Washington (USA). Die Mehrheit der US-Amerikaner ist des Afghanistankrieges überdrüssig und sehnt ein Ende dieses Militäreinsatzes herbei. Denn der Preis, den die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten bislang für ihr Engagement am Hindukusch zahlen mussten, ist hoch: Rund 3400 ISAF-Kräfte – unter ihnen etwa 2300 Angehörige der US-Truppen sowie 54 Bundeswehrsoldaten – starben dort bereits. Die Erfolge der internationalen Mission hingegen sind überschaubar, die Taliban sind in der Offensive, im Land blühen Korruption und Drogenhandel, das Verhältnis zwischen dem Westen und der Regierung Karsai ist zerrüttet. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der jüngsten Umfragen in den USA zum Afghanistanfeldzug fast schon zwangsläufig.
Einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Langer Research Associates zufolge sind heute 66 Prozent der US-Amerikaner der Auffassung, dass der Einsatz in Afghanistan, der einmal die einmütige Zustimmung der Nation hatte, die Mühen und Opfer nicht lohnt. Schon seit 2010 glaubt die Mehrheit der regelmäßig für ABC News und Washington Post befragten Personen, dass das Engagement am Hindukusch wenig Sinn macht. In der jetzt am 19. Dezember veröffentlichten Langer-Umfrage vertreten 50 Prozent der Interviewten „mit großer Überzeugung“ die Ansicht, der Einsatz des Westens in Afghanistan sei vergebens und die Gelder dafür verschwendet.
Trotz aller Skepsis votierten immerhin 55 Prozent der Befragten dafür, nach dem Abzug der Kampftruppen einige Einheiten für die Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte im Land zu stationieren. 41 Prozent befürworten ein vollständiges Ende des Afghanistanengagements und den Komplettabzug.
Die Beziehungen zwischen der US-Regierung und Afghanistans Präsident Hamid Karsai sind seit Wochen vergiftet. Matthias Nass brachte es vor wenigen Tagen in seinem Beitrag für die Wochenzeitung Die Zeit auf den Punkt: „Dankbarkeit ist keine Kategorie der Politik. Und doch verblüfft und verbittert es die Regierungen des Westens, wie … Karsai mit ihnen umspringt. Ein Jahr, bevor die NATO ihre Kampftruppen aus seinem Land abziehen wird, erweckt er den Eindruck, als könne er das Ende ihrer Mission nicht erwarten. Dabei wäre Karsai ohne die Präsenz des westlichen Militärs nie ins Amt gekommen und hätte sich gewiss nicht zwölf Jahre darin gehalten.“
Die schweren Verwerfungen zwischen der Obama-Administration und dem stolzen Paschtunen gipfeln nun in der Weigerung Karsais, das bereits ausgehandelte und von der Ratsversammlung „Loya Dschirga“ abgesegnete bilaterale Sicherheitsabkommen (Bilateral Security Agreement) mit den USA zu unterzeichnen. Dies soll sein Nachfolger, der allerdings erst im April gewählt wird, tun. So lange jedoch kann der Westen nicht warten. Bisher plant die NATO, nach dem Abzug der Kampfeinheiten etwa 8000 bis 12.000 Soldaten in Afghanistan zu belassen, die die nationalen Sicherheitskräfte ausbilden und unterstützen sollen. Dafür aber müssen die entsprechenden Budgets bewilligt, komplexe Operationspläne ausgearbeitet und schwierige logistische Vorbereitungen getroffen werden.
Auch ein Brief Barack Obamas an Karsai, veröffentlicht am 21. November dieses Jahres, konnte die Hängepartie – manche Beobachter sprechen lieber von einem „Duell“ Karsais mit den USA – nicht beenden. Fast schon händeringend hatte der US-Präsident in seiner Note den Präsidenten der Islamischen Republik Afghanistan daran erinnert, welch hohen Blutzoll man bisher für den Aufbau seines Landes und im Kampf gegen die Aufständischen habe entrichten müssen. Obamas Werben um Karsais Unterschrift unter das Sicherheitsabkommen blieb bis heute erfolglos.
Wer will es nun den Vereinigten Staaten verdenken, wenn sie inzwischen mit der „Zero Option“ (Nulllösung) drohen und auch liebäugeln, dem Totalrückzug. Es würde in diesem Fall ab 2015 kein internationaler Soldat mehr in Afghanistan stationiert sein. Die zugesagte Entwicklungshilfe für die Afghanen in Höhe von acht Milliarden Dollar im Jahr dürften dann ebenfalls gestrichen werden.
Auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte am 4. Dezember beim Treffen der Außenminister des Bündnisses die Regierung in Kabul auf eine rasche Unterzeichnung des Sicherheitsabkommens gedrängt. „Wir alle brauchen Klarheit und Gewissheit. Und wir brauchen sie bald“, so Rasmussen gegenüber den afghanischen Ministern Zarar Ahmad Osmani (Außen) und Mohammad Omar Daudzai (Innen). Das Abkommen zwischen Washington und Kabul sei wegweisend für alle weiteren Vereinbarungen mit anderen Truppen stellenden Ländern, die sich nach Ende des Kampfeinsatzes im Jahr 2014 weiterhin am Hindukusch im Rahmen der neuen Mission „Resolute Support“ engagieren wollen. „Es ist klar, wenn das Abkommen nicht unterzeichnet wird, kann es keinen Einsatz geben, und die geplante Unterstützung ist in Gefahr“, hatte Rasmussen überraschend offen bei der Brüsseler Tagung erklärt.
Von großer Kriegsmüdigkeit in den USA zeugt auch eine zweite Meinungsumfrage, in Auftrag gegeben von der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Der am 18. Dezember veröffentlichten Erhebung zufolge glauben 57 Prozent der Befragten, dass der Afghanistaneinsatz ein Fehler war und ist. 51 Prozent sind der Meinung, die Situation in Afghanistan werde sich nicht ändern (32 Prozent fürchten eine Verschlechterung, lediglich 16 Prozent sind von einer Verbesserung der Lage überzeugt). Eine große Mehrheit der befragten US-Amerikaner (53 Prozent) bezeichnet den Truppenabzug insgesamt als „viel zu langsam“. Präsident Obama erhält für seine Afghanistan-Politik mit 53 Prozent Ablehnung (gegenüber 45 Prozent Zustimmung) ein denkwürdiges Zeugnis.
Zu Beginn des Afghanistanfeldzuges – nach den Anschlägen des 11. September 2001 – sahen die Umfrageergebnisse noch völlig anders aus. Eine damalige Erhebung beispielsweise (beauftragt von ABC News und Washington Post) belegte die Zustimmung von 94 Prozent der Befragten US-Bürger für die Militärmission in Zentralasien. Gut ein Jahrzehnt ist dies her …
Zu unseren beiden Infografiken:
1. Die Meinungsforscher von Langer Research Associates befragten telefonisch im Auftrag von ABC News und Washington Post eine repräsentative Auswahl von US-Bürgern (1005 Personen) unter anderem zum Thema „Afghanistan“. Eine Frage lautete: „Wenn Sie die bisher entstandenen Kriegskosten der USA mit den in Afghanistan erzielten Erfolgen vergleichen, zu welcher Meinung gelangen Sie dann? Hat sich dieser Einsatz in Afghanistan gelohnt? Oder nicht?“. Eine weitere Frage lautete: „Sollten die Vereinigten Staaten in den kommenden Jahren all ihre Truppen aus Afghanistan abziehen? Oder sollten dort künftig US-Soldaten zur Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte stationiert werden?“.
Die Aufnahme zeigt zwei Angehörige der U.S. Army National Guard in der westafghanischen Provinz Farah.
(Foto: Benjamin Addison/U.S. Navy, Infografik © mediakompakt 12.13)
2. Unsere zweite Grafik verdeutlicht eindrucksvoll die Veränderungen im öffentlichen Meinungsbild zu Afghanistan in den Jahren 2007 bis 2013. Das Institut Langer hatte auch in diesem Zeitraum im Auftrag von ABC News und Washington Post die Frage nach dem Sinn des Kampfes in Afghanistan gestellt. Aus der schwindenden Zustimmung der US-Amerikaner für diese Mission in Zentralasien wurde eine rasch wachsende Ablehnung.
Die Aufnahme entstand ebenfalls in der Provinz Farah und zeigt einen Angehörigen des Infanterieregiments 1-182 auf Wache.
(Foto: Alexandra Hoachlander/ISAF/U.S. Air Force, Infografik © mediakompakt 12.13)