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Mons (Belgien)/Kabul (Afghanistan). Philip Mark Breedlove, Vier-Sterne-General der U.S. Air Force und seit dem 13. Mai dieses Jahres neuer Oberbefehlshaber der NATO, äußerte sich am 30. Juli zu einer möglichen ISAF-Folgemission in Afghanistan. Die Planungen der NATO für eine „Post-2014-Mission“ seien bereits in einem fortgeschrittenen Stadium, sagte Breedlove einer Gruppe Journalisten in seinem Hauptquartier in Casteau nahe Mons (Belgien). Man hoffe bis Ende 2013 einen detaillierten Operationsplan mit genauen Angaben zu den einzelnen Kontingenten der Truppen stellenden NATO-Länder vorlegen zu können.

Der Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) erklärte bei dem Pressetermin: „Der Operationsplan ist bereits sehr ausgereift, es fehlen lediglich einige Schlüsselgrößen. Die entscheidendste dabei ist die tatsächliche Anzahl und die Art der Truppen für diesen Post-2014-Afghanistan-Plan.“ Man warte immer noch auf die Detailinformationen einiger NATO-Länder, um die Operationsplanungen abschließen zu können. Dies könnte in der zweiten Herbsthälfte dieses Jahres geschehen. Unklar ist im Moment auch weiterhin die grundsätzliche Haltung von US-Präsident Barack Obama zu einer Folgemission in Afghanistan und zu einem möglichen Umfang von US-Truppen nach dem 31. Dezember 2014.

Zero-Option erscheint eher unwahrscheinlich

Angesprochen auf die Querelen zwischen Kabul und Washington, die seit Monaten zähen Verhandlungen zwischen Afghanistan und den USA über ein Truppenstatut als Voraussetzung der weiteren Stationierung US-amerikanischer Streitkräfte am Hindukusch und Präsident Obamas Drohung mit einer „zero option“ (kompletter Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan im Dezember 2014), sagte Breedlove: „Natürlich wurde auch über die sogenannte zero-Option diskutiert; als Militärführer muss ich alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, die für eine Lagebeurteilung entscheidend sein können.“

Allerdings, so vermittelte der NATO-Oberbefehlshaber in der Presserunde, erscheine ihm ein vollständiger Abzug von US-Truppen aus Afghanistan eher unwahrscheinlich. „Alles, was ich von Verteidigungsminister Chuck Hagel und anderen Ministern unserer Regierung zu diesem Thema gehört habe, legt den Schluss nahe, dass man sich auf eine Post-2014-Mission in Afghanistan festgelegt hat. Und auf diese Option ist auch meine ganze Arbeit ausgerichtet.“

Weiter warten auf die Einladung aus Kabul

Zu der Möglichkeit eines Komplettabzuges der Amerikaner aus Afghanistan hatte sich einige Tage vor Breedlove ein weiterer namhafter US-General geäußert. Bei einem Truppenbesuch am Hindukusch am 21. und 22. Juli sagte Martin E. Dempsey, seit dem 1. Oktober 2011 Vorsitzender des Gremiums der Vereinigten Stabschefs (Chairman Joint Chiefs of Staff) und somit höchstrangiger Soldat der USA: „Aus militärischer Sicht fiele es mir leichter, die afghanische Zukunft klarer zu sehen, wenn wir ein bilaterales Sicherheitsabkommen mit der afghanischen Regierung hätten. Ein solches Abkommen wäre auch für unsere Alliierten die stabile Grundlage, gut ein Jahr lang für eine Nachfolgemission Post-2014 zu planen.“

U.S. Army General Dempsey hatte am 22. Juli in der afghanischen Hauptstadt mit Präsident Hamid Karsai über das Truppenstatut gesprochen. Das Treffen bezeichnete Dempsey bei einer anschließenden Pressekonferenz als „äußerst positiv“. Er habe den Eindruck mitgenommen, dass Karsai ebenso wie die USA sehr am Abschluss einer solchen Sicherheitsvereinbarung interessiert sei, berichtete der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff. Aus seiner Sicht sei es unerlässlich, eine derartige bilaterale Vereinbarung bis spätestens Oktober dieses Jahres zu unterzeichnen, um genügend Zeit für die Vorbereitung der ISAF-Folgemission „Resolute Support“ zu haben.

Dempsey ließ bei der Pressekonferenz in Kabul auch keinen Zweifel an den Alternativen, die man habe (oder nicht habe): „Niemand hat mir aufgetragen, einen Komplettabzug unserer Soldaten aus Afghanistan – die zero-Option – zu planen. Ich empfehle die zero-Option auch nicht. Aber es könnte zu dieser Situation kommen. Denn wir bleiben nur in diesem Land, wenn wir dazu auch von der afghanischen Regierung eingeladen werden. Ich persönlich fühle mich verpflichtet, alles dafür zu tun, um die Voraussetzungen für den Abschluss eines solchen bilateralen Sicherheitsabkommens zu schaffen.“ Sei dieses unterzeichnet, könne unmittelbar danach auch ein ähnliches Abkommen mit der NATO folgen.

Besuch im ISAF-Regionalkommando Nord

Über die aktuelle Lage in Nordafghanistan und den Verlauf des ISAF-Einsatzes in den dortigen Provinzen hatte General Dempsey am Vortag mit der Führung des Regionalkommandos Nord gesprochen. Generalleutnant Mark Milley (U.S. Army), Kommandeur des ISAF Joint Command, hatte Dempsey nach Mazar-e Sharif begleitet. Im Regionalkommando Nord, das seit dem 21. Februar unter Führung des deutschen Generalmajors Jörg Vollmer steht, dienen rund 2000 US-Soldaten und rund 8000 Soldaten aus 17 weiteren NATO-Ländern und Partnernationen.

Vollmer, der das Kommando vor knapp einem halben Jahr von Generalmajor Erich Pfeffer übernommen hatte, informierte seine hochrangigen Besucher über die Situation in den Nordprovinzen Badakhshan, Baghlan, Balkh, Faryab, Jowzjan, Kunduz, Samangan, Sar-e Pul und Takhar (im Augenblick ist die Lage dort teilweise angespannt: am 24. Juli wurde auf deutsche Kräfte in der Nähe des Feldlagers Kunduz ein Sprengstoffanschlag verübt; am 5. August kam es auf einer Verbindungsstraße westlich des Feldlagers zu einem Sprengstoffanschlag auf deutsche Kräfte, die zusätzlich mit Handwaffen und Panzerabwehrhandwaffen beschossen wurden – fünf deutsche Soldaten wurden leicht verwundet). Im Mittelpunkt der Gespräche stand auch das weitere Vorgehen bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte bis Ende kommenden Jahres.

Dempsey erläuterte bei seinem Besuch im RC North auch noch einmal die Stärke der US-Verbände in Afghanistan in diesem und im kommenden Jahr. Die USA wollen nach Auskunft des US-Generals jetzt in den Monaten der Auseinandersetzungen mit den Regierungsgegnern („Fighting Season“) rund 60.000 Soldaten in Afghanistan belassen. Nach Ende der Kampfperiode soll diese Anzahl bis Februar 2014 auf etwa 34.000 Mann reduziert werden. Mit dieser Truppenstärke wollen die USA vorerst auch bis zur afghanischen Präsidentenwahl am 5. April 2014 und über diesen Termin hinaus im Land präsent sein.

Eine Machtprobe unter Verbündeten

Wie schwierig, ja teilweise verfahren die derzeitigen Verhandlungen um ein bilaterales Sicherheitsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Afghanistan sind, verdeutlicht ein Beitrag der New York Times vom 18. Juli. Korrespondent Matthew Rosenberg berichtet darin, dass der Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan erheblich teurer werden könnte als bislang angenommen.

Rosenberg zufolge fordert der afghanische Finanzminister Hazrat Omar Zakhilwal von den USA Strafgebühren wegen fehlender Zollpapiere für die beim US-Abzug genutzten Container mit Militärgütern. Für jeden Container, der Afghanistan im Rahmen des Truppenabzuges verlässt, verlangen die afghanischen Behörden gültige Zollpapiere. Fehlen diese, sei für den Container eine Strafe in Höhe von 1000 US-Dollar fällig, berichtete der Korrespondent der New York Times. Najeebullah Manali, ein Mitarbeiter des afghanischen Finanzministeriums, schätzt, dass die US-Streitkräfte etwa 70.000 Containerladungen abtransportieren müssen. Dies könnte bedeuten, dass bei fehlenden Zolldokumenten Geldstrafen in Höhen von insgesamt rund 70 Millionen US-Dollar fällig wären.

Juristen haben mittlerweile in einer umfangreichen Expertise an den US-Kongress vor diesen enormen Zusatzkosten gewarnt. Die Zahl der Abgeordneten in Washington, die angesichts der drohenden Strafzölle eine entsprechende Kürzung der Wirtschaftshilfen für Afghanistan befürworten, wächst.


Zu unserem Bildangebot:

1. Der Abzug aus Afghanistan kann für die US-Amerikaner noch sehr teuer werden – die afghanischen Finanzbehörden drohen im Falle fehlender Zollpapiere mit hohen Strafgebühren. Das Bild der U.S. Army vom April 2010 zeigt eine vergleichbare Abzugssituation: Tausende US-Fahrzeuge, die den Irak verlassen haben, warten in Kuwait auf ihren Weitertransport in die Vereinigten Staaten.
(Foto: Monte Swift/U.S. Army)

2. NATO-Oberbefehlshaber Philip M. Breedlove.
(Foto: Patrick Grieco/EUCOM)

3. US-General Martin E. Dempsey nach seinem Treffen mit Afghanistans Präsident Hamid Karsai am 22. Juli. Der Vorsitzende des Gremiums „Joint Chiefs of Staff“ beantwortete bei einer Pressekonferenz unter anderem zahlreiche Fragen zur geplanten Folgemission „Resolute Support“.
(Foto: Myles Cullen/DOD)

4. Dempsey am 21. Juli bei seinem Besuch in Mazar-e Sharif, dem Sitz des ISAF-Regionalkommandos Nord.
(Foto: Myles Cullen/DOD)


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