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Berlin/Brüssel (Belgien). Die Bundeswehr beteiligt sich ein weiteres Jahr am Anti-Piraten-Einsatz der Europäischen Union (EU) vor der somalischen Küste. Damit folgte das Parlament mehrheitlich einem entsprechenden Antrag der Bundesregierung sowie der dazu ergangenen Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses. Das Bundeswehr-Mandat für diese EU-geführte Operation (Bezeichnung EU NAVFOR Somalia – Atalanta) gilt nun bis zum 31. Mai 2014, es erlaubt die Entsendung von bis zu 1400 deutschen Soldaten. Unsere Marine beteiligt sich seit dem 23. Dezember 2008 an Atalanta.

Der Bundestag verlängerte diese Auslandsmission der Bundeswehr am 16. Mai mit 310 Ja-Stimmen bei 206 Nein-Stimmen und 61 Enthaltungen. Derzeit ist die Marine mit der Fregatte „Augsburg“ am Horn von Afrika präsent, diese löste am 3. April die Fregatte „Karlsruhe“ ab. Rund 260 Bundeswehrangehörige sind im Augenblick (Stichtag 5. Juni) im Atalanta-Einsatz.

Die EU verfolgt mit Atalanta, ihrer ersten maritimen Mission, eine Eindämmung der Piraterie am Horn von Afrika und im Seegebiet des Indischen Ozeans bis zu 500 Seemeilen vor der Küste Somalias und seiner Nachbarländer. Vorrangig werden Schiffe für das Welternährungsprogramm (WEP) und für die AMISOM, die Mission der Afrikanischen Union in Somalia zur Stabilisierung des Landes, geschützt. Gesichert wird zudem – so weit möglich – sonstiger ziviler Schiffsverkehr auf den dortigen Handelswegen. Atalanta soll vor allem auch Geiselnahmen und Lösegelderpressungen unterbinden und das Völkerrecht in dieser Region durchzusetzen.

Strategischer Rahmen für das Horn von Afrika

Die Europäische Union engagiert sich in diesem Teil Afrikas mit einem umfassenden Einsatz, der zivile und militärische Elemente enthält und miteinander kombiniert. Es handelt sich neben dem Engagement im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) – also der Operation Atalanta – um die EU-geführte Ausbildungsmission für somalische Soldaten (EUTM Somalia) in Uganda und um die Mission EUCAP Nestor. Mit EUCAP Nestor unterstützt die EU die Nachbarstaaten Somalias, leistungsfähige Agenturen zur selbstständigen Kontrolle des eigenen Seeraums zu schaffen. Zudem soll Somalia in die Lage versetzt werden, Kapazitäten zur Kontrolle seines Küstengebiets sowie zur Pirateriebekämpfung aufzubauen und zu fördern. Die Mission berät auch bei rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit maritimer Sicherheit.

Piraterie verursacht Kosten in Milliardenhöhe

Die Kosten für die Anti-Piraten-Mission am Horn von Afrika bestreiten zum einen die daran beteiligten EU-Staaten aus ihren nationalen Haushalten. Die Bundesregierung beispielsweise veranschlagt die „einsatzbedingten Zusatzausgaben“ für die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Atalanta für den Zeitraum 1. Juni 2013 bis 31. Mai 2014 auf rund 92,4 Millionen (diese „einsatzbedingten Zusatzausgaben“ werden aus den bestehenden Ansätzen des Einzelplans 14 bestritten).

Zum anderen stehen EU-Gelder nach dem „Mechanismus zur Finanzierung gemeinsamer Militäroperationen“ (Athena-Mechanismus) zur Verfügung. Für Atalanta waren dies im Jahr 2010 rund 8,4 Millionen, 2011 rund 8,05 Millionen und 2012 rund 8,3 Millionen Euro. Fast 15 Millionen hält das „Athena-Konto“ noch für das Mandat bis einschließlich Dezember 2014 bereit.

Nach Berechnungen der unabhängigen, privat finanzierten US-Organisation „Oceans Beyond Piracy“ (OBP) beliefen sich allein am Horn von Afrika im Jahr 2012 die durch Piraterie verursachten Gesamtkosten auf rund sechs Milliarden US-Dollar. Etwa 1,09 Milliarden US-Dollar davon entfielen OBP zufolge auf den Bereich „Militär“ (alleine die administrativen Kosten für die drei großen maritimen Operationen gegen die Seeräuberei in dieser Region – die EU-Operation Atalanta, die NATO-geführte Operation Ocean Shield und die multinationale Combined Task Force 151 – veranschlagt OBP dabei für 2012 mit etwa 22,8 Millionen US-Dollar).

In ihrem Jahresbericht „The Economic Cost of Somali Piracy 2012“ zitiert die Organisation auch einen hohen militärischen Vertreter der EU, der allerdings anonym bleiben will. Nach seinen Informationen kostet die Operation EU NAFVOR – Atalanta die daran beteiligten EU-Mitgliedsländer jährlich etwa 1,96 Milliarden US-Dollar, rund 11,4 Millionen davon sollen „gewöhnliche administrative“ Kosten sein.

Somalische Piraten (vorerst) auf dem Rückzug

Die internationale Militärpräsenz vor der Küste Somalias am Horn von Afrika im Golf von Aden scheint Wirkung zu zeigen. Am 10. Mai dieses Jahres waren genau zwölf Monate vergangen, in denen somalische Piraten kein Schiff in ihre Gewalt bringen konnten. Laut Jahresbericht 2012 des Internationalen Schifffahrtsbüros (International Maritime Bureau, IMB) der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC) überfielen Piraten hier im vergangenen Jahr so wenige Schiffe wie zuletzt vor fünf Jahren. Weltweit hatte das IMB dabei 297 Übergriffe verzeichnet, im Jahr 2011 waren es noch 439 gewesen. Vor allem der Rückzug somalischer Piraten führt zu dieser erfreulichen Entwicklung, die sich auch in den ersten drei Monaten dieses Jahres fortsetzte.

In den Monaten Januar bis März 2013 haben Piraten insgesamt 66 Schiffe auf den Weltmeeren angegriffen. Im Vergleichszeitraum 2012 waren es mit insgesamt 102 Überfällen noch bedeutend mehr gewesen. Im Seegebiet von Somalia wurden aktuell fünf Vorfälle verzeichnet. „Obwohl die Zahl der Piratenangriffe vor Somalia stark zurückgegangen ist, gibt es keinen Grund zur Entwarnung“, sagte IMB-Direktor Pottengal Mukundan der Presse. „Der Rückgang ist eine Folge von proaktiven Einsätzen gegen vermutete Piratengruppen. Zudem wurden private Sicherheitsdienste angeheuert, und kommerzielle Reedereien haben präventive Maßnahmen ergriffen.“ Die Angriffe würden wieder zunehmen, sobald die Präsenz der bewaffneten Marine und die Wachsamkeit an Bord abnehmen, warnte Mukundan.

Eine neue Hochrisikoregion vor Westafrika

Das weitaus größere Problem stellen mittlerweile die Seegebiete vor Westafrika dar. Die Gewässer zwischen der im Norden gelegenen Republik Elfenbeinküste und der Demokratischen Republik Kongo im Süden gelten inzwischen als die heiße Zone der Seeräuberei, als Hochrisikoregion. Im Golf von Guinea vor der westafrikanischen Küste bleibt die Zahl der registrierten Überfälle im ersten Quartal 2013 mit insgesamt 15 besorgniserregend hoch. In drei Fällen handelte es sich um Entführungen. Allein vor der Küste von Nigeria zählte das IMB elf Übergriffe.

Nach IMB-Berechnungen sind die Überfälle im Golf von Guinea 2012 im Vergleich zu 2011 um insgesamt 42 Prozent gestiegen. Die Deutsche Welle dazu kürzlich in einem Beitrag „Der Golf von Guinea – die neue Piratenhochburg?“: „Die Gründe für die schlechte Sicherheitslage auf hoher See sehen Experten an Land. Die Anrainerstaaten sind geprägt von politischer Instabilität und sozialen Konflikten.“

Verarmte Fischer auf dem Weg in die Kriminalität

In ihrer Studienarbeit „Die Entstehung von Piraterie“, veröffentlicht 2012, hat Ricarda Stienhans etliche Parallelen zwischen den von dieser Kriminalität betroffenen Ländern Somalia, Nigeria und Indonesien herausgearbeitet. Ihre am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn entstandene wissenschaftliche Analyse kommt zu folgendem Schluss: Der Vergleich der drei äußerst unterschiedlichen Länder und maritimen Regionen zeigt, dass die Ursachen und Faktoren, die hier zu Seeräuberei führen, meist übereinstimmen. In allen drei Länder ist der Piraterie eine Überfischung der dortigen Gewässer vorangegangen. Die ersten Piraten waren meist verarmte Fischer, die durch die modernen Hochseetrawler ihrer Lebensgrundlage entrissen wurden und ihren Ausweg allein in der Piraterie sahen.

Stienhans stellt bei ihrer Untersuchung der historischen, sozialen, politischen und geopolitischen Aspekte des Piratenunwesens weiter fest: „Zentraler Ausgangspunkt ist die Armut und die damit verbundene Arbeits- und Perspektivlosigkeit der Bevölkerung. Dies ist nicht verwunderlich, da Armut generell zu Kriminalität führt und Piratenangriffe kriminelle Akte sind. Eine weitere wichtige Grundbedingung für die Entstehung von Piraterie ist die dafür günstige geografische Lage. An den drei Ländern laufen jeweils wichtige Handelsrouten entlang, beziehungsweise im Fall von Nigeria gehen sie von dem Land selbst aus, wodurch nicht nur dem Ausland, sondern auch dem Heimatland der Piraten erheblicher Schaden zugefügt wird. Auch der Staatszerfall, beziehungsweise die eingeschränkte Staatlichkeit, spielt laut dem Vergleich eine wichtige Rolle bei der Genese von Piraterie. Das Beispiel von Nigeria zeigt jedoch, dass Piraterie sich auch unter der Herrschaft von autoritären und durchsetzungsstarken Führern entwickeln kann.“

Große potenzielle Bedrohungen für Europa

Mit den maritimen Aspekten einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird sich auch der Rat für Verteidigung bei seiner im Dezember dieses Jahres stattfindenden Tagung befassen. Dann soll er eine „Strategie für Maritime Sicherheit“ für die Europäische Union auf der Grundlage einer Entschließung des Europäischen Parlaments verabschieden.

Den Entschließungsentwurf für das Parlament hat bereits der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten erarbeitet und am 21. Februar dieses Jahres veröffentlicht. In dem Papier bezeichnen die Experten den Golf von Aden bei Somalia auch weiterhin „aufgrund von Piraterie“ als „derzeit eine der gefährlichsten Meeresregionen der Welt“. Die Bekämpfung von Piraterie als spezielle Form des organisierten Verbrechens erfordere einen besonderen, umfassenden und ganzheitlichen Ansatz, der den Kausalzusammenhang zwischen Piraterie und sozialer, politischer und wirtschaftlicher Lage berücksichtige, wie insbesondere das Beispiel des Horns von Afrika und Somalia zeige. Die erste seegestützte Militärmission der Europäer, das Programm EU NAVFOR – Atalanta soll zudem aufgrund der Erfolge bei der Piratenbekämpfung in den Gewässern vor Ostafrika „als Grundlage für die weitere Entwicklung und Durchsetzung der maritimen Aspekte der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik herangezogen“ werden.

Tief besorgt zeigen sich die Autoren des Entschließungsentwurfs über die Entwicklung vor der Küste Westafrikas und im Golf von Guinea. Hier sind, so heißt es in dem Entwurfstext, „derzeit einige der größten potenziellen Bedrohungen Europas beheimaten“. Erwähnt werden müssten in diesem Zusammenhang insbesondere kriminelle Aktivitäten, der Handel mit Drogen, Menschen und Waffen sowie die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen. Gleichzeitig dienten die Staaten am Golf von Guinea regionalen Terrornetzwerken immer mehr als Stützpunkte (wie beispielsweise der Gruppe Boko Haram in Nigeria mit ihren länderübergreifenden Aktionen und Verbindungen zu global tätigen Netzwerken wie „Al-Qaida im islamischen Maghreb“, AQMI). Das Urteil der Ausschussmitglieder ist eindeutig: „Instabilität, Terrorismus und Kriminalität vor der Küste Westafrikas stehen in engem Zusammenhang mit der Sahelregion als Ganzem.“

Piraten in Hamburg – im Museum und vor Gericht

Mit dem Themenkomplex „Piraterie – gestern und heute“ befasste sich vom 10. bis 13. April in Hamburg die Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg und das Internationale Maritime Museum der Hansestadt. Weiterer Kooperationspartner dieser Themenwoche, die Podiumsdiskussionen, Vorträge, Sonderausstellungen und Führungen bot, war die deutsche Marine. An der Podiumsdiskussion in der Helmut-Schmidt-Universität nahmen Vizeadmiral a.D. Hans-Joachim Stricker (Präsident des Deutschen Maritimen Instituts), Christof Lauer (Verband Deutscher Reeder), Kapitän Peter Irminger (Versicherungsdienstleister ZASS International) und Patricia Schneider (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik) teil.

Klaus Gaeth, der in Hamburg mit www.marine-portraits.de „die etwas andere Marineseite im Netz“ betreibt, hat die Veranstaltung begleitet. Unter http://piraterie.marine-portraits.de/themen/themenwoche-2013 finden Sie verteilt auf insgesamt sechs Filme seine Livemitschnitte der Diskussionsrunde in der Universität sowie die der Museumsvorträge.

Hinweis: Das nachfolgende Video zeigt ein Interview von Klaus Gaeth mit Oberstaatsanwalt Dr. Ewald Brandt, Leiter der Staatsanwaltschaft Hamburg, zum Hamburger Piratenprozess. Dieser Prozess dauerte mehr als 100 Verhandlungstage. Er endete am 19. Oktober 2012 mit der Verurteilung von zehn angeklagten somalischen Piraten, unter ihnen drei Jugendliche. Die Gruppe hatte am 5. April 2010 vor der ostafrikanischen Küste den Frachter „Taipan“ gekapert und war danach von Spezialkräften der niederländischen Fregatte „Tromp“ festgenommen worden. Da die „Taipan“ unter deutscher Flagge gefahren war und zwei ihrer Besatzungsmitglieder aus Deutschland stammten, fand der Prozess hier statt. Die sieben Erwachsenen wurden zu sechs bis sieben Jahren Haft verurteilt, die drei Heranwachsenden zu zwei Jahren Jugendstrafe.


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Zu unserem Bildangebot:
1. Die deutsche Marine beteiligt sich an der Anti-Piraterie-Mission der Europäischen Union (EU) seit dem 23. Dezember 2008. Der Rat der EU hat erst vor Kurzem die Verlängerung der Operation Atalanta bis zum 12. Dezember 2014 beschlossen.
(Foto: EU NAVFOR)

2. Ein Boardingteam der Fregatte „Köln“ kontrolliert eine Dhau vor der somalischen Küste – das Bild entstand im März dieses Jahres.
(Foto: Toni Bors/Deutsche Marine)

3. 5. August 2009: Die Fregatte „Brandenburg“ begleitet das deutsche Containerschiff „Hansa Stavanger“ in den Hafen von Mombasa (Kenia). Somalische Piraten hatten das Schiff am 4. April 2009 etwa 400 Seemeilen vor der Küste Somalias gekapert. An Bord waren 24 Seeleute, für die die Piraten Lösegeld forderten. Am 3. August 2009 verließen die Piraten den Frachter, nachdem sich die Reederei und die Entführer auf eine Zahlung von 2,75 Millionen US-Dollar Lösegeld verständigt hatten. Unterhändler warfen das Geld von einem Flugzeug ab. Danach konnte die „Hansa Stavanger“ Kenia anlaufen.
(Foto: EU NAVFOR)

4. Am 3. April 2013 löste die Fregatte „Augsburg“ (im Bild links) in Dschibuti die Fregatte „Karlsruhe“ beim Atalanta-Einsatz ab.
(Foto: EU NAVFOR)

5. Der Organisation „Oceans Beyond Piracy“ (OBP) zufolge beliefen sich die durch Piratenunwesen verursachten Kosten am Horn von Afrika auf etwa 6 Milliarden US-Dollar. Unsere Infografik gibt Aufschlüsse über die Zusammensetzung dieser gewaltigen Summe.
(Foto: EU NAVFOR, Infografik © mediakompakt/Quelle: OBP)

6. Die Besatzung der niederländischen Fregatte „De Ruyter“ überstellt mutmaßliche Piraten an die Behörden der Republik Seychellen – die Aufnahme wurde im Februar 2013 gemacht.
(Foto: EU NAVFOR)

7. Das Internationale Maritime Museum Hamburg beteiligte sich im April dieses Jahres an der Themenwoche „Piraterie – gestern und heute“.
(Foto: Klaus Gaeth)

8. Podiumsdiskussion – von links: Patricia Schneider (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik), Kapitän Peter Irminger (Versicherungsdienstleister ZASS International), Vizeadmiral a.D. Hans-Joachim Stricker (Präsident des Deutschen Maritimen Instituts) und Christof Lauer (Verband Deutscher Reeder).
(Foto: Klaus Gaeth)

9. Auch die deutsche Marine beteiligte sich – neben dem Internationalen Maritimen Museum und der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg – an der Themenwoche „Piraterie“.
(Foto: Klaus Gaeth)


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