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Stockholm (Schweden). Der Pressetext des renommierten Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI vom 13. Mai kam für die „sicherheitspolitische Community“ überraschend, aber nicht unerklärlich. Es heißt dort: „Der Verwaltungsrat von SIPRI und Professor Tilman Brück haben einvernehmlich beschlossen, dass Professor Tilman Brück seine Amtszeit als Direktor von SIPRI am 30. Juni 2014 beenden wird. Professor Brück wird für SIPRI weiterhin als ,Distinguished Senior Fellow‘ tätig sein, um seine wissenschaftliche Arbeit über die ökonomische Analyse von Sicherheit und Entwicklung fortzuführen.“ Der deutsche Entwicklungsökonom Brück hatte erst im Januar vergangenen Jahres die exponierte Stelle in Stockholm angetreten. Davor war er Abteilungsleiter „Entwicklung und Sicherheit“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin gewesen. Was war geschehen?

Erste Blicke hinter die Fassade von SIPRI konnten bereits Medien wie Der Standard aus Österreich oder Die Welt aus Deutschland werfen. Dietrich Alexander, seit 2005 stellvertretender Welt-Ressortleiter „Außenpolitik“, schreibt in seinem Beitrag vom 11. April: „Mobbing, Verstöße gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen, hoher Druck auf Mitarbeiter: Schwedische Gewerkschaften belasten den deutschen Direktor Tilman Brück schwer – Krise in der Friedensinstitution.“

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) wurde im Jahr 1966 vom schwedischen Parlament initiiert. Der global orientierte Think-Tank liefert Daten, Analysen und Empfehlungen zu internationalen militärischen Fragen. Adressaten dieser Informationen sind Politiker, Wissenschaftler und Medien. SIPRI-Untersuchungen zur Rüstungsstärke waren beispielsweise eine von allen beteiligten Staaten anerkannte Zahlengrundlage für die Abrüstungsverhandlungen zwischen Ost und West in den Jahren des Kalten Krieges. Finanziert wird das Institut zum überwiegenden Teil von der schwedischen Regierung.

Wiederholt gegen schwedische arbeitsrechtliche Bedingungen verstoßen

Nach übereinstimmenden Berichten des Standard und der Welt soll eine Umfrage der beiden schwedischen Fachgewerkschaften ST und Saco-S am Institut alarmierende Entwicklungen offengelegt haben. 26 der rund 50 SIPRI-Mitarbeiter sollen demnach angegeben haben, dass „Mobbing, Schlafstörungen, Panikattacken und Selbstmordgedanken unter dem Personal zum Alltag“ am Institut gehören. 16 Angestellte berichteten gegenüber den Gewerkschaftsvertretern von Diskriminierung und herabsetzenden Bemerkungen am Arbeitsplatz. 14 beschuldigten den SIPRI-Direktor, sie eingeschüchtert zu haben.

ST (Union of Civil Servants) und Saco (Swedish Confederation of Professional Association) werfen der Institutsleitung und dem Management insgesamt vor, wiederholt gegen die strengen arbeitsrechtlichen Bedingungen des Landes verstoßen zu haben. Insbesondere kritisieren ST und Saco-S die Verantwortlichen, als „Arbeitgeber ihre Pflicht, ein gutes Arbeitsklima zu wahren, vernachlässigt“ zu haben. Die Missstände am Institut im Stockholmer Vorort Solna hätten zudem „bereits eine längere Vorgeschichte“, zitieren der Standard und die Welt die beiden schwedischen Interessenvertretungen. Verbesserungen seien allerdings seit der letzten Inspektion vor etwa einem Jahr trotz laufender elf Beschwerdeverfahren nicht eingetreten.

Mit Heimarbeit dem Druck im Institut entgehen

In einem Schreiben an die Leitung von SIPRI und an Frank Belfrage, Staatssekretär in dem für SIPRI zuständigen Außenministerium Schwedens, listen die Gewerkschafterinnen Sofia Holmqvist (ST) und Camilla Grön (Saco-S) die Vorwürfe der Befragten explizit auf. In dem Brief, der uns vorliegt, heißt es unter anderem: „22 der 26 Befragten leiden unter Stresssymptomen – Schlafstörungen, Angst, Bluthochdruck, Suizidgedanken. Die meisten dieser Fälle haben unmittelbar mit der Art zu tun, wie der Direktor seine Mitarbeiter behandelt.“ Oder: „23 der 26 Befragten bevorzugen die Möglichkeit der Heimarbeit, weil ihnen die Arbeit vor Ort im Institut unerträglich geworden ist.“ Und: „Alle 25 Befragten gaben an, sich aktiv nach einer neuen Arbeitsstelle umzusehen. Einige waren sogar bereit selbst dann zu kündigen, wenn ihnen die Arbeitslosigkeit drohen sollte.“

In ihrem Schreiben machen die Fachgewerkschaften ST und Saco-S auch darauf aufmerksam, dass bereits in einem früheren offenen Brief an den SIPRI-Verwaltungsrat 79 Prozent des wissenschaftlichen Personals und 80 Prozent der Senior-Mitarbeiter anderer Unterstützungsbereiche ihr Misstrauen gegenüber dem amtierenden Direktor zum Ausdruck gebracht hätten.

Zusammenfassend attestieren ST und Saco-S dem Institutsleiter einen „Mangel an Führungsqualitäten“, eine „eklatante Unkenntnis der schwedischen Arbeitsrechtsbestimmungen“ und Abneigung, „gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern an einer Lösung der Probleme zu arbeiten“.

SIPRI-Verwaltungsrat bedauert den Rücktritt von Brück

Man möchte fast hoffen, dass dies alles nicht wahr ist. Nicht wahr sein kann. Denn wie kann es einem Verantwortlichen in herausragender Stellung gelingen, die Hälfte seiner Belegschaft gegen sich aufzubringen und eine über viele Jahre gewachsene Institution so „an die Wand zu fahren“? Aber ist nicht auch Feuer, wo Rauch ist? Laut SIPRI-Pressemitteilung vom 13. Mai hat auch Göran Lennmarker, Vorsitzender des Verwaltungsrats des Friedensforschungsinstituts, inzwischen seinen Rücktritt erklärt.

Seinen Platz übernimmt bis auf Weiteres Lennmarkers Stellvertreter, Jayantha Dhanapala. Der Verwaltungsrat hat zudem beschlossen, „eine internationale Expertin zu berufen, die eine umfassende Untersuchung von SIPRI vornehmen und auf der Basis von Konsultationen mit allen relevanten Beteiligten Empfehlungen für die Zukunft abgeben wird“.

Dhanapala würdigte Tilman Brück in der Pressemitteilung mit Nachdruck: „Im Namen des gesamten Verwaltungsrates danke ich Professor Brück für seine wichtigen, innovativen und wertvollen Beiträge für das Institut auf den Gebieten von Forschung und Management. Seit seinem Amtsantritt hat der Direktor die Organisation des Instituts erfolgreich restrukturiert, international angesehene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rekrutiert, eine schwere finanzielle Krise überwunden, beträchtliche Drittmittel eingeworben und das hoch angesehene und hochkarätige Stockholm Forum on Security and Development ins Leben gerufen. Der Verwaltungsrat bedauert sehr, dass Professor Brück seine Position als Direktor von SIPRI verlässt.”



Das Bild zeigt Tilman Brück kurz nach Antritt seines Amtes als SIPRI-Direktor im Januar 2013.
(Foto: SIPRI)


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