Berlin/München/Hamburg. Deutschland sollte sich – analog seiner in den letzten Jahren gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Macht – international stärker engagieren. Ja das Land muss auf der weltpolitischen Bühne mehr Verantwortung übernehmen – auch militärisch. So sehen es zahlreiche deutsche Politiker. Nicht alle aber äußern und positionieren sich auch so klar wie beispielsweise Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen oder Bundespräsident Joachim Gauck. Gauck hatte im Januar bei der Münchner Sicherheitskonferenz und erst vor Kurzem wieder in einem Interview mit dem Deutschlandfunk eine stärkere Rolle Deutschlands in EU und NATO und „mehr Einmischung in die Krisen dieser Welt“ gefordert. Von der Leyen hat den Vereinten Nationen am 17. Juni im Rahmen ihres USA-Besuchs eine stärkere Beteiligung der Bundeswehr an Friedensmissionen in Aussicht gestellt. Die Mehrheit der Deutschen allerdings lehnt diesen Kurs schlichtweg ab. Dazu drei aktuelle Umfragen …
Knapp zwei Drittel der Deutschen (60 Prozent) sind gegen ein stärkeres Auslandsengagement der Bundeswehr. Dies ist das zentrale Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid für das Nachrichtenmagazin Focus, bei der am 17. Juni 1000 repräsentativ ausgewählte Personen interviewt wurden. TNS Emnid und Focus haben uns freundlicherweise die Umfrageergebnisse zur Verfügung gestellt und die Nachdruckerlaubnis erteilt.
Am stärksten zeigt sich die Ablehnung bei den Linken und bei den Sozialdemokraten. 77 Prozent der befragten Linken-Anhänger sind gegen ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands im Ausland (nur 14 Prozent sind dafür), bei der SPD sind es 61 Prozent Ablehnungen (38 Prozent dafür).
Unter den Anhängern der Unionsparteien CDU und CSU, denen von Bündnis 90/Die Grünen und den Anhängern der FDP halten sich Prozentzahlen der Gegner und Befürworter in etwa die Waage. CDU/CSU: 48 Prozent dagegen, 48 Prozent dafür. Bündnis 90/Die Grünen: 49 Prozent dagegen, 50 Prozent dafür. FDP: 49 Prozent dagegen, 46 Prozent dafür (fehlende Größen zu 100 Prozent: Weiß nicht, keine Angaben).
Ein Drittel der Deutschen (34 Prozent) will laut dieser Emnid-Erhebung, dass sich unsere Bundeswehr künftig bei Konflikten im Ausland stärker engagiert.
Eine klare Mehrheit der Deutschen erteilt auch laut einer Forsa-Umfrage für das Magazin Stern der Gauck’schen Forderung nach einer aktiveren deutschen Außenpolitik indirekt eine Absage. Denn 71 Prozent der Befragten sprechen sich gegen Militäreinsätze mit deutscher Beteiligung aus – auch für den Fall, dass sich Konflikte nicht durch Diplomatie oder Sanktionen lösen lassen. Für derartige Bundeswehreinsätze ist demnach, so Forsa, nur knapp ein Viertel der Bundesbürger (24 Prozent) zu haben.
Der Umfrage für den Stern zufolge sind vor allem Frauen (mit 80 Prozent) und die über 60-Jährigen (mit 81 Prozent) gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Interventionen im Ausland.
Bereits im Mai hatte die renommierte Körber-Stiftung mit einem eigenen Meinungsforschungsprojekt für Schlagzeilen gesorgt. Partner hierbei war TNS Infratest Politikforschung. Befragt worden waren im April und Mai 1000 Personen (ab 18 Jahren) zu außenpolitischen Fragestellungen und damit auch zur Bundeswehr.
Der Umfrage zufolge, die von der Körber-Stiftung gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt in Auftrag gegeben worden war, sind 60 Prozent der Deutschen der Meinung, dass sich Deutschland außenpolitisch zurückhalten sollte. Die Bereitschaft zu einem stärkeren internationalen Engagement ist in den vergangenen Jahren insgesamt stark gesunken: Während 1994 noch 62 Prozent der Deutschen für die Übernahme größerer Verantwortung bei internationalen Krisen plädierten, sind es heute lediglich noch 37 Prozent.
Besonders skeptisch zeigen sich die von TNS Infratest Befragten in Bezug auf den Einsatz deutscher Soldaten und bei Rüstungsexporten. 82 Prozent wünschen sich weniger Militäreinsätze der Bundeswehr. Ebenso viele Befragte finden, Deutschland solle weniger Waffen an verbündete Länder liefern.
Eine erfrischend unverkrampfte Sicht der Dinge bietet ein Beitrag von David Nauer in der Baseler Zeitung online vom 18. Juni dieses Jahres. Der Korrespondent, der sich in Berlin mit den Schwerpunktthemen deutsche Politik, Wirtschaft und Gesellschaft befasst, reflektiert über die Suche Deutschlands nach einer neuen Rolle in der Weltpolitik. Die „breite und zum Teil völlig verzerrte Kritik“ vor allem an den Äußerungen des deutschen Bundespräsidenten zeige, wie schwer sich das Land mit dieser seinen neuen Weltrolle tue, staunt der Schweizer.
Nauer analysiert später: „Jeder Versuch, die Rolle der Bundesrepublik ihrem wachsenden globalen Gewicht anzupassen, (hat es) schwer. In der Diskussion schwingt stets ein Unbehagen mit, welches befeuert wird von einer unheiligen Allianz aus linken Pazifisten und rechten Isolationisten. Eine robuste Außenpolitik wird wahlweise als Neuauflage einer Kanonenbootpolitik wie zu Kaisers Zeiten oder als ,Beweis‘ für die USA-Hörigkeit der politischen Klasse interpretiert. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler hatte sich zu Auslandseinsätzen zur Sicherung freier Handelswege geäußert. Nach empörten Reaktionen trat er zurück.“
Zuweilen entstehe der Eindruck, so der Korrespondent weiter, Deutschland wäre gerne eine Art „große Schweiz“: neutral, ungebunden, nur sich selbst verpflichtet. Ob sich das einrichten lasse, müsse bezweifelt werden. Nauer schließt seine Kommentierung mit einem Zitat des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger. Dieser soll bei seinem Treffen mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 19. Juni in New York prophezeit haben: „Deutschland ist in gewisser Weise dazu verdammt, eine immer wichtigere Rolle zu spielen.“
Unser Bildangebot:
1. Soldaten des Bad Reichenhaller Gebirgsjägerbataillons 231 in Nordafghanistan im Sicherungseinsatz.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)
2. Hintergrund der ersten Infografik – Führungs- und Funktionsfahrzeug Dingo im März 2009 in Afghanistan auf der Fahrt zum Flughafen.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)
3. Hintergrund der zweiten Infografik – Soldatin der Feldjägertruppe bei der Vorfeldbeobachtung im Norden Afghanistans.
(Foto: Alexander Linden/Bundeswehr)