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Kabul (Afghanistan)/Potsdam. Der afghanische Soldat, der am 5. August (Dienstag) in der „Marshal Fahim National Defense University“ in Kabul einen US-amerikanischen Generalmajor erschossen und nach Angaben des afghanischen Nachrichtensenders TOLOnews 16 weitere Angehörige der Koalitionstruppen verwundet hat, soll sich nach Informationen von Associated Press (AP) vor dem Anschlag in einem Toilettenraum versteckt haben. Die Behörden identifizierten den Angreifer, der etwa 25 Jahre alt war, als Angehörigen der afghanischen Nationalarmee aus der Provinz Paktiya. Der Mann mit Namen Rafiqullah soll bereits fast drei Jahre bei der Armee gedient haben, hieß es. Er eröffnete mit seinem NATO-Sturmgewehr das Feuer, als der General der U.S. Army und seine Begleiter in der Nähe vorbeigingen.

Wie das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam unmittelbar nach der Tat mitteilte (wir berichteten), ereignete sich der Anschlag am Dienstag um 9.53 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit/12.23 Uhr afghanischer Zeit während eines Treffens der hochrangigen ISAF-Vertreter mit ihren jeweiligen afghanischen Ansprechpartnern (Schlüsselpersonen). Diese Begegnung im Rahmen des sogenannten Key Leader Engagements fand im Camp Qargha am westlichen Stadtrand von Kabul statt. In dem von den Briten generalüberholten Areal befindet sich auch die „Marshal Fahim National Defense University“, auf deren Gelände das Attentat geschah.

Bei dem getöteten US-General handelt es sich um den 55 Jahre alten Harold J. Greene aus Falls Church im US-Bundesstaat Virginia. Sein Name wurde bereits am 5. August in einer Presseerklärung des Pentagon bekanntgegeben. Darin kondolierte der Generalstabschef der U.S. Army, General Raymond T. Odierno, den Hinterbliebenen des hochrangigen Heeresoffiziers.

Nach einer Meldung des afghanischen Nachrichtensenders TOLOnews wurden bei dem Attentat in der Universität insgesamt 16 Soldaten verwundet: drei afghanische Soldaten (unter ihnen ein General), zehn US-Soldaten, zwei britische Soldaten sowie der deutsche Brigadegeneral Michael Bartscher.

Mitglied der ministeriellen Beratergruppe in Kabul

Der 56-jährige Bartscher, zuletzt in der afghanischen Hauptstadt Kabul als Berater in der sogenannten Ministerial Advisory Group (sie berät das afghanische Verteidigungsministerium) eingesetzt, wurde nach dem Anschlag zunächst in das Militärkrankenhaus in Baghram gebracht. Später flog man ihn zur weiteren Behandlung in das deutsche Feldlazarett ins nordafghanische Mazar-e Sharif. Am 13. August wurde der Brigadegeneral nach Deutschland ausgeflogen. Wie das Einsatzführungskommando am 14. August mitteilte, ist der Zustand des Patienten gut, die ambulante Behandlung dauere an.

Michael Bartscher hatte nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität der Bundeswehr München zunächst verschiedene Fach- und Führungsverwendungen in der Logistik durchlaufen. Bis 2012 war er im Range eines Oberst i.G. Kommandeur des damaligen Logistikregiments 46 in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Diez gewesen.

Danach, im Oktober 2012, trat Bartscher seinen neuen Dienstposten als Referatsleiter für Planung und Organisation sowie Controlling im Verteidigungsministerium an. Nach einem Lehrauftrag als Dozent für Wirtschaftlichkeit und Controlling an der Führungsakademie der Bundeswehr im Hamburg übernahm er im Einsatzführungskommando die Verantwortung für die Logistik bei den deutschen Auslandseinsätzen. Im Camp Marmal in Mazar-e Sharif war der Offizier schließlich lange Zeit für die Logistik im Regional Command North (RC North) im Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) zuständig.

„Ihm lag die Zukunft des afghanischen Volkes am Herzen“

Harold „Harry“ J. Greene, Jahrgang 1959, graduierte 1980 am Rensselaer Polytechnic Institute in Troy im US-Bundesstaat New York. Seine Abschlüsse machte er in den Fachbereichen „Werkstofftechnik“ und „Qualitätsmanagement“. Unmittelbar danach wurde er Second Lieutenant des Reserve Officer Training Corps (ROTC). Der Angehörige der Pioniertruppe erlangte im Laufe der folgenden Jahre weitere akademische Auszeichnungen. Die University of Southern California in Los Angeles beispielsweise verlieh ihm einen Doktortitel in Materialwissenschaften. Am United States Army War College in Carlisle, Pennsylvania, schloss Greene als Master of Strategic Studies ab (der Studiengang befasst sich mit sicherheitspolitischen und militärischen beziehungsweise verteidigungspolitischen Fragen).

Nach Verwendungen auf verschiedenen Dienstposten, unter anderem in Deutschland und in der Türkei, wurde Oberst Greene im Dezember 2009 Brigadegeneral. Am 2. September 2012 wurde er zum Generalmajor befördert.

Im Januar 2014 wurde Harold Greene nach Kabul als stellvertretender Kommandeur des Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) versetzt. Die multinational aufgestellte CSTC-A auf der Militärbasis Camp Eggers in Kabul ist eine der wichtigsten Institutionen beim Aufbau, beim Training und bei der Weiterentwicklung der afghanischen Sicherheitskräfte.

Juanita Chang, eine Sprecherin der U.S. Army, zeigte sich nach dem Tod von Generalmajor Greene sichtlich erschüttert. Mit Blick auf seine Arbeit beim CSTC-A sagte sie: „Er war nicht in Afghanistan, um zu kämpfen. Er war hier, weil ihm die Zukunft des afghanischen Volkes am Herzen lag. Der Einsatz hierfür war viel schwieriger, als der militärische Kampf. Er war hier, um die Afghan National Security Forces voranzubringen.“

Streit mit einem Vorgesetzten oder doch ein Innentäter der Taliban?

Was den jungen afghanischen Soldaten Rafiqullah zu seiner Tat bewogen oder verleitet haben mag, werden wir wohl nie erfahren. Hatte er vor dem Anschlag eine Auseinandersetzung mit einem Vorgesetzten? Diese Möglichkeit nannte ein Angehöriger der US-Armee, der anonym bleiben wollte, gegenüber AP. Oder war er von den Aufständischen für diese „Insider-Attacke“ präpariert worden? Immerhin ist die Provinz Paktiya, aus der der Attentäter stammte, als Heimat der Haqqani-Kämpfer bekannt, die eng mit den Taliban kooperieren.

Fest steht jedenfalls, dass Rafiqullah an diesem Dienstag mit anderen afghanischen Armeeangehörigen auf Patrouille gewesen war. Alle hatten nach dem Dienst ihr NATO-Sturmgewehr abgegeben, nur der spätere Mörder von Greene nicht. Er verschwand, versteckte sich in der Toilette und schoss auf den US-General und die anderen Teilnehmer des Briefings, als diese in Sicht waren. Harold Greene wurde hinterrücks getroffen. Der Attentäter wurde gestellt und erschossen.

Vertrauensverhältnis zwischen den Verbündeten „keinesfalls belastet“

Konteradmiral John Kirby, der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, bezeichnete die sogenannten „Green-on-Blue“-Vorfälle in Afghanistan als äußerst ernste Bedrohung (bei „Green-on-Blue“-Attacken richten afghanische Sicherheitskräfte die Waffen gegen ihre Verbündeten oder gegen Kameraden; der Ausdruck hat mit dem Farbcodierungssystem der NATO zu tun – Grün für die nationalen afghanischen Kräfte, Blau für ISAF).

Kirby versicherte aber zugleich, dass diese Angriffe das Vertrauensverhältnis zwischen den Afghanen und den Koalitionstruppen keinesfalls belasten würden. Wörtlich sagte er: „Afghanistan ist immer noch ein Kriegsschauplatz. Deshalb ist es unmöglich, diese Insider-Angriffe völlig zu beenden – besonders hier in diesem Land. Aber wir können hart daran arbeiten, die Folgen dieser Vorfälle abzumildern und schließlich die Angriffe von innen insgesamt zu verringern. Dies ist es auch, was ISAF bislang getan hat.“

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, glaubt angesichts des jüngsten Anschlags auf Generalmajor Harold Greene, Brigadegeneral Michael Bartscher und weitere westliche Soldaten in Afghanistan nicht, dass noch wesentlich mehr für die Sicherheit getan werden kann. Der Mitteldeutschen Zeitung sagte er am 6. August: „Die Sicherheit der deutschen Soldaten hat sich im Prinzip verbessert, weil sie nicht mehr im Außenbereich unterwegs sind und keine Kampfaufträge mehr haben.“ Das Risioko von Innentätern sei allerdings auch künftig nicht auszuschließen.

Nirgendwo auf der Welt geschützt vor böser Überraschung

Harold J. Greene wurde am 14. August mit höchsten militärischen Ehren auf dem Arlington National Cemetry nahe Washington beigesetzt. Er ist der ranghöchste Offizier der Vereinigten Staaten, der durch Feindeshand starb, seit Generalleutnant Timothy Joseph Maude (Maude verlor sein Leben am 11. September 2001 beim Terrorangriff der al-Qaida auf das Pentagon).

Hunderte Menschen waren an diesem milden Donnerstagnachmittag gekommen, um Generalmajor Greene die letzte Ehre zu erweisen. Unter den Trauernden waren auch US-Verteidigungsminister Chuck Hagel und zahlreiche Generale der US-Streitkräfte. Angehörige des 3rd U.S. Infantry Regiments trugen den Sarg. Nach den militärischen Salutschüssen übergab Generalstabschef Raymond Odierno die US-Flagge, die den Sarg bedeckt hatte, an Susan Myers, die Witwe. Greenes Kinder, Matthew (First Lieutenant in der U.S. Army) und Amelia, sowie Greenes Vater erhielten ebenfalls Flaggen, die zuvor den Sarg berührt hatten.

Der 85 Jahre alte Harold F. Greene, Veteran der US-Armee, hatte sich lange schon auf ein Treffen mit seinem Sohn am 8. August gefreut. An diesem Freitag wollte der General aus Afghanistan zu einem zweiwöchigen Kurzurlaub in den USA eintreffen, zunächst den Vater in Guilderland (Albany, New York) abholen und dann mit ihm weiter nach Boston fahren. Dort hatte sich die ganze Familie verabredet.

„Es gibt nirgendwo auf der Welt einen Schutz vor böser Überraschung“, kommentierte Green gegenüber Reportern traurig den Tod seines Sohnes in Afghanistan. Ein Attentäter im Camp Qargha, der mit einem Sturmgewehr in einer Toilette lauerte, bestätigte am 5. August 2014 die Lebensweisheit eines pensionierten Lehrers auf grausame Weise.


Zu unseren vier Aufnahmen:
1. Der Leichnam von US-Generalmajor Harold J. Greene wurde am 7. August 2014 in die USA überführt. Das Bild zeigt die Ankunft des Sarges auf der Dover Air Force Base.
(Foto: Roland Balik/U.S. Air Force)

2. Der 55 Jahre alte Greene starb an 5. August 2014 in der afghanischen Haupstadt Kabul bei einem „Innentäter“-Angriff. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.
(Foto: U.S. Army)

3. Greene bei einem Vortrag im Mai 2010 an seiner früheren Schule, dem Rensselaer Polytechnic Institute in Troy. Die Aufnahme zeigt ihn als Brigadegeneral.
(Foto: Mark Marchand/Rensselaer Polytechnic Institute)

4. Der 56-jährige deutsche Brigadegeneral Michael Bartscher wurde bei dem Anschlag im Camp Qargha verwundet. Mittlerweile ist er wieder in Deutschland. Das Bild zeigt ihn im Dienstgrad Oberst.
(Foto: Bundeswehr)


Kommentare

  1. Bartscher | 14. Januar 2015 um 19:44 Uhr

    Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für diese sachliche Darstellung des Attentats am 05. August 2014. Zur Vervollständigung ihres Lagebildes, darf ich Ihnen mitteilen, dass ich am 05. September 2014 wieder nach Afghanistan zurück verlegt bin. Mit Beginn der Mission Resolute Support habe ich die Aufgabe des Branch Head CJ 7 im HQ Resolute Support übernommen und zeige mich für den Bereich Human Ressoures, Training und Exercise der afghanischen Armee sowie afghanischen Polizei verantwortlich.

    Mit freundlichen Grüßen aus Kabul
    Ihr Michael Bartscher, Brigadegeneral

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