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Bremen/Stuttgart. Guerillakrieg auf dem Land, Kämpfe in urbanem Umfeld, Hinterhalte, Überfälle, Heckenschützen, Sprengfallen, Autobomben, Mordanschläge, Entführungen – aus den symmetrischen Bedrohungen des Kalten Krieges sind, so formulierte es Bundeskanzlerin Angela Merkel 2006 bei der Münchner Sicherheitskonferenz, asymmetrische Bedrohungen völlig neuer Art geworden. Der Kalte Krieg ist vorüber. Auslandseinsätze – ob in Afghanistan gegen die Taliban, vor Somalia im Kampf gegen Piraten oder in Mali gegen Islamisten und Tuareg – stellen völlig neue Anforderungen an das Militär unserer Tage. NATO, Europäische Union und weltweit viele Länder haben rüstungspolitisch auf den Paradigmenwechsel reagiert und steuern bei der Ausstattung ihrer Soldaten nach.

Zahlreiche Nationen haben in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um besonders die Ausrüstung der abgesessenen kämpfenden Truppe entscheidend zu verbessern. Nach Informationen der Initiative „Soldier Modernization“ arbeiten derzeit weltweit 44 Länder an der Ausstattung ihrer Infanteristen. Ob „Combatente Brasileiro“ (Brasilien), „FÉLIN“ (Frankreich), „FIST“ (Großbritannien), „F-INSAS“ (Indien), „ACIES“ (Japan), „NORMANS“ (Norwegen), „Tytan“ (Polen), „Ratnik“ (Russland), „MARKUS“ (Schweden) oder „Land Warrior“ (USA) – Modernisierungsprogramme für infanteristisches Equipment haben Hochkonjunktur.

Die NATO versucht dabei, mit ihrem „Soldier Modernization Programme“ (SMP) Standards für die Interoperabilität von Mitglieds- und Partnerländern zu schaffen. Dabei fungiert vor allem die 2006 ins Leben gerufene ständige „Land Capability Group 1“ der Allianz als Plattform für den Erfahrungs- und Ideenaustausch. Eingebunden in dieses Gremium sind auch die nationalen Industrien. 2006 rief zudem die Europäische Verteidigungsagentur (EDA: European Defence Agency) eine Projektgruppe ins Leben, die sich mit dem „Combat Equipment for Dismounted Soldier“ (CEDS) als gemeinsame Basis für ein Soldatensystem des 21. Jahrhunderts befasst. Deutschland arbeitet mit im SMP und beim CEDS.

Von der Basisausstattung zum Erweiterten System

Das deutsche Projekt für die Bundeswehr begann unter der Bezeichnung „Infanterist der Zukunft“ (IdZ) und heißt inzwischen „Gladius“. IdZ gliedert sich in zwei Realisierungsphasen: in die Phase „Basis-System“ (BS) und in die Phase „Erweitertes System“ (ES), auch bekannt als IdZ-2. In der ersten Realisierungsstufe ging es vor allem um die rasche Beschaffung eines Basissystems aus Einzelkomponenten, die zumeist am Markt verfügbar waren. Vorhandene Ausstattung – beispielsweise das G36 und die Bekleidung – wurde übernommen. Entwickelt worden war das System IdZ-BS vom damaligen Hauptauftragnehmer Cassidian, einer Division des Konzerns EADS. Feldversuche mit dieser Basisausstattung wurden im Jahr 2002 im Kosovo durchgeführt. IdZ-BS kam 2003 dann auch in Afghanistan zum Einsatz.

Hauptauftragnehmer für die zweite Realisierungsphase ist das Unternehmen Rheinmetall Defence Electronics (Bremen). Der Auftrag für die Modernisierung der infanteristischen Bundeswehr-Ausstattung erging 2006 an Rheinmetall. IdZ-ES besteht aus rund 20 Ausstattungskomponenten in drei Kernbereichen. Erstens: Bekleidung, Schutz und Tragesystem. Zweitens: Waffen, Optik und Optronik. Drittens: C4I-Information (Command, Control, Communications, Computers and Intelligence).

Nachdem die Tochter des Rheinmetall-Konzerns bereits im vergangenen Jahr als Einstieg in die Beschaffung dieser neuen Infanterieausrüstung 30 Systeme für insgesamt 300 Soldaten geliefert hatte, wurde nun im Januar Defence Electronics mit der Lieferung weiterer 60 Systeme betraut. Dieser Anschlussauftrag hat ein Volumen von 84 Millionen Euro und umfasst die Ausrüstung von 60 Infanteriegruppen mit bis zu 600 Soldaten. Die Auslieferung dieser 60 ursprünglich unter dem Namen „IdZ-2“ entwickelten „Gladius“-Ausstattungen soll in zwei Losen zu je 30 Systemen Mitte des Jahres sowie am Jahresende erfolgen. Wie Rheinmetall versicherte, erhalten „die nächsten zwei Kontingente der Bundeswehr, die nach Afghanistan verlegt werden, rechtzeitig die neue Ausstattung“.

Eingebunden in die vernetzte Operationsführung

Nach Darstellung des Hauptauftragnehmers wird „Gladius“ die Fähigkeiten des bei der Bundeswehr bisher vorhandenen Infanteriesystems insbesondere in der Vernetzung, in der Führungsfähigkeit und in der Wirksamkeit im Einsatz deutlich erweitern. Herausragendes Merkmal des Systems, das nach dem Kurzschwert römischer Legionäre benannt ist, sei sein gesamtheitlicher Ansatz.

Oliver Hoffmann, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Rheinmetall AG, nennt die entscheidenden Merkmale dieses Rüstungsprojektes: „Gladius zielt vor allem darauf ab, die zehn Mann starke Infanteriegruppe mit ihrem Fahrzeug in die vernetzte Operationsführung einzubinden. Dieses Netzwerk aus Aufklärungs-, Führungs- und Waffenwirkungskomponenten ermöglicht den schnellen Austausch von Informationen und lässt ein gemeinsames Lagebild als Grundlage für die Planung und Führung von Einsätzen entstehen.“ Der Soldat erhalte alle für ihn relevanten Daten zur taktischen Lage, zur Position eigener Kräfte, zum Auftrag und zum Systemstatus. GPS- und inertiales Navigationssystem sowie digitaler Magnetkompass seien vorhanden und erleichterten die zuverlässige Orientierung.

Weiterhin zeichne sich das System durch seine ergonomische Gestaltung – insbesondere durch Gewichtsreduzierung, Miniaturisierung und bessere Integration der Einzelkomponenten – aus, so Hoffmann. „Das modulare Bekleidungs-, Schutz- und Tragesystem stellt die Auftragserfüllung auch unter schwierigen klimatischen Bedingungen sicher, schützt unter anderem vor Aufklärung im visuellen und infraroten Spektralbereich, vor Witterungseinflüssen und insbesondere auch vor Auswirkungen von biologischen oder chemischen Kampfstoffen. Eine flammenhemmende Ausstattung sowie Vektorenschutz ergänzen das hohe Schutzniveau. Integriert in das System ist der kompakte elektronische Rücken zur Aufnahme des Funkgerätes, des Kernrechners, der Batterien sowie der GPS-Module.“

Gemeinschaftswerk vieler Spezialisten

An dem Projekt „Infanterist der Zukunft“ beziehungsweise „Gladius“ sind weitere Firmen als Unterauftragnehmer beteiligt. So wurde beispielsweise die Bekleidung, Schutz- und Trageausstattung von Blücher Systems (Erkrath) konzipiert. Das neue Helmkonzept entstand unter Federführung der Firma Schuberth (Magdeburg). Den Bereich „Waffen, Optik und Optronik“ verantworten Heckler & Koch (Oberndorf), AIM Infrarot-Module (Heilbronn) und Cassidian Optronics, vormals Carl Zeiss Optronics (Oberkochen).

Thales Deutschland (Stuttgart) erhielt im Januar von Rheinmetall Defence den Unterauftrag zur Herstellung und Lieferung von 310 Nachsichtbrillen des Typs „Lucie II D“ sowie 16 IR-Module für 30 Systeme IdZ-2. Darüber hinaus wird Thales 300 UHF-Funkgeräte vom Typ „SOLAR 400 EG-E“ (30 Soldatensysteme), Lithium-Ionen-Akkus für die Stromversorgung des gesamten elektronischen Rückens, Ladestationen, Antennensätze sowie Adapter und Kabel für das „Gladius“-Projekt liefern. Dieser Unterauftrag hat ein Volumen von rund 7,5 Millionen Euro und beinhaltet neben der logistischen Dokumentation und Ausbildung auch die Option auf ein zweites Los (600 Brillen, 192 IR-Module sowie 600 Funkgeräte).

„Schwerlich noch was draufzupacken“

Mit dem Thema „Hightech für Kämpfer“ hat sich am 12. Januar auch das Forum „Streitkräfte und Strategien“ des Norddeutschen Rundfunks (NDR) befasst. Axel Schröder ging auf dem Truppenübungsplatz in Kühlsheim der Frage nach, was aus den Mängeln der Basissysteme, von denen rund 2900 ausgeliefert worden sind, wurde. In seinem Beitrag für den NDR erinnert der Autor an die Schwachstellen: „Die IdZ-Ausstattung war zu schwer und für viele Soldaten zu unbequem. Außerdem bot das System nur unzureichenden Schutz vor Granatsplittern und gegnerischen Geschossen. Jede einzelne IdZ-Komponente war zwar qualitativ hochwertig. Als Gesamtsystem kam es jedoch aber immer wieder zu Fehlfunktionen und Ausfällen … Der Hersteller Rheinmetall hat daher für das Nachfolgesystem ,Gladius‘ Konsequenzen gezogen.“

Schröder, der bei einer Demonstration des Systems „Gladius“ im Bundeswehr-Übungsdorf Wolferstetten Meinungen einholte, sprach auch mit einem Ausbilder. Der Hauptmann äußerte sich insgesamt zufrieden über das IdZ-ES: „Es gibt immer Punkte, wo man hier und da im Einzelfall sagt: Es ist nicht das Optimum erreicht. Aber aus der Sicht des Gesamtsystems sage ich: es ist schwerlich noch was drauf zu packen.“


Randnotiz                                              

Die Sendereihe „Streitkräfte und Strategien“ des Norddeutschen Rundfunks (NDR) setzt sich bereits seit fast vier Jahrzehnten kritisch mit aktuellen Fragen der Sicherheits- und Militärpolitik auseinander. Moderiert wird sie seit 2001 von Andreas Flocken.
Zu hören ist die 30-minütige Sendung alle 14 Tage jeweils in der geraden Woche: Samstag um 19.20 Uhr/Wiederholung Sonntag um 12.30 Uhr.


Zu unserem Bildangebot:
1. „Gladius“-System nach einer Computer-Animation des Unternehmens Rheinmetall.

2. Erweitertes System „Infanterist der Zukunft“ (IdZ-ES) – Blick auf das Display des tragbaren Führungsrechners für den Kernrechner.
(Foto: Marcus Rott/Bundeswehr)

3. Im Bedien- und Anzeigegerät erkennt der Soldat die visualisierten Lageinformationen seiner Gruppe.
(Foto: Marcus Rott/Bundeswehr)


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