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Washington (USA). Es scheint, als habe US-Präsident Barack Obama sich dem Druck des Militärs gebeugt und seinen Afghanistankurs geändert. Auch nach dem angekündigten Abzug aller Kampftruppen des NATO-geführten ISAF-Einsatzes bis zum 31. Dezember 2014 sollen die verbleibenden US-Streitkräfte am Hindukusch weiterhin militärisch gegen die Aufständischen vorgehen dürfen. Dies berichtete die New York Times online am vergangenen Freitag (21. November) und einen Tag später in ihrer Printausgabe. Die Zeitung beruft sich auf Gesprächspartner in der Regierung, im Kongress und innerhalb der Streitkräfte. Obama soll bereits eine entsprechende Direktive an die Truppen unterzeichnet haben.

In seiner Rede im Rosengarten des Weißen Hauses am 27. Mai 2014 („Bringing the U.S. War in Afghanistan to a Responsible End“) hatte Obama noch angekündigt, dass mit Beginn des Jahres 2015 lediglich 9800 US-Soldaten in Afghanistan verbleiben würden – zusammen mit Truppen der NATO-Verbündeten und anderen Partnernationen. Diese ISAF-Nachfolgemission „Resolute Support“ wird, so steht inzwischen fest, insgesamt rund 12.000 alliierte Kräfte umfassen. Deutschland wird 850 Bundeswehrsoldaten entsenden. Auftrag von „Resolute Support“ ist die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte. Kampfeinsätze sollte es eigentlich nicht mehr geben …

Obama hatte im Mai präzisiert: „Ende 2015 wollen wir die in Afghanistan verbliebenen 9800 US-Soldaten auf etwa die Hälfte reduzieren und diese Kräfte dann in der Hauptstadt Kabul und in Bagram Airfield konzentrieren (Anm.: Bagram Airfield ist das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan und dort zugleich der wichtigste US-Militärflugplatz). Ein Jahr später, Ende 2016, werden wir die Truppenstärke weiter zurückfahren bis hin zu einer normalen Personalstärke zur Unterstützung und zum Schutz unserer Botschaft in Kabul – so wie wir es im Irak gehandhabt haben. Ab Januar 2015 wird der Auftrag der US-Truppen nur noch darin bestehen, afghanische Sicherheitskräfte zu trainieren und Anti-Terror-Operationen gegen Reste von al-Qaida zu unterstützen.“ Soweit der Präsident vor einem halben Jahr.

Einsatz von Kampfjets, Langstreckenbombern und Drohnen

Laut New York Times sollen genau diese Anti-Terror-Einsätze künftig ausgeweitet werden. Die anonymen Quellen der Zeitung in der Administration, im Militär und im Kongress „flüsterten“ dazu übereinstimmend, der Präsident erlaube den US-Truppen ab Januar 2015 zumindest für ein weiteres Jahr, regierungsfeindliche Kräfte direkt zu bekämpfen und einheimische Sicherheitskräfte auch mit Kampfjets und unbemannten Luftfahrzeugen zu unterstützen.

Wie ein hoher Offizier gegenüber der New York Times erklärte, erwarte die U.S. Air Force vor dem Hintergrund der präsidialen Entscheidung jetzt, im kommenden Jahr weiter F-16-Mehrzweckkampfflugzeuge, B-1B-Langstreckenbomber sowie Predator- und Reaper-Drohnen gegen die Taliban und andere militante Gruppierungen einsetzen zu dürfen. „Wir gehen davon aus, auch weiterhin in Afghanistan Offensivfähigkeiten zu besitzen“, so der ranghohe Militärangehörige zuversichtlich. Man erhoffe sich in den nächsten Wochen eine genaue Anweisung des US-Verteidigungsministeriums, die zudem die Rolle des US-Kontingents der „Resolute Support Mission“ für das Jahr 2015 in Afghanistan definieren werde.

Regierungsvertreter widerspricht dem Bericht der New York Times

Ein Vertreter der Regierung Obama widersprach am Freitagabend (21. November) dem Zeitungsbericht. Der Kampfeinsatz der US-Truppen in Afghanistan werde wie angekündigt am 31. Dezember enden. „Amerikanische Soldaten werden 2015 in Afghanistan weder an Patrouillen im Land teilnehmen noch offensive Militäraktionen gegen die Taliban durchführen.“

Man werde künftig Taliban nicht mehr nur deswegen angreifen, weil sie Taliban seien, versicherte der Regierungssprecher weiter. Lediglich dann, wenn diese regierungsfeindlichen Kräfte die US- oder Koalitionstruppen in Afghanistan direkt bedrohten oder etwa al-Qaida unterstützten, werde man ein „angemessenes Vorgehen“ in Betracht ziehen.

„Am Schluss hat das Militär so ziemlich alles bekommen, was es gewollt hat“

Wie die New York Times weiter berichtete, sei dem letztendlichen Kurswechsel Obamas eine langatmige, teilweise erbitterte Debatte vorausgegangen, die von zwei völlig gegensätzlichen Standpunkten beherrscht worden sei. Zum einen habe dort wie in Stein gemeißelt das Versprechen des Präsidenten gestanden, den Krieg in Afghanistan zu beenden. Auf der anderen Seite habe das Verteidigungsministerium unter allen Umständen verlangt, dass die US-Truppen am Hindukusch in die Lage versetzt würden, die verbleibende Mission im Land erfolgreich zu Ende zu bringen. Zivile Berater des Präsidenten hätten im Laufe der hitzigen Diskussionen Obama immer wieder ans Herz gelegt, das Leben amerikanischer Soldaten nicht weiter im Kampf gegen die Aufständischen in Afghanistan aufs Spiel zu setzen.

Ausschlaggebend sei schließlich wohl das Hauptargument des Pentagons gewesen, in Afghanistan keinesfalls ein zweites Irak erleben zu wollen. Dort seien die nationalen Sicherheitskräfte beim Vorrücken der Terrormiliz „Islamischer Staat“ förmlich kollabiert und hätten den Dschihadisten weite Teile des Landes überlassen müssen.

Die New York Times zitierte am Ende einen Regierungsvertreter – der ebenfalls ungenannt bleiben wollte – mit den Worten: „In der Debatte hatten zunächst die Befürworter einer äußerst eingeschränkten Militärmission, die nur noch auf die Bekämpfung von al-Qaida-Resten fokussiert gewesen war, die Oberhand. Am Schluss aber hat das Militär so ziemlich alles bekommen, was es gewollt hat.“

Zwei afghanische Präsidenten – ein Unterschied wie Tag und Nacht

Ein weiterer ausschlaggebender Punkt für die Richtungsänderung Washingtons sei die neue afghanische Führung unter Staatspräsident Ashraf Ghani Ahmadzai. Sie habe bereits Zustimmung zu einem erweiterten Militärengagement der Amerikaner signalisiert. Vorgänger Hamid Karsai hatte sich noch vehement gegen solche Überlegungen ausgesprochen.

Die New York Times lässt in ihren Bericht auch Informationen aus afghanischen Regierungskreisen einfließen. So habe ein namhafter Angehöriger der aktuellen Regierung gegenüber dem Blatt bestätigt, dass Präsident Ghani und sein Sicherheitsberater Mohammad Hanif Atmar vor einigen Wochen bereits die USA gebeten hätten, ihren Kampf gegen die Taliban auch im kommenden Jahr fortzusetzen. Auch habe Ghani vor Kurzem die Beschränkungen für US-Luftangriffe und gemeinsame afghanisch-amerikanische Durchsuchungsaktionen aufgehoben, die noch von Karsai verhängt worden waren.

Das neue afghanische Staatsoberhaupt pflege zudem eine enge Zusammenarbeit mit dem derzeitigen ISAF-Oberbefehlshaber, US-General John F. Campbell, berichtete die Zeitung weiter. Campbell selber beschreibt die Kooperation mit Ghani laut New York Times wie folgt: „Präsident Ghani ist auf die Internationale Gemeinschaft zugegangen. Der Unterschied zwischen ihm und seinem Vorgänger ist wie Tag und Nacht. Es haben sich uns nun strategische Möglichkeiten eröffnet, die wir unter Präsident Karsai so nicht mehr hatten.“


Hinweis: Das Video des YouTube-Kanals des Weißen Hauses zeigt Präsident Barack Obama am 27. Mai 2014 im Rosengarten seines Amtssitzes. Er informierte an diesem Dienstag die amerikanische Öffentlichkeit über das weitere Vorgehen in Afghanistan und insbesondere über die Reduzierung der US-Truppen am Hindukusch.
(Video: The White House on YouTube)

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Zu unserer Bildsequenz:
1. Präsident Barack Obama am 1. Mai 2012 bei seinem Truppenbesuch in Afghanistan im US-Hauptquartier Bagram Airfield.
(Foto: Pete Souza/White House)

2. Eine US-Patrouille am 26. März 2014 in der afghanischen Provinz Kandahar. Szenen wie diese soll es nach der neuesten Entscheidung Obamas – so denn die Informationen der New York Times zutreffen – auch im kommenden Jahr geben.
(Foto: Clay Beyersdorfer/U.S. Army National Guard)

3. Nach dem Bericht der New York Times soll es den amerikanischen Truppen in Afghanistan auch 2015 erlaubt sein, in Gefechten Flugzeuge wie die F-16C zur Unterstützung anzufordern. Die Aufnahme zeigt eine dieser Maschinen über afghanischem Gebiet.
(Foto: Vernon Young Jr./U.S. Air Force)

4. Nach der neuen Präsidentendirektive könnten auch weiterhin US-Drohnen wie die MQ-9 Reaper am Himmel über Afghanistan eingesetzt werden. Die MQ-9 dient hauptsächlich zur Luftnahunterstützung. Das Bild entstand am 20. März 2014 auf dem Kandahar Airfield kurz nach der Landung eines solchen unbemannten Systems.
(Foto: Brian Wagner/U.S. Air Force)

5. Amerikanische Infanteristen am 7. April 2011 auf Patrouille in der Provinz Parwan. Auch diese Bilder wird es 2015 möglicherweise immer noch geben.
(Foto: Kristina L. Gupton/U.S. Army)


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