunehmend aggressiver und kann sich kaum noch konzentrieren. Er zieht sich immer weiter von seiner Familie und seinem Umfeld zurück. Trotzdem entscheidet er sich für zwei weitere Auslandseinsätze, seiner Überzeugung nach muss ein Soldat „funktionieren“. Erst 2008 wird erkannt, dass auch er unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS, leidet.

Immer mehr deutsche Soldaten kehren mit PTBS von Auslandseinsätzen zurück. Erst 2010 eröffnet die Bundeswehr in Berlin ein Traumazentrum. Mit der Diagnose „PTBS“ beginnt auch für Robert Sedlatzek-Müller ein ganz neuer Kampf – der Kampf zurück ins Leben, der Kampf um die Anerkennung von PTBS als Berufskrankheit und gegen die Ignoranz in Politik und Gesellschaft. „Der Krieg in meinem Kopf“, ein Film von Sonja Hachenberger (BR/2014).

„No Touch Torture“ – wenn der Wille lautstark gebrochen wird

In kurzen historischen Rückblenden erzählt die Dokumentation von Tristan Chytroschek (ZDF/2010) die Geschichte des Einsatzes von Musik zu Kriegszwecken. Der Film zeigt, wie aus ursprünglich reinen und schönen Werken in den Händen von Militärstrategen und Folterknechten fürchterliche psychologische Waffe werden können.

Als Christopher Cerf, Komponist von rund 200 Liedern für die Kindersendung „Sesamstraße“, davon erfährt, wie eines seiner Stücke zu Folterzwecken missbraucht wird, ist er fassungslos. Gemeinsam mit Filmemacher Chytroschek will er vor Ort erfahren, was seine Lieder und andere Musik mit Gewalt, Folter und Tod zu tun haben sollen. Cerf begegnet einem US-Soldaten, der in Guantanamo Gefangene bewacht und die Musik-Folter miterlebt hat. Er befragt einen Verhörspezialisten, der erklärt, wie der US-Geheimdienst CIA Musik als quälendes Werkzeug einsetzt. Durch tagelanges, ununterbrochenes Abspielen unerträglich lauter westlicher Musik soll der Willen von Gefangenen gebrochen werden – „No Touch Torture“ heißt dies im Sprachgebrauch des Militärs. Erst vor Kurzem haben Menschenrechtsorganisationen es geschafft, die CIA zur Veröffentlichung entsprechender Geheimdokumente zu bewegen.

Cerfs Recherchereise führt ihn auch in ein Konzert der Rockband „Drowning Pool“. Ihr Lied „Bodies“ ist zu einer heimlichen Hymne der US-Soldaten im Irak und in Afghanistan geworden, wurde aber gleichzeitig zur Folter von Gefangenen eingesetzt. Von den Musikern möchte der Komponist wissen, wie sie damit umgehen.

Er trifft auch einen traumatisierten ehemaligen Guantanamo-Häftling, der die psychologischen Qualen der Folter durch Musik eindringlich beschreibt. Um wirklich zu verstehen, was Musik Schreckliches in einem Menschen auslösen kann, wagt Christopher Cerf schließlich einen Selbstversuch und begibt sich in die Position des Opfers. Mit einem Sack über dem Kopf, allein in einer dunklen Zelle, setzt er sich den Klängen der „Folterer“ aus.

Plünderungen, Vergewaltigungen, Massaker und andere Kriegsverbrechen

Leise Stimme, erstaunlich flüssiges Deutsch und ein fanatischer Blick – der Ruander Ignace M. war bis zu seiner Verhaftung in Karlsruhe Präsident und politischer Führer der Hutumiliz „Forces Démocratiques de Libération du Rwanda“, kurz FDLR („Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“). Die FDLR, die im Nordosten des Kongo marodiert, gilt als eine der mörderischsten Rebellengruppen. Der Ruander lebte unbehelligt in Mannheim und soll den Krieg im Kongo per Laptop und Handy gesteuert haben. Das behauptet die Anklage: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen.

Auch sein Stellvertreter, Straton M., lebte viele Jahre als unbescholtener Nachbar im schwäbischen Neuffen. Doch hinter der biederen Fassade verbargen und verbergen sich Rädelsführer eines Besatzungsregimes, die mit Plünderung, sexualisierten Gewalttaten und Hinrichtungen ihre Macht im Ostkongo zu sichern versuchten.

Der Film von Susanne Babila (SWR/2011) lässt die Opfer zu Wort kommen: Kindersoldaten, vergewaltigte junge Mädchen und entwaffnete Söldner des Terrorregimes, die Ignace M., ihren ehemaligen Führer, im Kongo getroffen haben.

Warum haben deutsche Behörden nicht früher auf Hinweise reagiert, die die brutalen Machenschaften der beiden mutmaßlichen Kriegsverbrecher aufdeckten? Dieser Film zeigt auch, womit sich die Rebellen finanziert haben: mit Gold, Zinn und Coltan, das auch über deutsche Firmen auf den Weltmarkt kommt.

Eine Art Geheimbund mit eigener Gerichtsbarkeit und Täterschutz

„Stell Dich nicht so an – Frauen sind hier nur dazu da, um gevögelt zu werden.“ Mit diesen Worten wurde Ariana Klay an ihrem ersten Tag bei einer Eliteeinheit des US-Militärs von ihrem Vorgesetzten begrüßt. Nur wenige Wochen später wurde die junge Soldatin von ihrem Chef und einem Kollegen brutal vergewaltigt. Danach drohte ihr Befehlshaber, wenn sie die Tat anzeige, lasse er sie umbringen. Trotzdem fand Klay den Mut, Anzeige zu erstatten – und wurde bitter enttäuscht. Die Autoren Kirby Dick und Amy Ziering entlarven in ihrem für einen Oscar nominierten Dokumentarfilm (WDR/2014) das US-amerikanische Militär als eine Art Geheimbund, der seine eigene Gerichtsbarkeit hat und vor allem die Täter schützt.

Kori Cioca, die den Dienst bei der Küstenwache als Berufung versah, kann seit ihrer Vergewaltigung kein normales Leben mehr führen. Sie verlässt das Haus nie ohne ihr Jagdmesser. Sie kann sich nur noch von Kartoffelbrei und Pudding ernähren, denn ihr Vorgesetzter hat ihr bei der Vergewaltigung den Kiefer zertrümmert. Das US-Militär verweigert ihr bis heute eine ordentliche medizinische Versorgung. Im Gegenteil: Gegen sie und viele andere Opfer wird sogar wegen Falschaussage ermittelt. Cioca denkt oft an Selbstmord.

Ariana Klay und Kori Cioca sind keine Einzelfälle. Allein im Jahr 2010 kam es zu über 19.000 sexuellen Übergriffen innerhalb der US-Streitkräfte. Das ist die Zahl, die das Pentagon öffentlich einräumt.

Die Geschichten der Soldatinnen offenbaren die systematischen Vertuschungsversuche der Armee und zeigen den oft verzweifelten Kampf der Opfer, wieder in ihr Leben zurückzufinden. Sie kämpfen gegen eine Mauer des Schweigens, die bis hinauf zum Verteidigungsministerium reicht, und gegen ein geschlossenes System, in dem Offiziere dafür sorgen, dass nur wenige Peiniger vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

Von missgebildeten Kindern und Gefahren in den Tiefen des Meeres

Den langen phoenix-Abend beschließt in der Nacht von Donnerstag auf Freitag (29. August) die Dokumentation „Natur unter Beschuss – ökologische Folgen des Krieges“ von Max Mönch (ZDF und 3sat/2013).

Eine Schlacht ist die intensivste Form des Ressourcenverbrauchs. Oberstes Kriegsziel ist es, den Gegner zu schwächen, ihn zu besiegen. Auch, indem seine Lebensgrundlagen zerstört werden. Erstmals geschah dies „nachhaltig“ während des Ersten Weltkrieges. Die Massenproduktion chemischer Kampfstoffe eröffnete den Kriegsparteien damals schon die Möglichkeit, den „Lebensraum“ des Feindes komplett auszulöschen. Die Dokumentation „Natur unter Beschuss“ zeigt eindringlich die schrecklichen ökologischen Schäden nach einem Einsatz militärischer Kampfmittel.

Die Strategie der Vernichtung von Umwelt setzte sich im Zweiten Weltkrieg fort und gipfelte rund drei Jahrzehnte später in einem Krieg, den die Weltmacht USA gegen ein kleines kommunistisches Land in Asien nicht gewinnen konnte: Vietnam. Die Spuren eines Ökozids, der fast ein halbes Jahrhundert zurückliegt, erzählen immer noch von den dramatischen Spätfolgen des „Agent Orange“-Einsatzes – von missgebildeten Kindern und doppelköpfigen Büffeln. Erst heute hat die US-Regierung damit begonnen, in Vietnam die Dioxinbelastung der Böden in Teilen zu beseitigen.

Ein riesiges ökologisches Problem stellen auch militärische Kampfmittel, die nie eingesetzt wurden, dar. Denn auch Munition hat ein Verfallsdatum. Alleine in der Ostsee befindet sich so viel versenkte korrodierende Munition, dass alle daraus entweichenden Toxine Europa auslöschen könnten. Der Beitrag von Max Mönch macht Angst. Dies soll er angesichts der enormen Gefahren, die lauern, auch.


Randnotiz                                  

Krieg & Frieden – eine phoenix-Themenwoche von Montag (25. August) bis Sonntag (31. August 2014).
Donnerstag, 28. August, Themenschwerpunkt „Täter und Opfer“:
20.15 Uhr | „Starfighter – mit Hightech in den Tod“ (Film von Kai Christiansen)
21.00 Uhr | „Der Krieg in meinem Kopf“ (Film von Sonja Hachenberger)
21.45 Uhr | „Musik als Waffe“ (Film von Tristan Chytroschek)
22.40 Uhr | „Die Kriegstreiber von nebenan – Deutschland und der Terror im Kongo“ (Film von Susanne Babila)
23.25 Uhr | „Der niederträchtige Krieg – wie Frauen im US-Militär vergewaltigt werden“ (Dokumentation von Kirby Dick und Amy Ziering)
Donnerstag auf Freitag, 29. August:
00.10 Uhr | „Natur unter Beschuss – ökologische Folgen des Krieges“ (Dokumentation von Max Mönch)
Alle Angaben ohne Gewähr.


Zu unserer Bildsequenz:
1. Starfighter vom früheren Jagdgeschwader 74 „Mölders“, Neuburg an der Donau. Die Aufnahme stammt vom Juni 1965.
(Foto: phoenix/ARD)

2. Historisches Bild vom Absturz einer F-104G.
(Foto: fly.historicwings.com)

3. „Der Krieg in meinem Kopf“ – ein Film von Sonja Hachenberger über Robert Sedlatzek-Müller, der mit Posttraumatischen Belastungsstörungen aus dem Afghanistaneinsatz heimkehrte.
(Foto: Magnus Froböse/phoenix/ARD)

4. „Musik als Waffe“ – der Song „Bodies“ der Rockband „Drowning Pool“ wurde auch bei Verhören von Gefangenen auf der Guantanamo Bay Naval Base eingesetzt.
(Foto: Drowning Pool)

5. Ruandische Hutumilizen haben sich im Nordosten des Kongo, an der Grenze zu Ruanda, verschanzt. Sie drangsalieren die Bevölkerung, morden, vergewaltigen und brandschatzen. Szene aus dem Film „Die Kriegstreiber von nebenan – Deutschland und der Terror im Kongo“.
(Foto: phoenix/ARD)

6. „Der niederträchtige Krieg“ gegen Frauen in den Reihen des US-Militärs: Kori Chioca, die den Dienst bei der Küstenwache als Berufung versah, kann seit ihrer Vergewaltigung kein normales Leben mehr führen.
(Foto: ro*co films/phoenix/ARD)

7. Und auch die Natur verkommt zum Opfer des Militärs: Szene aus der Dokumentation „Natur unter Beschuss“ von Max Mönch.
(Foto: phoenix/ARD)


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