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Berlin/Potsdam. Er sei sich völlig im Klaren darüber, dass die Gewinnung von Freiwilligen angesichts der Konkurrenz mit anderen Arbeitgebern um qualifiziertes Personal „wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft“ darstelle. Man kann nicht sagen, der damalige Bundesminister der Verteidigung Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg habe nicht frühzeitig gewarnt. In seiner Rede zum Wehrrechtsänderungsgesetz am 24. Februar 2011 im Bundestag in Berlin appellierte er: „Gerade bei den Laufbahnen der Mannschaften muss hier ein Schwerpunkt liegen.“ Rund drei Jahre später kritisiert der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus den Istzustand heftig. In seinem am 28. Januar dieses Jahres dem Parlament vorgelegten Bericht 2013 bezeichnet er die Personallage der Bundeswehr als unzureichend. Insbesondere bei den Mannschaftsdienstgraden fehlten Soldaten, um den Übergang in die neue Struktur abzufedern, beklagt Königshaus. Das Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) hat im Dezember 2013 einen Forschungsbericht zur „Attraktivität der Mannschaftslaufbahn“ in den Streitkräften veröffentlicht. Blättern wir in einmal dieser Studie …

Welches Ansehen genießen die Laufbahnen der Bundeswehr bei Jugendlichen im Vergleich zu verschiedenen anderen Berufsgruppen? Welche Vorstellungen verbinden Jugendlichen mit der Mannschaftslaufbahn der Bundeswehr? Wie groß ist bei Jugendlichen das Interesse an einer Verpflichtung als Angehöriger der Mannschaftslaufbahn? Welche Vorteile und Nachteile einer solchen Verpflichtung gibt es aus Sicht der Jugendlichen? Welche Bedürfnisse spielen für die Arbeitgeberwahl eine besondere Rolle? Für wie wahrscheinlich halten Jugendlichen eine Erfüllung dieser Bedürfnisse in der Mannschaftslaufbahn der Bundeswehr? Diese und andere Fragen waren Forschungsgegenstand der Attraktivitätsstudie, die 2011 vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SOWI) – seit 2013 aufgegangen im ZMSBw – realisiert wurde.

Auftraggeber war das Verteidigungsministerium. Befragt wurden rund 2500 Jugendliche deutscher Staatsangehörigkeit im Alter von 15 bis 24 Jahren. Verantwortlich für das Projekt zur Erkundung der „Attraktivität der Mannschaftslaufbahn der Bundeswehr“ war und ist die Diplomsozialwissenschaftlerin Jana Hennig vom ZMSBw.

Grundsätzlich positive Einstellung zur Bundeswehr überwiegt

Die Einstellung der befragten Jugendlichen zur Bundeswehr insgesamt dürfte die Nachwuchsgewinnung der Truppe nicht erschweren. Im Gegenteil. 39 Prozent der Befragten haben eine positive Einstellung zum Soldatsein, 28 Prozent eine negative. Ein Drittel der Befragten ist in ihrer Haltung gegenüber der Bundeswehr ambivalent.

Die jungen Männer haben einen positiveren Blick auf die Bundeswehr als die jungen Frauen. Während 34 Prozent der Frauen „eher positiv“ bis „sehr positiv“ eingestellt sind, beträgt dieser Anteil unter den jungen Männern sogar 45 Prozent.

Auffällig ist, dass männliche Jugendliche mit höherem (angestrebtem) Bildungsabschluss weniger mit der Bundeswehr im Sinn haben, als männliche Jugendliche ohne Schulabschluss oder mit (angestrebtem) Hauptschulabschluss.

Keine oder nur sehr vage Vorstellungen vom Dienst als Mannschaftssoldat

Nachdenklich sollte stimmen, dass fast die Hälfte der Jugendlichen nach eigener Einschätzung mit dem Begriff „Mannschaftslaufbahn“ überhaupt nichts anfangen kann. Weitere 39 Prozent der Befragten haben nur ein paar allgemeine Vorstellungen. Nicht einmal jeder fünfte Jugendliche (18 Prozent) hat konkrete Vorstellungen – darunter sind jedoch nur fünf Prozent ihrer Sache wirklich sicher.

Nach mit der Mannschaftslaufbahn vergleichbaren Berufen in der freien Wirtschaft gefragt, denken sehr viele Jugendliche an die Polizei (obgleich nicht der freien Wirtschaft zuzurechnen). Weitere häufige Nennungen sind auch oft Ausbildungsberufe wie Feuerwehrmann, Facharbeiter oder Handwerker.

Wie groß die Informationsdefizite im Hinblick auf die Mannschaftslaufbahn in der Truppe sind, zeigt auch folgendes Ergebnis: Mehr als die Hälfte der interviewten Jugendlichen unterschätzt das Grundgehalt eines Mannschaftssoldaten, fünf Prozent schätzen es zu hoch ein. Bei Nennung der tatsächlichen Höhe finden über 90 Prozent der befragten Jugendlichen die Höhe des Soldes „mindestens angemessen“.

Zwischen Traumberuf und Soldatenalltag liegen Welten

Bei der Analyse, wie junge Männer einen Soldaten der Mannschaftslaufbahn im Vergleich zu ihrem jeweiligen Traumberuf sehen, wird deutlich, dass dieser Vergleich meist zuungunsten des Staatsbürgers in Bundeswehruniform ausgeht. Insbesondere wird er als weniger attraktiv, intelligent und sympathisch wahrgenommen. Allerdings bleiben die Mittelwerte der Einschätzungen auch für den Soldaten der Mannschaftslaufbahn durchgehend im positiven Bereich. Ein Vergleich der Imageprofile „Traumberuf“ versus „Soldatin der Mannschaftslaufbahn“ bringt bei den jungen Frauen nahezu deckungsgleiche Ergebnisse.

Bei den jungen Männern, die selbst gar nicht an einer soldatischen Laufbahn interessiert sind und auch keine Vorstellungen von der Mannschaftslaufbahn haben, sind die Differenzen zwischen dem Traumberuf und dem Soldaten der Mannschaftslaufbahn besonders groß.

Auslandseinsätze schrecken viele potenzielle Interessenten ab

Kommen wir zum Studienteil „Gründe für und gegen eine Verpflichtung in der Mannschaftslaufbahn“.

Mit Abstand am häufigsten (28 Prozent der Nennungen) fällt den Jugendlichen das gesicherte Einkommen beziehungsweise die gute Bezahlung als Grund ein, den Dienst in der Mannschaftslaufbahn anzutreten. Weitere häufige Gründe sind Aspekte wie „Neues lernen“ oder „Erfahrungen sammeln“, ein sicherer Arbeits- beziehungsweise Ausbildungsplatz, Weiterbildung und gute Zukunftsperspektiven durch die Bundeswehr. Für 18 Prozent der Befragten sind unsere Streitkräfte dann eine mögliche Lebensalternative, „wenn in der freien Wirtschaft kein Arbeitsplatz zu finden ist“.

Wichtigster Grund gegen eine Verpflichtung in der Mannschaftslaufbahn sind mit 27 Prozent Anteil die Auslandseinsätze und das damit verbundene Berufsrisiko. Mit großem Abstand folgt der Aspekt, dass eine soldatische Tätigkeit den eigenen Überzeugungen widersprechen würde (zwölf Prozent).

Auch für die Jugendlichen, die sich eigentlich für eine Tätigkeit als Soldat beziehungsweise Soldatin der Mannschaftslaufbahn interessieren, sind die Auslandseinsätze der mit Abstand am häufigsten genannte Grund gegen eine solche Verpflichtung. Danach folgen die ungünstigen Rahmenbedingungen: unregelmäßige Arbeitszeiten oder die Entfernung vom Wohnort.

Erheblicher Personalmangel beim Heer und in der Marine

In seinem Jahresbericht 2013 befasste sich der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages in gewohnt klare Sprache und Eindringlichkeit auch mit dem Thema „Personal“. Hellmut Königshaus schreibt: „Die Bundeswehr verzeichnete im Berichtsjahr einen Rückgang der durchschnittlichen Gesamttruppenstärke von 197.880 auf 184.012. Das ist ein Minus von sieben Prozent. Die Verringerung der Truppenstärke verbunden mit den im Übergang zur Neuausrichtung der Bundeswehr entstehenden parallelen Strukturen führte zu erheblichem Personalmangel vor allem beim Heer und der Marine. Insbesondere bei den Mannschaftsdienstgraden fehlten (Anm.: im Berichtszeitraum) Soldaten, um den Übergang in die neuen Strukturen abzufedern.“

Der Freiwillige Wehrdienst mit seinen vielen Mannschaftssoldaten war übrigens in der Vergangenheit von einer auffällig hohen Abbrecherquote betroffen. Nach einem Bericht des Verteidigungsministeriums an den Verteidigungsausschuss des Bundestages, den auch der Wehrbeauftragte in seinem Jahresbericht 2013 zitiert, sind bessere zivilberufliche Alternativen oder fehlende Zukunftsperspektiven bei der Truppe die meist genannten Gründe für das vorzeitige Ausscheiden. Daneben wird häufig auch von den Betroffenen auf eine unzureichende Verwendungsplanung verwiesen.

Königshaus bestätigt Hauptkritikpunkte Freiwillig Wehrdienst Leistender in seinem Jahresbericht. Oftmals sei in Eingaben davon zu lesen, von den Kreiswehrersatzämtern und heutigen Karrierecentern der Bundeswehr nur unzureichend beraten worden zu sein. Den Beratern in den Karrierecentern gehe es mehr darum, bestehende Vakanzen bei Dienstposten – unabhängig von vorhandenen Qualifikationen und Wünschen der Bewerber – zu besetzen, so die geäußerte Kritik. Andere Freiwillige berichteten dem Wehrbeauftragten, ihnen seien falsche Hoffnungen auf eine Verwendung an bestimmten Orten und in bestimmten Einheiten gemacht und im Falle einer Weiterverpflichtung Möglichkeiten, in andere Laufbahnen zu wechseln, verschwiegen worden.

Eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Blenden wir kurz zurück nach Berlin, 24. Februar 2011: In seiner Bundestagsrede zum Wehrrechtsänderungsgesetz versprach der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg, man werde im Kampf um die besten Köpfe „die Herausforderung mit aller Kraft“ annehmen. Es gehe jetzt darum, auch bereits mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz die geeigneten Instrumente zu schaffen und sich darüber hinaus mit viel Kreativität dem Wettbewerb zu stellen. Zu Guttenberg gab sich damals zuversichtlich: „Bereits mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz ist vorgesehen, dass junge Menschen mit Informationsmaterial über einen Freiwilligendienst in der Bundeswehr versorgt werden und eine ausführliche Beratung über Dienstmöglichkeiten in der Bundeswehr erhalten können. Wir müssen uns auch hier öffnen, neue Wege beschreiten und insbesondere die Neuen Medien im Blick haben.“

Wie leider so oft im Leben tut sich auch in diesem Fall zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine große Lücke auf. Die Verantwortlichen des ZMSBw-Studie „Attraktivität der Mannschaftslaufbahn“ bemängeln in ihren Empfehlungen eine offensichtlich unzureichende Informationsarbeit, wenn sie fordern: „Interesse an der Mannschaftslaufbahn der Bundeswehr setzt voraus, dass die Jugendlichen überhaupt Kenntnis von der Existenz dieser Laufbahn und gewisse Grundvorstellungen haben. Da dies für die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen nicht zutrifft, sollte durch entsprechende Informationsarbeit der allgemeine Bekanntheitsgrad der Mannschaftslaufbahn erhöht werden.“

Eine Handlungsanweisung für die Nachwuchswerber der Bundeswehr formulieren die Autoren der Studie auch noch an anderer Stelle: „Soweit die Jugendlichen Vorstellungen von der Mannschaftslaufbahn äußern, werden Aufstiegschancen und Ausbildungsmöglichkeiten oft überschätzt, der Sold in der Mannschaftslaufbahn dagegen unterschätzt. Aufgabe der Informationsarbeit ist es daher, Stärken aufzuzeigen und gleichzeitig ein realistisches Bild der Mannschaftslaufbahn zu vermitteln.“

Dringend nahegelegt werden auch probate Mittel der professionellen Personalwerbung. Der Rat: „Die Defizite im Image von Soldaten beziehungsweise Soldatinnen der Mannschaftslaufbahn – insbesondere in Bezug auf Attraktivität, Intelligenz und Sympathie – sollten durch geeignete Informations- oder Werbemittel gemindert werden.“ Besonders das Thema „Auslandseinsätze“, das offenbar viele potenzielle Interessenten für die Mannschaftslaufbahn abschreckt, bereitet den Verantwortlichen Sorgen. Auch hier ist die Informationsarbeit der Bundeswehr in der Pflicht – sie, so die Studie, könnte und müsste „die Vielfalt der möglichen Verwendungen gegenüber dem Kampfeinsatz stärker betonen“.

Vom Mannschaftsdienstgrad zum Berufssoldaten

Empfehlungen in erster Linie an die Politik und an die Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung finden sich schließlich unter dem Punkt „Verpflichtungszeiten und Perspektive“. Die Studie schlägt eine Flexibilisierung der Verpflichtungszeiten vor, da kurze Vertragszeiten es den Jugendlichen ermöglichen könnten, die Bundeswehr als Arbeitgeber erst einmal kennenzulernen. Mit unkomplizierten Verlängerungsoptionen könnten geeignete Mannschaftssoldaten für eine längere Bundeswehrzeit gewonnen werden.

Auch die Möglichkeit einer Verpflichtung als Berufssoldat, so die Autoren, sollte für die Mannschaftslaufbahnen in Betracht gezogen werden, da viele Jugendliche nach langfristigen Perspektiven suchten. Abschließend heißt es: „Viele Jugendliche erwarten von der Bundeswehr Aufstiegschancen, daher sollte überprüft werden, ob vermehrt Aufstiegsmöglichkeiten von der Mannschaftslaufbahn in andere Laufbahnen geschaffen werden können.“

Der Forschungsbericht des ZMSBw, das seit dem 1. Januar 2013 das Militärgeschichtliche Forschungsamt (Potsdam) und das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (Strausberg) vereint, basiert auf der Ende 2011 durchgeführten repräsentativen Umfrage unter Jugendlichen. Im Dezember 2013 – gut zwei Jahre nach Abschluss der Befragung – ist das Ergebnis veröffentlicht worden. Inwieweit inzwischen Ergebnissse und Erkenntnisse der Studie von der Wirklichkeit überholt worden sind, kann nur vermutet werden. Der zitierte Jahresbericht 2013 von Hellmut Königshaus jedenfalls lässt allerdings erahnen, dass nach wie vor viele Dinge im Argen liegen. Denn wie kommentierte der Wehrbeauftragte doch den erheblichen Personalmangel im Bereich der Mannschaftsdienstgrade? „Besserung zeichnet sich bisher nicht ab!“


Zu unserem Bildangebot:
1. Rekruten der 5. Kompanie des Panzergrenadierbataillons 371 auf dem Truppenübungsplatz in Frankenberg. Die Aufnahme entstand am 15. März 2011 bei der Verpflegungsausgabe.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

2. bis 4. Hintergrundbilder Infografiken: Die Angehörigen der 5. Kompanie des Panzergrenadierbataillons 371 aus Marienberg, die im März 2011 auf dem Gelände in Frankenberg übten, waren die vorerst letzten Wehrpflichtigen dieses Heeresverbandes.
(Fotos: Andrea Bienert und Sebastian Wilke/Bundeswehr, Infografiken © mediakompakt 07.14)

5. Hintergrundbild Infografik: Rekruten der Grundausbildungseinheit des Gebirgspionierbataillons 8 aus Ingolstadt.
(Foto: Martin Stollberg/Bundeswehr, Infografik © mediakompakt 07.14)


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