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Brüssel (Belgien)/Straßburg (Frankreich). Das Motto ist Programm: „In Vielfalt geeint“, dieser Leitspruch der Europäischen Union (EU) zieht sich als roter Faden durch alle parlamentarischen Aktivitäten der Gemeinschaft und findet sich dabei auch auf offiziellen Dokumenten der Abgeordnetenversammlung wieder. „In Vielfalt geeint“, so heißt es auch auf den Deckblättern zweier verteidigungspolitischer Berichte, die am 21. November vom Europäischen Parlament verabschiedet wurden. Die griechische Europaabgeordnete Maria Eleni Koppa trug an diesem Donnerstag zum aktuellen Stand der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) vor, ihr folgte der deutsche Parlamentarier Michael Gahler mit seinem Bericht „Industrielle und technologische Grundlagen der europäischen Verteidigung“.

Die Berichte der griechischen Politikerin (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament, kurz S&D) und des hessischen Europaabgeordneten (Fraktion der Europäischen Volkspartei, EVP) fokussieren bereits völlig auf den sogenannten Verteidigungsgipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am 19. und 20. Dezember in Brüssel. Die Initiative zu diesem Sondergipfel ging von Herman Van Rompuy, dem Präsidenten des Europäischen Rates, aus. Es sollen und müssen Antworten gefunden werden auf die sinkenden Verteidigungsetats der EU-Mitgliedsländer und die gewachsenen sicherheitspolitischen Herausforderungen für die Union.

Reagieren auf die neue geostrategische Entwicklung

Catherine Ashton, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, hatte sich am 7. September dieses Jahres bereits deutlich zum europäischen Dauerbrenner „Sicherheit und Verteidigung“ in Litauens Hauptstadt Vilnius geäußert. Im Anschluss an das dortige informelle Treffen der Verteidigungsminister der 28 EU-Staaten hatte sie in einem Papier die Regierungen dazu aufgefordert, mit der Zusammenarbeit bei Rüstungsprojekten ernst zu machen und die gemeinsame Rüstungsindustrie zu stärken. Die USA kümmerten sich stärker um Asien und die Wirtschaftskrise führe zu immer geringeren Verteidigungsausgaben in Europa, hatte Ashton gewarnt. Europa müsse seine Sicherheits- und Verteidigungspolitik angesichts dieser geostrategischen Entwicklungen anpassen.

Dringend erforderlich sei auch eine schnelle Grundsatzentscheidung über die strittige Frage der gemeinsamen Finanzierung von EU-Einsätzen und über die Zukunft der vor zehn Jahren gegründeten, jedoch noch nie eingesetzten Schnellen Eingreiftruppe der Union (EU-Battlegroup). Außerdem drohten der massive Rückgang der Verteidigungsausgaben sowie die völlig unterschiedlichen nationalen Anforderungen an Wehrmaterial „die Zukunftsfähigkeit der strategisch wichtigen Verteidigungsindustrie zu gefährden“, so Catherine Ashton weiter.

Europäisierung aller Verteidigungsressourcen

Deutliche Worte zum „Europa der Verteidigung“ formulierte vor Kurzem auch Markus C. Kerber, von 1991 bis 2001 Gastdozent an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und heute Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin.

In einem Gastkommentar für das Onlineformat „EU-Infothek“ beklagte er die „Windstille im Europa der Verteidigung“. Kerber: „Angesichts der überbordenden Verschuldungsprobleme innerhalb der EU wäre es sicherlich vernünftiger, zunächst viele Beschaffungen zusammenzulegen. Stattdessen geht die Kleinstaaterei mit Mini-Dossiers munter weiter.“ Ohne eine Europäisierung der Ressourcen könne die „Verteidigung Europas durch Europa“ nicht gelingen, befürchtet der Wissenschaftler.

Verteidigungsgipfel mit drei übergeordneten Zielen

Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Länder sollen bei ihrer Dezembertagung nun der GSVP einen neuen Anstoß geben, ja förmlich neues Leben einhauchen. Nichts anderes kann das Ziel dieses zweitägigen Treffens auf allerhöchster politischer Ebene sein (auch wenn Skeptiker wie Kerber fürchten, dass dieser europäische Verteidigungsgipfel mit einigen mageren Erklärungen zu Ende gehen wird, ohne dass man „auf dem Weg zu einer europäischen Verteidigung auch nur einen Schritt vorwärts“ gekommen sei).

In einem Medienpapier des Europäischen Rates zu der kommenden Veranstaltung im Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäude finden sich noch einmal die drei zentralen Achsen, um die sich der GSVP-Gipfel drehen wird. Folgende drei miteinander verbundene Ziele sollen die Gipfelteilnehmer bei ihren Beratungen und Entscheidungen leiten: Operative Effizienz, Verteidigungsfähigkeiten, Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie.

Bei der „Operativen Effizienz“ geht es dem Rat zufolge darum, auf „Krisen besser reagieren und die richtigen Fähigkeiten rasch und effizient einsetzen zu können. Auch soll das umfassende Konzept der EU, alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente in den Dienst der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zu stellen, weiterentwickelt werden“.

Zum Ziel „Verteidigungsfähigkeiten“ heißt es in dem Ratspapier: „Es gilt, die militärischen und zivilen Fähigkeiten an den künftigen Bedarf anzupassen. Eine systematischere und längerfristig angelegte europäische Verteidigungszusammenarbeit könnte dazu beitragen, die Fähigkeitslücken zu schließen, beispielsweise in dem bei der nationalen Planung gleich von Anfang an über eine Bündelung und gemeinsame Nutzung von Mitteln nachgedacht wird.“

Bei der Zielvorgabe „Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie“ soll die Gemeinschaft den Aufbau einer stärker integrierten und wettbewerbsfähigeren industriellen Basis für die europäische Verteidigungsindustrie – beispielsweise durch Förderung eines gut funktionierenden Verteidigungsmarktes sowie der Forschung und Entwicklung – anstreben. Dabei, so der Rat weiter, gehe es auch um Beschäftigung, Innovation und Wachstum (die europäische Verteidigungsindustrie beschäftigt rund 400.000 Menschen und sorgt indirekt für 960.000 weitere Arbeitsplätze und zahlreiche Innovationen).

Kostensenkung durch Synergien statt Kleinstaaterei

CDU-Europaabgeordneter Michael Gahler hat sich seit längerer Zeit bereits besonders dem Thema „Zukunft der europäischen Rüstungsindustrie“ verschrieben. Am 19. Juni dieses Jahres beispielsweise hatte er im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung (Subcommittee on Security and Defence, SEDE) des Europäischen Parlaments seine Vorstellungen zum Komplex „Operativ handlungsfähige Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik und starke eigenständige europäische Rüstungsbasis“ vorgestellt.

Nun, nach der Verabschiedung des Berichtes „Industrielle und technologische Grundlagen der europäischen Verteidigung“ durch das Europäische Parlament am 21. November in Straßburg, kommentierte Gahler die richtungweisende Entschließung mit den Worten: „In Zeiten knapper Kassen müssen die EU-Staaten stärker zusammenarbeiten. Wir brauchen im Verteidigungssektor Kostensenkungen durch Synergien statt einem Festhalten an Kleinstaaterei.“ Das Leitmotiv der Union „In Vielfalt geeint“ klingt auch an, wenn Gahler weiter fordert: „Zwar kooperieren viele EU-Staaten bereits heute bei großen Rüstungsprojekten. Aber wir müssen weg von der Kooperation bei Einzelprojekten hin zu einer umfassenden strukturierten Zusammenarbeit. Dies ist der einzige Weg, um Europas technologischen Vorsprung zu halten und die Kosten zu senken. Wir müssen auch eine eigene industrielle Basis beibehalten, um in der Lage zu sein, autonom die vereinbarten GSVP-Missionen zu führen.“

Position der Europäischen Verteidigungsagentur stärken

Neben der zentralen Parlamentsforderung nach mehr gemeinsamer Verteidigungsforschung und mehr Beschaffungsprojekten auf EU-Ebene (anstelle nationaler Alleingänge) sprach sich die Versammlung auch für eine „stärkere Koordinierungsfunktion“ für die Europäische Verteidigungsagentur aus. Die European Defence Agency (EDA) soll so bei der Planung und Beschaffung von Rüstungsgütern die begrenzten Mittel effizienter einsetzen und gleichzeitig damit auch einen höheren Grad an Interoperabilität erreichen können.

Daneben betrachtet das Europäische Parlament die Entwicklung gemeinsamer industrieller Standards und Zertifizierungsverfahren als lebensnotwendig. Der sicherheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion: „Die Zeiten der rein nationalen Forschungs- und Beschäftigungsprojekte sind vorüber. Die Europäische Verteidigungsagentur bietet die Möglichkeit, weniger auszugeben und mehr zu erreichen. Die Mitgliedsstaaten müssen von nationalen Prestigeprojekten wegkommen und durch die EDA zusammenarbeiten“, so Gahler. Also auch hier: In Vielfalt geeint …

Hinweis: Den Gahler-Bericht über die verteidigungstechnologische und -industrielle Basis Europas, das Plenarsitzungsdokument A7-0358/2013 des Europäischen Parlaments, bieten wir Ihnen als PDF in unserer BIBLIOTHEK (Bereich „Schwarz auf weiß“) zum Download an; wir sind jedoch für die Inhalte dieses Schriftstücks nicht verantwortlich.


Unser Symbolbild entstand 2011 im EU-Parlamentsgebäude im französischen Straßburg. Das zweite Bild zeigt die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, im Europäischen Parlament im September 2013.
(Fotos: Europäische Union/Europäisches Parlament)


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