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Berlin. Die gravierenden Ausrüstungsmängel der Bundeswehr werden sich im kommenden Jahr verschärfen. Das behauptete das ARD-Magazin KONTRASTE in seinem Beitrag „Bedingt einsatzbereit“ am gestrigen Donnerstag (9. Oktober). Nach Informationen des Magazins sollen mehr als 7000 ungeschützte Militärfahrzeuge aus dem Betrieb genommen werden, was zu zusätzlichen Engpässen im Ausbildungs- und Übungsbetrieb führen wird. Diese Entscheidung sei eine Folge der jahrelangen Sparpolitik, die massive Auswirkungen auch auf den Ausbildungs- und Übungsbetrieb habe. Zwei Soldaten, die in dem KONTRASTE-Beitrag der Fernsehjournalisten Caroline Walter und Christoph Rosenthal anonym zu Wort kommen, bestätigen die fatale Entwicklung …

Der etwa neun Minuten dauernde Bericht beginnt mit folgender Anmoderation: „Pannenserie bei der Bundeswehr – jeden Tag neue Nachrichten. Es dreht sich vor allem um verzögerte und verteuerte Rüstungsprojekte aufgrund von Missmanagement und Schlampereien. Doch mit welchen Problemen die Soldaten eigentlich im Alltag kämpfen müssen, ist bisher wenig bekannt.“ Das, was Walter und Rosenthal letztendlich „über den täglichen Ausbildungsbetrieb in der Bundeswehr“ hätten in Erfahrung bringen können, sei „erschreckend“, so das Recherchefazit.

Die Reduzierungen sind Teil der unter Verteidigungsminister Thomas de Maizière eingeleiteten Bundeswehrreform, die jetzt von Ministerin Ursula von der Leyen fortgeführt wird. Die beiden Journalisten kommen in ihrem KONTRASTE-Beitrag zu dem Schluss, dass diese Reform „vor allem am Ausbildungs- und Übungsbetrieb in Deutschland“ sparen will.

Wenn Einheiten untereinander Material tauschen müssen

Im begleitenden Pressetext der ARD zur Ausstrahlung von „Bedingt einsatzbereit“ am 9. Oktober heißt es: „Anstelle der bisherigen Ausstattung der Einheiten mit eigenen Fahrzeugen und eigener Ausrüstung soll das sogenannte ,dynamische Verfügbarkeitsmanagement‘ treten. Im Rahmen dieses Modells haben die einzelnen Einheiten nur noch direkten Zugriff auf ungefähr 30 Prozent des notwendigen militärischen Materials. Der restliche Bestand muss jeweils zwischen den Einheiten ausgetauscht werden.“

Den Recherchen von Caroline Walter und Christoph Rosenthal zufolge verschärft sich die Situation massiv durch den deutschen Beitrag zur NATO Response Force (NRF), der schnellen Eingreiftruppe des Bündnisses. Ab Januar kommenden Jahres wird das deutsche Heer einen entsprechenden Beitrag zur NRF leisten müssen. Um die Einsatzbereitschaft der dafür vorgesehenen Heeresanteile überhaupt gewährleisten zu können, muss die Teilstreitkraft offenbar Fahrzeuge und Material aus anderen Einheiten abziehen. Die Folge wird wohl sein, dass der Ausbildungs- und Übungsbetrieb in diesen Einheiten erheblich eingeschränkt werden muss.

Regelbetrieb durch die praktizierte Lösung „massiv beeinträchtigt“

Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, kritisiert das „dynamische Verfügbarkeitsmanagement“ heftig. Im Interview mit den Filmemachern sagte er: „Wir halten dieses dynamische Verfügbarkeitsmanagement – hört sich ja ganz modern an – für einen wirklichen Irrweg. Gerät, das da ist, das funktioniert, das bezahlt ist, für wenig Geld rauszugeben oder gar zu verschrotten ist nun wirklich betriebswirtschaftlich Unsinn. Und es ist so, dass dieses Verfügungsmanagement jetzt dazu führt, dass das Gerät für viel Geld quer durch die Republik gefahren werden muss und dass Übungen, die geplant sind, manchmal gar nicht mehr so stattfinden können, wie in der Planung der Fall war, weil eben das nicht so funktioniert.“

Insgesamt seien durch diese bedauerliche Entwicklung auch zukünftige Bundeswehreinsätze gefährdet. Arnold: „Schon jetzt ist – wenn es um die NATO Response Force geht – mit der Zusammenziehung des Gerätes der Regelbetrieb massiv beeinträchtigt. Bei zukünftigen NATO-Planungen hin zu einer ,Schnellen Speerspitze‘ wird das absolut nicht mehr funktionieren.“

Zusätzliches Großgerät wird erst in der Einsatzvorbereitung gestellt

Mit der völlig unbefriedigenden Situation befasst sich immer wieder auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus. In seinem Jahresbericht 2013 schreibt er unter dem Punkt „Ausstattung für die Ausbildung“: „Mit Einnahme seiner neuen Struktur hat das Heer aus haushalterischen Gründen auch die Ausstattung der Truppe mit Großgerät erheblich reduziert. Durch diese Reduzierung wird der Übungsbetrieb beeinträchtigt. Um diese Beeinträchtigung auszugleichen, hat das Heer ein sogenanntes ,dynamisches Verfügbarkeitsmanagement‘ für Großgerät eingeführt. Über dieses Managementverfahren soll Einheiten und Verbänden für Übungsvorhaben zusätzliches Großgerät zur Verfügung gestellt werden.“ Der Wehrbeauftragte kommt zu dem Schluss: „Das ,dynamische Verfügbarkeitsmanagement‘ ist damit nichts anderes als Ausdruck der Akzeptanz einer systemischen Mangelverwaltung.“

Und: „In der Regel soll das zusätzliche Großgerät erst in der Einsatzvorbereitung zur Verfügung gestellt werden. Eine kontinuierliche Ausbildung und Inübunghaltung ist danach nur eingeschränkt möglich.“ Man sieht Königshaus förmlich, wie er verärgert den Kopf schüttelt …

Gerade einmal zwei Maschinengewehre einsatzbereit

Zurück zu KONTRASTE und den Rechercheergebnissen von Walter und Rosenthal. Sie fanden heraus, dass von der Bundeswehr-Mangelwirtschaft nicht nur Großgerät betroffen ist. Die Defizite sind mannigfaltig. Beispiel MG3, das 1969 eingeführte Standardmaschinengewehr der Bundeswehr. Ein Soldat berichtet (anonym): „In meiner Einheit ist es so, dass dort gerade mal zwei Maschinengewehre einsatzbereit sind, alle anderen MGs sind seit längerer Zeit gesperrt. Deshalb können keine Ausbildung und kein Gefechtsschießen mit MGs durchgeführt werden.“

Er selber habe schon Kameraden im Auslandseinsatz getroffen, die vorher nicht einmal mit dem MG geschossen hätten, erzählt der Soldat weiter. Auch gebe es nicht nur zu wenig Waffen, sondern auch zu wenig Munition. Sie werde bei Übungen stark rationiert. Weil die Bundeswehr sparen soll, müssten die Soldaten quasi jeden Schuss rechtfertigen.

Wehrbeauftragter rügt Überalterung und Fehl von Ausbildungsmaterial

Abschließend zwei weitere Beispiele der Mängelliste: Im Ausbildungs- und Übungsbetrieb der Bundeswehr fehlen Splitterschutzwesten, auch kann nicht jeder Soldat ausreichend mit einem Nachtsichtgerät trainieren. Der uniformierte Interviewpartner von Walter und Rosenthal: „Es ist so, es sind nicht genügend Nachtsichtgeräte da. Viele sind defekt und wir bekommen dann immer die Aussage: Wir kriegen nichts Neues ran.“

Dazu der Wehrbeauftragte in seinem aktuellen Jahresbericht: „Durch die Priorisierung der Einsätze (hat) die Ausstattung des Grundbetriebs im Inland gelitten. Ohne den Grundbetrieb könnten Auslandseinsätze aber nicht geleistet werden. Die Aus- und Weiterbildung im Grundbetrieb legt das Fundament für die Fähigkeiten, die später im Einsatz benötigt werden. Bei Truppenbesuchen im Inland zeigte sich, dass die Ausbildung in den Stammeinheiten und Verbänden erheblich unter der Überalterung und dem Fehl von Ausbildungsmaterial leidet.“

Nach Auskunft von KONTRASTE hat das Verteidigungsministerium die Kritik auf Anfrage zurückgewiesen. Die Antwort: „Der Ausbildungs- und Übungsbetrieb der Bundeswehr ist sichergestellt. Das notwendige Material wird für die Ausbildung flexibel gesteuert und bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt.“


Zu unserer Bildsequenz:
1. Die ARD befasste sich am 9. Oktober 2014 in einem gut neunminütigen Beitrag für das Sendeformat KONTRASTE mit der Bundeswehrreform, die sich offensichtlich negativ auf den Ausbildungs- und Übungsbetrieb auswirkt. Unser Videostandbild zeigt die Anmoderation zu dem Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal.
(Videostandbild: Video ARD-KONTRASTE)

2. Nach Informationen des Magazins KONTRASTE sollen bald mehr als 7000 ungeschützte Militärfahrzeuge aus dem Betrieb der Bundeswehr genommen werden. Die Aufnahme zeigt Soldaten im Juli 2010 bei einer Lagebesprechung auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf in Thüringen, im Hintergrund das ungeschützte Geländefahrzeug Wolf.
(Foto: Detmar Modes/Bundeswehr)

3. Bundeswehrsoldat der Task Force Kunduz im Oktober 2010 mit Schutzweste und MG3. Der KONTRASTE-Beitrag kritisierte unter anderem die mangelhafte Ausstattung der Truppe in der Heimat mit dem Maschinengewehr und mit der Splitterschutzweste für Ausbildungs- und Übungszwecke.
(Foto: Patrick von Söhnen/Bundeswehr)

4. Im Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal heißt es zu den anonymen Interviewpartnern: „Aktive Soldaten dürfen sich nicht ohne Presseoffizier äußern. Aber diese beiden wollen nicht länger schweigen. Sie berichten erstmals, unter welch miserablen Bedingungen sie seit Jahren für die Einsätze üben müssen.“
(Videostandbild: Video ARD-KONTRASTE)


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