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Berlin. Beim Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan kamen bislang 55 deutsche Soldaten zu Tode, 35 von ihnen starben dabei durch Feindeshand (oder – wie es in bürokratischer Umschreibung heißt – „fielen durch Fremdeinwirkung“). Möglicherweise hätten unsere Streitkräfte auch noch mehr Verlust hinnehmen müssen, wäre Deutschlands Auslandsnachrichtendienst nicht so wachsam gewesen. Die Warnmeldungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) haben seit 2011 in Afghanistan 19 Anschläge auf deutsche Soldaten verhindert und so Menschenleben gerettet. Diese Zahl nannte jetzt BND-Präsident Gerhard Schindler bei einer Fachtagung des Behörden Spiegel, der Zeitung für den Öffentlichen Dienst. Derzeit sind 1537 Bundeswehrangehörige im Afghanistaneinsatz. Der BND unterstützt diesen Einsatz nach Auskunft Schindlers im Moment „mit rund 300 Kolleginnen und Kollegen vor Ort und in der Zentrale“.

Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes warb am 31. Oktober bei der „2. Nachrichtendienst-Konferenz“ des Behörden Spiegel in seiner Rede eindringlich für eine internationale Zusammenarbeit im Bereich der Geheimdienste. Gerhard Schindler sagte in Berlin: „Ich sehe in der gegenwärtigen Diskussion über internationale Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendiensten, über gemeinsame Datenerfassung, über Datenaustausch, über Grenzen der gemeinsamen Operationen, ich sehe in dieser Diskussion trotz etlicher Missverständnisse auch eine Chance – nämlich die, dass der Stellenwert der internationalen Zusammenarbeit deutlich wird.“ Zusammenarbeit – international wie national – sei kein Selbstzweck. Sie diene vielmehr „der Sicherheit unseres Landes“.

Derzeit unterhält der BND Kontakte zu 451 ausländischen Nachrichtendiensten in 167 Staaten (viele Staaten haben mehrere Nachrichtendienste – beispielsweise den Auslandsdienst, den Inlandsdienst, den militärischen Dienst oder den technischen Dienst). Die Kontakte des deutschen Geheimdienstes zu diesen 451 ausländischen Diensten sind völlig unterschiedlicher Natur und werden strukturiert und klassifiziert durch das seit Ende 2012 geltende Policy-Konzept des BND.

Austausch der Analysen und manchmal auch der Rohdaten

Dazu Schindler: „Wir unterscheiden beispielsweise nach Kategorien der strategischen Zusammenarbeit; hierin sind Dienste von herausragender strategischer und/oder politischer Bedeutung enthalten, deren Zusammenarbeit mit uns von hohem Wert und für unsere Auftragserfüllung unverzichtbar ist. Wir unterscheiden aber auch nach taktischen Kategorien; hierin sind Dienste enthalten, die aktuell oder perspektivisch von hoher Bedeutung für den BND sind und mit denen die Zusammenarbeit ausgebaut werden soll.“

Viele ausländische Dienste befinden sich Schindler zufolge in der Kategorie „mit lediglich anlassbezogener Kooperation auf niedrigem Niveau“.

Ohne internationale Zusammenarbeit könne die Organisation ihren Auftrag noch nicht einmal ansatzweise erfüllen, erklärte der BND-Präsident seinen Zuhörern. Dies gelte weltweit auch für die anderen Nachrichtendienste. Der Verwaltungsjurist und Fachmann für kriminelle und terroristische Netzwerke wörtlich: „Die internationale Lage gleicht einem gigantischen Puzzle, und niemand hat alle Teile in der Hand. Eine Zusammenarbeit ist daher unverzichtbar. Für uns ist sie Alltag, Routine geworden. Wir haben gemeinsame Operationen, wir tauschen unsere Analysen aus und wenn es sein muss auch unsere Rohdaten. Wir gleichen ab, fügen die Puzzleteile zusammen und verbessern gegenseitig unsere Lagebilder – Tag für Tag.“

Gemeinsames militärisches und nachrichtendienstliches Lagebild

Anhand der beiden Beispiele „Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan“ und „Dimensionen der Terrormiliz ,Islamischer Staat‘ (IS)“ machte Gerhard Schindler dann noch einmal die Bedeutung internationaler Kooperationen transparent.

Derzeit beteiligt sich die Bundeswehr in drei Kontinenten mit 3389 Soldaten (Stand 3. November) an insgesamt 16 Auslandseinsätzen. Der Bundesnachrichtendienst ist dabei im Rahmen der Aufgabe „Force Protection“ auch vor Ort zuständig für die militärische Lage, die Einsatzbegleitung und für die Einsatzsicherheit der Truppe. Die gemeinsamen Missionen unter Führung der NATO oder der Europäischen Union brauchen, wie Schindler bei der Nachrichtendienst-Konferenz erklärte, eine „gemeinsame Handlungsgrundlage – ein gemeinsames militärisches und ein gemeinsames nachrichtendienstliches Lagebild“.

Über die „Force Protection“ in Afghanistan verriet der BND-Präsident: Auch hier „müssen wir bis auf die taktisch-operative Ebene hinunter. Wir müssen zum Beispiel wissen, in welcher Seitenstraße gerade eine neue Sprengfalle verbaut worden ist. Auf der Basis dieser Erkenntnisse erstellen wir Warnmeldungen, und unsere Warnmeldungen retten Leben. 19 Anschläge auf deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan konnten auf diese Weise seit 2011 verhindert werden.“

Den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr unterstützt der Dienst im Moment mit rund 300 Mitarbeitern in der Zentrale in Deutschland und direkt vor Ort. „Und so, wie wir Hinweise, Lageinformationen oder Warnmeldungen beispielsweise von den Mongolen, den Ungarn, den Dänen, den Aserbaidschanern, den Jordaniern oder anderen in Afghanistan engagierten Nationen erhalten, so dürfen diese Partner zu Recht erwarten, dass auch wir unsere Erkenntnisse an sie weitergeben“, sagte Schindler. Gemeinsam im Einsatz ohne gemeinsame Informationsbasis – dies sei ein Unding. Deswegen beinhalte die lebensnotwendige Kooperation der Dienste auch den Austausch personenbezogener Daten. „Angehörige des al-Qaida-Kerns oder Taliban-Kommandeure kann man nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn man sie identifiziert. Selbstmordattentäter kann man nur dann rechtzeitig stoppen, wenn man sie ebenfalls identifiziert.“

Die Apokalypse in Syrien und Irak – eine bittere Realität

Ausführlich befasste sich der Jurist danach mit der al-Qaida-Splittergruppierung „Islamischer Staat“. Der IS beherrsche und nutze die ganze Klaviatur des Terrors – von klassischen Anschlägen bis hin zu groß angelegten, perfekt durchgeplanten militärischen Operationen. Was den IS dabei von anderen terroristischen Organisationen unterscheide, sei die enorme menschenverachtende Brutalität seines Vorgehens, so der BND-Präsident.

Sichtlich bewegt beschrieb Schindler schließlich einige Erkenntnisse seines Dienstes: „Der IS nimmt grundsätzlich keine Gefangene – er ermordet seine Gegner, köpft sie. Massenhinrichtungen sind auf der Tagesordnung. Auch Zivilisten werden getötet, nicht nur wenn sie den Übertritt zum Islam verweigern: vor allem Schiiten, aber auch Yeziden, Alawiten, Christen und Angehörige weiterer Glaubensrichtungen. Zivilisten werden auch zur Zwangsarbeit oder als Geiseln verschleppt. Es finden öffentliche Kreuzigungen und Steinigungen statt. Gefangene Yezidinnen und Christinnen werden im großen Stil mit IS-Kämpfern zwangsverheiratet oder als Sklavinnen gehalten. Dreizehn- bis Vierzehnjährige werden als Kindersoldaten ausgebildet und danach in Gefechten eingesetzt. Auf zivilen Objekten wie Krankenhäusern oder Schulen werden Flaggen gehisst, um ganz bewusst Kollateralschäden herbeizuführen – für die anti-westliche Propaganda. Es stockt einem der Atem, wenn man die grausamen Bilder oder die Videos sieht. Man kann es nicht glauben, man will es nicht glauben. Man denkt unweigerlich an Apokalypse, an Horror. Aber es ist bittere Realität.“

Die Bewegung „Islamischer Staat“ sei derzeit die vermögendste, bestorganisierte und bestbewaffnete terroristische Organisation, warnte Schindler. Und man wisse, dass das brutale Vorgehen des Islamischen Staates in Verbindung mit seiner rigorosen islampolitischen Agenda hohe Anziehungskraft auf gewaltbereite Anhänger ausübe – weltweit, und auch in Deutschland.

Belastbare Erkenntnisse über die Untaten deutscher Dschihadisten

Über die zahlreichen Männer und Frauen, die bisher aus Deutschland in den Krieg nach Vorderasien gezogen sind, empörte sich Schindler: „Seit 2012 sind mehrere Hundert deutsche beziehungsweise aus Deutschland stammende Islamisten in Richtung Syrien ausgereist. Aus Deutschland stammende Extremisten beteiligen sich vor Ort an den Kämpfen und töten unschuldige Zivilisten. Aus Deutschland stammende Extremisten verüben Selbstmordanschläge und reißen zahlreiche unschuldige Menschen mit in den Tod. Aus Deutschland stammende Extremisten beteiligen sich an den unmenschlichen Gräueltaten.“ Dies könne so nicht hingenommen werden. Deshalb bräuchten die deutschen Behörden auch dringend belastbare Erkenntnisse über Reisewege der heimischen Dschihadisten, belastbare Erkenntnisse zu deren Aktivitäten, belastbare Erkenntnisse über besonders gefährliche Rückkehrer sowie belastbare Erkenntnisse zu möglichen Anschlagsplanungen gegen Ziele in der westlichen Welt.

All diese Informationen seien nur durch den internationalen Verbund erhältlich, betonte der BND-Chef bei der Konferenz. Man sei deswegen auf die Zusammenarbeit mit den Diensten der Region angewiesen. Er schloss seinen Vortrag „Herausforderungen für den Bundesnachrichtendienst“ mit dem Appell: „Zusammenarbeit in diesen wichtigen Punkten bedeutet Geben und Nehmen. Nur allein Nehmen geht nicht […] Zusammenarbeit – international wie national – ist kein Selbstzweck. Sie dient vielmehr der Sicherheit unseres Landes, dem Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger!“


Hintergrund                           

Der Bundesnachrichtendienst (BND) mit Sitz im bayerischen Pullach und in Berlin ist neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Amt für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) einer der drei Nachrichtendienste des Bundes und als einziger deutscher Geheimdienst zuständig für die Auslandsaufklärung. Seit 1990 ist seine Tätigkeit durch das „Gesetz über den Bundesnachrichtendienst“ (sogenanntes BND-Gesetz) geregelt.
Der BND ist als Dienststelle dem Bundeskanzleramt unterstellt. Er beschäftigte Mitte 2013 nach eigenen Angaben mehr als 6000 Mitarbeiter aller Fachrichtungen, zur einen Hälfte als Soldaten, zur anderen als Beamte oder Angestellte.
Innerhalb des Bundeskanzleramtes ist für den BND (sowie für die Koordinierung aller drei Nachrichtendienste des Bundes) die Abteilung 6 zuständig. Abteilungsleiter ist seit dem 1. Januar 2010 Günter Heiß. Er bekleidet zudem das Amt des Geheimdienstkoordinators.
Der BND unterliegt auch der Aufsicht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Deutschen Bundestages. Das Gremium überwacht den BND, das BfV und den MAD. Die Bundesregierung ist nach dem Kontrollgremiumgesetz dazu verpflichtet, das PKGr umfassend über die allgemeinen Tätigkeiten der Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Das PKGr kann von der Regierung außerdem zusätzliche Berichte verlangen.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Die Bundeswehr verlor im Afghanistaneinsatz bis jetzt 55 Soldaten. 35 fielen nach Informationen des Bundesministeriums der Verteidigung durch Fremdeinwirkung, 20 starben durch sonstige Umstände.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

2. Der Bundesnachrichtendienst konnte seit 2011 bis heute 19 Anschläge auf Bundeswehrangehörige in Afghanistan verhindern. Das Bild zeigt den Neubau der Zentrale des Dienstes in Berlin.
(Foto: amk)

3. Der Dienst begleitet die deutschen Soldatinnen und Soldaten bei ihren Auslandseinsätzen mit Personal auch vor Ort und ist dabei zuständig für deren Einsatzsicherheit. Die Aufnahme entstand im Oktober 2009 im nordafghanischen Faizabad.
(Foto: Dana Kazda/PrInfoZ Heer/Bundeswehr)


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